"Gemeinsam wachsen" - der Elternratgeber ADHS. Armin Born. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Armin Born
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170371248
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unseren Elterntrainingsgruppen und in den Familientherapiesitzungen haben wir viele Eltern von ADHS-Kindern kennengelernt. Fast durchgängig waren es die Mütter, die sehr stark, teilweise bis an ihre Grenzen, belastet waren. Denn sie sind es, die über den Tag verteilt darauf achten müssen, dass die normalen Anforderungen von Seiten der Schule und der Familie von ihrem ADHS-Kind erfüllt werden. Dies führt nahezu ständig zu Problemen und sehr häufig zu eskalierenden Konflikten. Aufgerieben von diesen Konflikten fühlen sich Mütter oft ausgebrannt. Sie haben den Eindruck, dass die vielen Schwierigkeiten, trotz ihrer Arbeit und ihrer Bemühungen, nicht weniger werden. Durch die nicht endenden Konflikte fühlen sich viele Mütter so gereizt, dass Gedanken wie »Wenn ich ihn nur sehe, könnte ich …« entstehen. Oft besteht bei Müttern auch die Angst, dass mit dem Älterwerden ihrer Kinder die Probleme und Auseinandersetzungen nur noch schlimmer werden.

      Immer wieder fühlen sich Mütter in ihrer Erziehung entmutigt und erleben ihre Situation als aussichtslos. Sie versuchen Lösungen und Erziehungsmaßnahmen zu finden, die die Situation verbessern sollen, erleben stattdessen aber immer wieder, dass diese, wenn überhaupt, nur für eine kurze Zeit erfolgreich sind. Oft bleibt in diesem Hamsterrad des Alltags keine Zeit darüber zu reflektieren, welche der Erziehungsmaßnahmen sich als wirklich wirkungsvoll erweisen. Aufgrund der chronischen Dauerbelastung besteht für die meisten Mütter vielmehr die Gefahr, vom Alltag überrollt zu werden. Da ihnen einfach oft die Kraft fehlt, fahren sie mit dem gewohnten, aber nicht immer hilfreichen Erziehungsverhalten fort.

      Wenn ihr Mann abends nach der Arbeit nach Hause kommt, erfahren Mütter oft Unverständnis, weil er den aufreibenden Alltag mit dem Kind nicht miterlebt hat. Völlig erschöpft sehen sich dann Mütter in dieser Situation nach einem anstrengenden Tag häufig nicht nur in ihrer täglichen schweren Erziehungsarbeit durch ihren Mann nicht angemessen gewürdigt, sondern sie werden stattdessen auch noch mit der Botschaft konfrontiert »Irgendwie machst du das nicht richtig« oder »Bei mir würde er das nicht machen!« Erfahren Sie als Mutter dagegen Verständnis und Unterstützung von Ihrem Mann, dürfen Sie sich sehr freuen, einen aufmerksamen, einfühlsamen und mitdenkenden Partner zu haben.

      Aus Ihrer Perspektive als Vater treffen Sie – von der Arbeit nach Hause kommend – häufig auf eine sehr angespannte Familienatmosphäre und vielleicht auch auf eine gereizte Frau. Diese wartet nur darauf, Ihnen von den Konflikten und dem Fehlverhalten des Kindes erzählen zu können. Vielleicht kennen Sie den Gedanken: »So schlimm kann es doch gar nicht sein.« Möglicherweise gewinnen Sie nämlich am Wochenende auch einen falschen Eindruck von der Problematik, da in dieser Zeit normalerweise weniger Anforderungen an Ihr Kind gestellt werden und dann auch alles ein bisschen besser läuft. Vielleicht haben Sie aber auch die Erfahrung gemacht, welche erheblichen Probleme z. B. in der Morgen- und in der Abendsituation mit Ihrem Kind entstehen können.

      Wenn Sie als Mutter alleinerziehend sind, könnte Sie die Frage quälen, wie Sie zukünftig die schwere Erziehungsaufgabe überhaupt allein bewältigen sollen.

      Zusätzlich erleben Sie als Mutter auch von Ihrer Umwelt immer wieder negative Rückmeldungen in Bezug auf Ihr Kind. Natürlich beziehen Sie diese meist auch auf sich und fühlen sich für Ihr Kind verantwortlich. Zunehmend beginnen Sie möglicherweise, an Ihrer Erziehungsfähigkeit zu zweifeln, und darunter leidet dann Ihr Selbstwertgefühl.

      Gleichzeitig hegen Sie aber auch die Sehnsucht und die Hoffnung, dass Sie vielleicht doch einen Weg finden, auf dem alles besser werden kann. Wir möchten Ihnen gerne Anregungen geben, wie Sie den Berg an Belastungen Schritt für Schritt abbauen können.

      1.1 Die Problemsammlung als Grundlage für spätere Veränderungen

      Nun wird es konkret!

      In einem ersten Schritt sollten Sie die unterschiedlichen Probleme und Verhaltensweisen Ihres Kindes, die Ihren Alltag am meisten belasten, genau beobachten. Anschließend tragen Sie diese bitte in den abgebildeten Protokollbogen ein.

      Diese Problemverhaltensweisen dienen als Grundlage für die anschließende Veränderungsarbeit. Das schriftliche Fixieren hilft Ihnen aber auch, später vergleichen zu können, was sich möglicherweise durch Ihre Arbeit zwischenzeitlich bereits verbessert hat. Dann werden Sie sich vielleicht über diesen Fortschritt freuen können.

      Auch die außer Haus berufstätigen Väter möchten wir bitten, sich Zeit zu nehmen und über das Wochenende die Problemsammelliste auszufüllen.

      Füllen Sie als Mutter und Vater die Liste zunächst bitte getrennt aus.

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      Sammelliste problematischer Verhaltensweisen

      Arbeitsblatt 1.1: Sammelliste problematischer Verhaltensweisen

      Wenn Sie diese Liste eine Woche geführt haben, verabreden Sie sich als Paar und machen einen festen Termin aus, so dass Sie genügend Zeit zum Austausch über Ihre Beobachtungen haben. Zeigen Sie einander Ihre Aufzeichnungen und versuchen Sie, diese unvoreingenommen zu vergleichen. Wichtig dabei ist, dass Sie einfach akzeptieren, dass es für den andern genau so ist, wie er es aufgeschrieben hat. Berücksichtigen Sie dabei, dass die Wahrnehmung des Einzelnen unterschiedlich ausfallen kann und dass Sie außerdem jeweils verschiedene Situationen mit Ihrem Kind erleben. Mit Hilfe der Problemsammelliste wird für Sie beide als Eltern der Ausgangspunkt für die weitere gemeinsame Erziehungsarbeit festgehalten.

      Für Väter bzw. Lebenspartner ist es in einem solchem Austauschgespräch besonders wichtig, zunächst nur zuzuhören. Es geht hier nicht darum, Ihrer Frau nahezubringen, dass das Problem vielleicht nicht so schwierig ist oder dass das Kind sich bei Ihnen anders verhält. Es geht auch nicht darum, dass Sie in einer für viele Männer manchmal typischen Art sofort an Lösungen denken. Zu diesem Zeitpunkt müssen Sie Ihrer Frau keine Vorschläge machen, wie sie es besser machen kann. Wichtig ist allein, dass Sie zuhören und dass sie die Erfahrung ihrer Frau annehmen können. Akzeptieren Sie einfach, dass es im Augenblick so ist, wie Ihre Frau es berichtet. Denken Sie auch als Vater immer daran, dass Sie die schwierigsten Zeiten mit Ihrem Kind in der Regel nicht miterleben und deswegen einfach auch viel bessere Möglichkeiten im Umgang mit Ihrem Kind haben, da Sie viel weniger »vorbelastet« sind. Als (allein-)erziehende Mutter könnte es wichtig sein, dass Sie mit Ihren Problemen nicht allein bleiben. Versuchen Sie sich mit einer anderen betroffen Mutter, die in einer ähnlichen Situation ist, zu verabreden. Eine solche Mutter können Sie z. B. in einer Selbsthilfegruppe kennenlernen. Überwiegend ist es so, dass im Vergleich zu einem Elternpaar zwei Mütter deutlich mehr Übereinstimmungen im Hinblick auf die belastenden Problemverhaltensweisen ihrer Kinder erleben. So können Sie im Gespräch mit einer ebenfalls »betroffenen« Mutter die wichtige Erfahrung machen, dass Sie mit Ihren Problemen nicht alleine da stehen.

      Sehen Sie sich nach dem Erfahrungsaustausch die folgende Aufstellung aus einer Elterntrainingsgruppe an. Hier wurden die Problemverhaltensweisen der jeweils betroffen Kinder auf einem Plakat zusammengestellt. Wie Sie sicher schon vermuten konnten: Das Plakat wurde dabei sehr voll (image Abb. 1.1).

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      Problemverhalten unserer ADHS-Kinder

      Wenn Sie sich die Auflistung ansehen, finden Sie vielleicht Übereinstimmungen mit Ihrem eigenen Protokollbogen. In der Elterntrainingsgruppe war nach der Sammlung und Erstellung dieses Plakates immer dasselbe Phänomen zu beobachten. Die Mütter in der Runde nickten beim Vorlesen der einzelnen Problemverhaltensweisen. Gleichzeitig huschte immer wieder ein Lächeln über ihre Gesichter: »Genauso ist es bei mir auch.« Die Teilnehmerinnen machten hier die Erfahrung, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine waren. Ähnliches gab es also genauso auch in anderen Familien, auch bei anderen Müttern