Jule hätte jetzt am liebsten laut geweint. Schon der Gedanke, daß er sich durch sein Betragen die Reise an die Ostsee verscherzt hatte, machte ihn tief unglücklich. Aber nun sollte et auch noch von Pommerle fern bleiben. Das war zu viel.
»Ich will von jetzt ab immer seht artig sein,« sagte er, indem er die aufsteigenden Tränen herabzuwürgen versuchte. »Wenn ich in den nächsten Wochen sehr artig bin, Herr Professor, nehmen Sie mich doch noch mit?«
»Nein, Jule, an die See kommst du nicht mit, diese Freude ist durch dein schlechtes Verhalten zu Wasser geworden. Wenn ich aber sehe, daß du wirklich ein braver Junge wirst, können wir im kommenden Jahre darüber reden, höre ich aber auch nur eine Klage über dich, lasse ich Pommerle nicht mehr mit dir spielen. Das merke dir.« –
»Seien Sie mir nicht böse,« sagte Jule, »ich habe nicht gewußt, daß alles so schlimm werden würde.«
»In Zukunft überlege dir das vorher. – So, und nun geht es zum Essen. Aber erst will ich noch einmal nach Pommerle sehen.«
Da das Kind noch immer fest schlief, winkte der Professor seiner Frau, die sich während der ganzen Unterhaltung im Hintergrunde des Zimmers aufgehalten hatte. Dann gingen die drei hinunter in den Speisesaal.
Jule schlich wie ein armer Sünder hinter dem Benderschen Ehepaare drein. Erst, als ihm die Wohlgerüche der Küche in die Nase stiegen, heiterte sich sein Gesicht auf. Was würde er heute wieder Gutes zu essen bekommen? Er nahm sich vor, sehr artig zu sein, um den Professor recht rasch wieder zu versöhnen.
Man setzte sich an einem der weißgedeckten Tische nieder. Jule schnellte empor.
»Au!«
»Jule!« Professor Bender hob drohend den Finger und blickte den Schreier strafend an. »Setze dich, Jule, warum stehst du noch?«
Jule lehnte sich gegen die Lehne des Stuhles und hockte nur auf einer kleinen Ecke. Frau Bender ermahnte den Knaben: »Setze dich ordentlich hin, Jule, sonst fällst du noch mit dem Stuhle um.«
Ganz vorsichtig schob sich der Knabe mehr auf den Sitz des Stuhles hinauf. Vorhin bei dem raschen Niedersitzen hatte ihn eine der Stecknadeln, die seinen Riß im Hosenboden verschlossen, kräftig gestochen. Aber gottlob, jetzt ging es. Artig aß er seine Suppe, dann folgte der Braten mit dem Gemüse und einer schönen braunen Tunke. Es schmeckte dem Knaben prächtig. Er hatte sehr rasch seine Portion verschlungen und fragte jetzt bescheiden und artig:
»Darf ich mir noch Kartoffeln und Tunke nehmen?«
Frau Bender reichte ihm die Kartoffeln. Jule erhob sich ein wenig von seinem Sitz, griff nach der Tunke, die in einer schönen, mit Blumen bemalten Porzellanschale war. In seiner Freude, noch mehr essen zu dürfen, warf er sich zurück auf seinen Sitz und – –
»Au!« Die Hand, die die Schale mit der Sauce hielt, fuhr nach der gestochenen Stelle. Jule ließ die Porzellanschale fallen, und die braune Tunke ergoß sich über die schwarzen Beinkleider des Professors.
Jule war wie erstarrt.
»Ich wollte nicht – –« rief er erregt, »es stach doch so sehr!«
»Jule!« Die Brillengläser des Professors funkelten.
»Es stach doch so sehr!«
»Was stach?« fragte Frau Bender. »Wo stach es?«
Die Gäste an den Nebentischen waren aufmerksam geworden.
»Wo stach es?« fragte jetzt Professor Bender energisch.
»Das darf ich hier nicht sagen, das ist nicht anständig.«
»Setz dich nieder, Junge!«
Jule war so erschreckt, daß er sich zum dritten Male auf den Stuhl setzte, und wieder schnellte er mit einem Wehlaut empor.
Als er nun gar bemerkte, daß man am Nebentische zu lachen begann, hielt es der Knabe für das einzig Richtige, davonzulaufen.
Wie gehetzt eilte er durch den Speisesaal, rannte gegen einen der Kellner, der ein Tablett trug, ein Klirren, die Teller rollten vom Tablett, aber Jule wollte jetzt nichts mehr sehen und hören. Mit langen Sätzen eilte er die Treppe hinan, hinein in sein Zimmer.
Mitten im Speisesaale aber lagen zwei Schnitzel, Scherben von zerbrochenen Tellern, die gekochten Kartoffeln kollerten umher, der Kellner schimpfte leise vor sich hin, und der Hausdiener wurde gerufen, der rasch den Schaden beseitigte.
Professor Bender war bemüht, die verschüttete Tunke von seinen Beinkleidern zu entfernen, Frau Bender aber sagte hastig zu ihrem Gatten:
»Ich will Jule nachgehen, sonst macht der Junge noch weitere Dummheiten.«
Jule saß oben in seinem Zimmer und starrte verzweiflungsvoll vor sich hin. Die abscheulichen Stecknadeln waren an allem schuld. Er hatte sich so fest vorgenommen, recht brav und artig zu sein. Nun war durch seine Schuld so viel Unglück geschehen, nun würde er niemals wieder mit Pommerle spielen dürfen.
Wie ein Bild des Jammers stand der Knabe in der Zimmerecke und überlegte, ob es nicht das Beste sei, allein nach Hirschberg zurückzufahren, um Benders niemals wieder vor die Augen zu kommen. Aber da öffnete sich auch schon die Tür, Frau Bender betrat den Raum.
»Wenn ich doch nicht mehr mit dem Pommerle sprechen darf,« rief ihr Jule weinend entgegen, »fahre ich lieber gleich allein fort.«
»Jule, was heißt denn das wieder? – Jetzt komm, setze dich neben mich, hier auf den Stuhl – –«
»Nein, nein!« schrie der Knabe entsetzt.
»Kannst du nicht folgen, Kind?«
»Ich bin doch schon ganz zerstochen,« rief Jule mit den Tränen kämpfend.
»So erzähle doch, Kind, was dich sticht!«
Da drehte sich Jule nach einigem Zögern schließlich um und zeigte Frau Bender die mit vier Stecknadeln zusammengesteckte Hose.
Frau Bender hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. »Ach so,« sagte sie, »du hast den Riß in den Hosen mit Nadeln zusammengesteckt, und nun haben dir diese Nadeln weh getan!«
»Als ich mich auf den Stuhl setzte – – und den Napf mit der Tunke nahm – – da hat es fürchterlich gestochen, – – ganz tief, – – da habe ich vor Schreck den Napf hingeworfen.«
»Wie kannst du dir denn einen solchen Riß mit Stecknadeln zusammenstecken? Zieh die Hosen aus, ich werde sie dir nähen.«
Jule folgte, und Frau Bender stopfte mit geschickten Händen die zerrissene Stelle.
»Das hättest du doch schon früher sagen können, Kind.«
»Die schönen Kirschen – –«
»Wovon redest du nun schon wieder?«
»Es gab doch noch Kirschen, die habe ich nun nicht bekommen.«
»Da siehst du wieder die Strafe, Jule. Und nun setze dich still nieder, nimm dir das Buch vor, das ich dir für die Reise gab, und sei recht brav, damit Onkel Bender nicht noch böser auf dich wird.«
»Uh je, er ist furchtbar böse auf mich!«
»Ich will jetzt nach Pommerle sehen – –«
»Darf ich denn noch mit Pommerle reden?«
»Weil die Stecknadeln schuld an allem waren, soll dir verziehen sein. Nun sei aber recht brav, damit wir uns nicht noch weiter ärgern müssen.«
Als Frau Bender an das Bettchen Pommerles trat, war das kleine Mädchen soeben erwacht. Es streckte Frau Bender beide Arme entgegen.
»Nun, hat mein Kleines gut geschlafen?«
»Liebe, liebe Tante, ich