Kinderstation. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718988
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einem Außenstehenden erzählt zu haben. Das ist ja nun auch das letzte.«

      »Immerhin hat er erreicht, was er wollte: Er hat dich in die Sache hineingerissen.«

      Marina zwang sich zu einem kleinen Lachen. Sie merkte selbst, wie unnatürlich es klang. »Was heißt hineingerissen? Ich habe nichts verkehrt gemacht, und das wird sich heraussteilen.«

      »Hast du Beweise?«

      »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Eichner die Spritze mit dem falschen Medikament aufgezogen hat.«

      Der Mann trank das Glas aus. »Hör auf damit«, sagte er grob. »Mir wird ganz übel davon.«

      Sie schrak zusammen. »Aber, Herbert …«

      »Alles, was du sagst, ist Quatsch. Du hast ja keine Ahnung. Wenn du bloß wüßtest, wie polizeiliche Ermittlungen geführt werden. Mit eigenen Augen gesehen … daß ich nicht lache. Hast du wenigstens einen Rechtsanwalt?«

      »Noch nicht.« Als sie den Ausdruck seines Gesichts sah, fügte sie rasch hinzu: »Ich bin schon angemeldet, bei Doktor Schneiderbohm. An einem meiner nächsten freien Tage gehe ich hin.«

      »Weiß er, um was es sich handelt?«

      »Ja, natürlich.« Sie legte ihre schmale Hand auf seinen Arm. »Reg dich doch nicht auf, Herbert. Der Termin ist ja erst in drei Wochen.«

      Unwillig schüttelte er ihre Hand ab. »Hast du die Vorladung?«

      »Ja«, sagte sie. »Für den zwölften August, elf Uhr dreißig.«

      »Gib sie her.«

      »Ich habe Sie Doktor Schneiderbohm geschickt, zusammen mit meiner Darstellung des Falles. Das wollte er haben.«

      »Du wirst doch wissen, was draufstand?« rief er wütend.

      Sie wandte sich ab. »Schrei nicht mit mir«, sagte sie kalt. »Ich brauche niemanden, der mich herumkommandiert. Ich brauche einen Menschen, der mir hilft.«

      Er stand auf, ging um den Tisch und packte sie an den Schultern. »Marina, du weißt, daß ich dich liebe. Aber um dir helfen zu können, muß ich doch wissen, was hier gespielt wird. Bitte, beantworte mir eine Frage. Bist du als Zeugin geladen oder … als Angeklagte …«

      »Als Angeklagte …«

      Er ließ das Mädchen los, als wenn er sich die Finger verbrannt hätte. Dann ging er zu seinem Stuhl zurück und setzte sich. »Entschuldige mal«, sagte er leise. »Aber das war ein Schlag in die Magengrube.«

      »Herbert«, rief sie entsetzt. »Was hast du denn?«

      Er sah sie finster an. »Wenn du bloß nicht so naiv wärst. Du stehst als Angeklagte vor Gericht. Du weißt doch, was die Zeitungen geschrieben haben. Eichner sagt, du hast die Spritze aufgezogen. Die Ärzte halten immer zusammen. Selbst wenn dieser Doktor Vogel den Eichner nicht riechen kann … vor Gericht wird er ihn entlasten. Das alles geht auf deine Kosten.«

      Marina zündete sich mit nervösen Fingern eine Zigarette an. »Aber, Herbert, willst du mir einreden, daß ich verurteilt werde?«

      »Ich will dir nur erklären, wie ernst deine Lage ist.«

      »Danke, das weiß ich auch so.«

      Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Na also, dann brauchen wir uns ja nicht zu streiten. Ich muß zum Dienst. Wenn ich einen freien Tag habe, rufe ich dich an.«

      Enttäuscht folgte sie zur Tür.

      Einen Augenblick lang standen sie sich gegenüber wie zwei Fremde.

      Dann gab er sich einen Ruck. Er nahm sie in die Arme und küßte sie. »Adieu, Mädchen«, sagte er. »Mach’s gut.« Dann ging er …

      3

      Der Gerichtssaal war überfüllt.

      Die Angeklagte Marina Overbeck in anthrazitgrauem Kostüm mit hochgeschlossener weißer Bluse machte selbstsicher ihre Aussage. Alle Fragen des Vorsitzenden und des Staatsanwalts beantwortete sie knapp, präzis und ohne Zögern. Sogar der Staatsanwalt schien vor ihr Respekt zu haben. Und Rechtsanwalt Dr. Schneiderbohm nickte ihr anerkennend zu, als sie sich wieder setzte.

      Der erste Zeuge wurde aufgerufen: Dr. Kurt Eichner. Alle Köpfe drehten sich zur Tür. Dr. Eichner kam herein, korrekt in einen dunklen Anzug gekleidet, das schwarze Haar straff zurückgebürstet.

      Der Richter begann mit dem Verhör, nachdem er ihn mit den Formalitäten der Prozeßordnung bekanntgemacht hatte. »Sie wissen, Herr Doktor Eichner, daß Sie die Aussage verweigern können, wenn Sie meinen, sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Wollen Sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen?«

      »Nein, Herr Vorsitzender.«

      »Gut, beginnen wir mit dem entscheidenden Augenblick. Chefarzt Doktor Vogel forderte die Spritze mit Lobelin. Was taten Sie daraufhin?«

      Eichner schilderte den Vorgang. Und wiederholte seine Behauptung, daß er weder die falsche Ampulle noch die Spritze in der Hand gehabt hatte.

      »Warum sind Sie denn überhaupt vom Operationstisch weggegangen?« fragte der Richter.

      »Mir schien an diesem Abend, daß Schwester Marina übermüdet und zerfahren wirkte. Ich wollte ihr helfen. Aber dazu kam es gar nicht.«

      Marinas Rechtsanwalt erhob sich. Er stützte beide Hände auf den Tisch, beugte sich vor und sah Dr. Eichner durchdringend an. »Herr Zeuge, Sie sind sich darüber klar, daß Ihre Aussage einige unklare Punkte enthält.«

      »Darüber bin ich mir durchaus nicht klar, Herr Rechtsanwalt.«

      »Dann will ich es Ihnen erläutern. Sie behaupten, daß sich die Angeklagte in jener Nacht in schlechter Verfassung befand?«

      »Jawohl.«

      »Das hat Sie nicht auf die Idee gebracht, die Angeklagte von einer anderen Schwester ablösen zu lassen?«

      »Nein, das wäre Sache des Chefarztes gewesen.«

      »Sie haben Herrn Doktor Vogel auf die Verfassung der Angeklagten aufmerksam gemacht?«

      Eichner zögerte mit der Antwort. »Nein«, sagte er schließlich. »Ich bedauere das sehr.«

      »Sie bedauern es.«

      Eichner gab sich einen Ruck. »Es hätte auch nichts genutzt.«

      »Warum nicht?«

      »Der Chefarzt hält große Stücke auf die Angeklagte. Er hätte meine Warnung sicher nicht berücksichtigt.«

      »Wie konnten Sie das wissen? Warum haben Sie nicht selbst mit der Schwester gesprochen, wenn Sie meinten, der Chefarzt hätte eine solche Warnung überhört? Sie waren doch diensthabender Arzt an jenem Abend.«

      »Ja, das war ich.«

      »Sie hatten also die Autorität, die Angeklagte nach Hause zu schicken und eine andere Schwester anzufordern. Warum taten Sie es nicht?«

      Es wurde unruhig im Saal. Der Richter hob warnend den Kopf.

      Dr. Eichner war blaß, als er antwortete: »Schwester Marina ist sehr … sehr empfindlich. Ich wollte sie nicht kränken.«

      »Sie wollten also die Gefühle der Angeklagten schonen. Und deshalb ließen Sie die Schwester ihre Arbeit verrichten, obwohl die Gefahr bestand, daß sie diese höchst verantwortungsvolle Arbeit nicht richtig durchführen würde.«

      Eichner strich sich nervös durch das Haar. »Ich glaube, ich muß mich deutlicher ausdrücken, noch deutlicher.«

      Der Rechtsanwalt lächelte. »Ich wäre Ihnen dankbar.«

      »Die Angeklagte schien mir nicht ganz auf dem Posten zu sein in jener Nacht. Aber ich meinte nicht, daß es so gravierend war. Erst nachträglich wurde mir klar, daß sie … daß sie gewissermaßen verstört wirkte.«

      Der