Traum und Ziel. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518434
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aufs neue verzagt.

      Werner schrieb den Brief auf sein schönstes Papier und malte in jede Ecke ein paar Blumen.

      Er habe seine Sache vorzüglich gemacht, lobte ihn Konrad. Es sei kein Fehler darin. „Aber du musst ihr den Brief heimlich und persönlich bringen“, sagte er.

      „Ja, wenn nur der böse Hund nicht wäre“, seufzte Werner. „Er bellt immer so rasend, wenn ich am Tor vorbeigehe. Wahrscheinlich beisst er.“

      „Nein, nein, er beisst nicht. Er heisst Donna. Ruf ihn nur bei seinem Namen. Donna, vergiss das nicht. Übrigens ist er oft im Hause eingesperrt. Aber niemand darf dich sehen, wenn du ihr den Brief gibst. Denn das wäre eine Schande für sie.“

      Nicht ohne schlimme Ahnungen macht Werner sich auf den Weg. Er fürchtet sich vor dem Hund. Aber was sein muss, das muss sein. Und so schreitet er denn vor Almas Haus hin und her und bewacht das Tor. Ein Herr und eine Dame treten auf die Strasse und entfernen sich. Nun muss sie allein zu Hause sein. Vom Hund ist nichts zu sehen.

      Das Herz klopft Werner im Halse; aber er öffnet das eiserne Tor. Das Tor kreischt. Werner macht einen Schritt und schliesst es hinter sich; es kreischt abermals. Plötzlich schiesst hinter der Hausecke hervor der Hund, mit gesträubtem Nackenhaar, wütend. Da hat Werner natürlich vergessen, dass der Hund Donna heisst; er springt mit einem mächtigen Satz zum nächsten Baum und klettert daran empor. Donnas Zähne schlagen in seinen Schuh. Aber schon sitzt er oben zwischen den Ästen. Am Stamm springt der Hund hoch und vollführt einen gottlosen Lärm.

      Die Haustür wird ein wenig geöffnet. Weiss Gott, sie selber, Alma, tritt erschreckt heraus, schaut sich um und ruft den Hund zurück. Aber Donna bellt nur noch wütender. Endlich bemerkt Alma den Knaben auf dem Baum, kommt zögernd näher.

      „Ich habe nichts Böses getan. Kommen Sie nur“, ruft Werner.

      Sie fasst den Hund beim Halsband und fragt: „Was treibst du dort oben?“

      „Nichts. Ich warte auf Sie.“

      Betroffen schaut Alma zu ihm auf. Überaus sein ist sie. Ihr Haar ist dunkel; ihre Augen sind gross und leuchtend. Zum erstenmal bemerkt Werner die Lieblichkeit eines Mädchengesichts. „Ich habe einen Brief“, sagt er geheimnisvoll. „Aber niemand darf es wissen.“

      „Einen Brief?“ ruft sie in hilflosem Staunen.

      „Einen Liebesbrief ...”

      „Was?“ ruft sie überwältigt.

      „An Sie. Aber wollen Sie den Hund nicht zuerst anbinden?“

      Nun macht Alma Miene, zu fliehen. Ja, sie weicht ein paar Schritte zurück, und ihre Augen werden noch grösser. „Wer bist du?“ fragt sie ängstlich.

      „Ich heisse Werner und kenne Sie gut. Wir wohnen jetzt in Ihrem Haus ...“

      In Alma kämpfen Furcht und Neugier, das ist in ihrem Gesicht deutlich zu sehen. „Wer hat ihn denn geschrieben, den Brief?“

      „Den hab’ ich schreiben müssen, denn Konrad hat keine Hände mehr.“

      „Du mein Gott — was sagst du da — keine Hände? Komm endlich herunter!“

      „Können Sie den Hund nicht wegnehmen? Ich werde Ihnen dann alles erzählen.“

      Alma führt den Hund ins Haus und schliesst die Tür hinter ihm. Es geht wahrlich so gut, dass es gar nicht besser gehen könnte. Eine vornehme junge Dame ist sie, und sie trägt auch heute ihr schwarzes Kleid, das ihre wehmütige Zartheit noch zarter und wehmütiger macht. „Wir wollen hinters Haus gehen“, sagt sie und schreitet voran.

      Da steht ein Tempelchen, von wildem Wein ganz eingesponnen. Sie lässt sich auf einer Bank nieder. „Setz dich dorthin“, sagt sie. „Aber ich verstehe kein Wort von allem, was du berichtest.“

      Hierauf liest sie den Brief. Sicherlich ist es der erste Liebesbrief, den sie empfängt, dieser seltsame Gruss vom Rande eines offenen Grabes. Sie liest und schüttelt dabei den Kopf, von dem ein köstlicher Duft aufsteigt. „Nein, ich verstehe das alles nicht“, sagt sie leise und lässt den Brief in ihren Schoss sinken. „Konrad?“

      „Als er Ihrem Hut nachlief, wurde er beinahe von einem Wagen überfahren. Er fiel hin und blutete ...“

      „Ach ja — daran erinnere ich mich. Ja, wirklich. Aber sag mir, was meint er denn mit der Puppe?“

      „Es ist Ihre Puppe! Er fand sie in Ihrem Zimmer.“

      Sie legt den Kopf zurück, schliesst die Augen ein wenig und denkt nach. „Ich habe keine Puppe zurückgelassen. Ich habe nie gern mit Puppen gespielt. Nein ...“

      „Wenn man sie hinlegt, schliesst sie ein Auge, aber das andere sieht offen. Sie hat dunkles Haar. Konrad meint, es müsse Ihr eigenes Haar sein.“

      „Ich habe mein Haar nie für eine Puppe hergegeben ...“ Doch nun huscht ein scheues, wunderfeines Lächeln über ihr blasses Gesicht. „Wenn ich mich nicht täusche, muss das die Puppe meiner Mutter sein. Ja, ja, ganz gewiss muss es ihre alte, hässliche Puppe sein, die ich nicht leiden mochte. In ihrem Kopf war etwas zerbrochen, darum konnte sie nur noch ein Auge schliessen. Es kann nur diese Puppe sein.“

      Auch in Werners Kopf zerbricht etwas. Und das schmerzt ihn so sehr, dass er seine beiden Augen schliessen muss und den Atem anhält. „Aber es ist seine letzte Freude“, sagt er leise und bittend.

      „Nein, was fällt dir nur ein? Was habt ihr euch da nur ausgedacht?“ fragt sie mit einem Versuch zu lächeln. Doch als sie in Werners Gesicht blickt, in dieses Gesicht, das förmlich zerfällt vor Enttäuschung und Verzweiflung, wird sie auf einmal ernsthaft und beginnt ihn auszufragen.

      Allmählich erfährt sie, Stück um Stück, Konrads kleine Geschichte und die Geschichte von Konrads heimlicher Liebe. Indessen sie Werner zuhört, senken sich ihre Lider tiefer und immer tiefer über die strahlenden Augensterne, und aus den langen Wimpern beginnen Tropfen zu sickern. Die Tropfen fallen auf Konrads Brief und auf ihre Hände, die darübergefaltet sind. „Grosser Gott, wie schwer und furchtbar ist doch das Leben für einige“, flüstert sie mit zuckenden Lippen. „Aber sag, was kann ich für ihn tun?“

      „Oh, Sie können sehr viel tun!“ ruft Werner in jäh erwachter Zuversicht. „Sie könnten ihm zum Beispiel einen schönen Brief schreiben.“

      „Nein“, wehrt sie sachte, doch bestimmt. „Nein, das kann ich nicht. Nein, das darf ich nicht.“

      „Oder Sie könnten ihm ein paar Blumen schenken ...“

      Sie besinnt sich. Ihr Kinn bebt. „Das will ich gern“, sagt sie und pflückt ein paar Fliederdolden von den nächsten Büschen. „Bring sie ihm und grüss ihn von mir. Sag ihm, wie furchtbar leid er mir tut in seinem Unglück.“

      „Und die Puppe? Wollen Sie sie nicht wiederhaben?“

      „Nein. Was soll ich damit?“

      „Und darf er Ihnen wiederschreiben?“

      „Nein, du. Das ist undenkbar. Sei jetzt ein lieber Bub und komm nicht wieder zu mir. Hörst du? Wenn mein Onkel dich sieht, wird er sehr böse, und er wird mich schelten. Und sieh, ich kann doch gar nichts, gar nichts für Konrad tun.“

      „Aber Sie können doch wenigstens ein wenig an ihn denken, zuweilen ...“

      „An ihn denken? Ja, das werde ich sicher. Auch das darfst du ihm ausrichten. Aber jetzt musst du gehen. Und komm also nicht wieder. Versprich mir das!“

      Bittend streckt sie ihm ihre schmale, weisse Hand über den Tisch hin. Und er ergreift diese Hand mit seinen beiden Händen. Langsam erhebt sie sich, ein rätselhafter Ausdruck kommt in ihr Gesicht. Sie legt Werner ihre freie Hand auf den Scheitel, als wolle sie ihn segnen. „Sage Konrad, dass ich es selber nicht gut habe und nicht glücklich bin ... Und nun musst du wirklich gehen“, sagt sie in unbeschreiblicher Güte.

      Werner geht.

      Dieses Unternehmen verlief