Kinderstation. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718988
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um Ihre Familie. Rufen Sie mich ruhig heute abend an, lassen Sie mich ans Telefon holen, und dann erzähle ich Ihnen genau, wie es Ihrem Jungen geht. Morgen nachmittag ist Besuchszeit, dann wird er hoffentlich das Schlimmste überstanden haben, und Sie können ihn sehen.« Er gab ihr die Hand.

      »Zimmer 212 ist frei«, sagte die Schwester.

      Dr. Vogel schob die zögernde Mutter sanft aus dem Raum.

      Im Zimmer 212 hatte Schwester Marina schon alle Vorbereitungen getroffen. Als eine junge Schwester den Wagen mit dem Kind ins Zimmer schob, sprach Marina tröstend auf ihn ein, obwohl sie nicht sicher war, daß er sie überhaupt hörte.

      Der Atem des kranken Jungen ging pfeifend.

      Dr. Vogel kam ins Zimmer.

      Marina legte dem Kind die Sauerstoffmaske an. Der Chefarzt stellte den Apparat ein. »Bitte, jetzt Prednison«, sagte er.

      Marina reichte ihm die aufgezogene Spritze.

      Die Vene in der Ellbogenbeuge war gut sichtbar. Schwester Marina hielt den Arm des Kindes fest, während der Chefarzt die Spritze mit leichtem Druck ansetzte.

      Der Junge zuckte zusammen, als die Injektionsnadel die Haut berührte.

      Nach der Injektion sägte Vogel den Hals einer Ampulle, die er bereitgelegt hatte, ab und zog eine zweite Spritze mit dem Inhalt auf. Es war Supracillin. Marina hatte den Oberschenkel des Jungen frei gemacht und desinfizierte.

      Diesmal merkte das Kind überhaupt nicht den Einstich.

      »So, das wär’s«, sagte Dr. Vogel. »Und jetzt müssen wir abwarten. Eventuell geben Sie ihm später ein Beruhigungsmittel.«

      »Jawohl, Herr Chefarzt.«

      »Schwester Marina, bleiben Sie vorläufig bei dem kranken Jungen. Wenn etwas Unvorhergesehenes eintritt, ich bin in meiner Sprechstunde. Und später komme ich noch mal ’rein.«

      Im Hinausgehen sagte er befriedigt: »Geht ihm schon ein bißchen besser, was?«

      Marina nickte. »Ja, Herr Chefarzt, die Färbung scheint zurückzugehen.«

      Nachdem die Tür hinter Dr. Vogel ins Schloß gefallen war, zog sich Marina einen Stuhl dicht an das Bett und betrachtete das kranke Kind.

      Ganz allmählich wurde die Atmung freier und ruhiger. Die bläuliche Gesichtsfarbe verschwand immer mehr. Bald war die Haut wieder rosig.

      Ein Glücksgefühl überkam Schwester Marina. Sie empfand wieder einmal, was für einen schönen Beruf sie hatte und wieviel er ihr bedeutete.

      Zwei Stunden vergingen. Marina saß immer noch auf ihrem Stuhl und hing ihren Gedanken nach. Der kleine Junge schlief. Da klopfte es an die Tür.

      Marina stand auf.

      Die Tür wurde geöffnet, eine kleine rundliche Frau mit verweintem Gesicht kam herein: Frau Heiberg.

      »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie. »Ich wollte nur Hänschen etwas bringen.« Sie hatte ein Köfferchen in der Hand.

      Schwester Marina begriff sofort, daß sie die Mutter des Kindes vor sich hatte. Sie legte mahnend die Finger auf die Lippen und flüsterte: »Es geht ihm schon viel besser.«

      Aber Frau Heiberg kümmerte sich plötzlich nicht mehr um ihr Kind. Sie starrte fassungslos Schwester Marina an.

      »Sie?« stieß sie hervor. »Was machen Sie denn hier?«

      Marina sah sie fragend an: »Wie meinen Sie das?«

      »Ich hab’ Sie sofort erkannt. Ihr Bild war ja in allen Zeitungen. Ich laß mir das nicht bieten! Mein armes Kind …«

      Und ehe Marina es verhindern konnte, drückte die Frau ihren Daumen auf den roten Alarmknopf neben der Tür. Die andere Hand hielt sie abwehrend der Schwester entgegen, als wollte sie ein Gespenst verscheuchen.

      »Aber, Frau Heiberg, was soll denn das heißen? Lassen Sie doch die Klingelei sein. Sie alarmieren ja die ganze Klinik.«

      Marina versuchte, die rasende Frau an den Handgelenken zu fassen. Es gelang ihr nicht.

      Die Tür wurde aufgerissen. Dr. Schmittchen stand da, an seiner Seite Oberschwester Aline. Hinter ihnen tauchten die Gesichter einiger Krankenschwestern auf.

      »Was geht hier vor?« fragte die Oberschwester scharf. »Wer sind Sie? Was haben Sie hier zu suchen?«

      »Ich bin die Mutter dieses unglücklichen Kindes«, keifte Frau Heiberg. »Er ist mein einziger Junge, und er darf nicht mit dieser Person zusammen sein. Sie hat schon mal ein Kind getötet …«

      Arno Vogel saß mit seinem Schwiegervater, Professor Böhninger, zusammen. Die Unterredung fand im Arbeitszimmer des Professors statt. Sie hatten schon eine Stunde miteinander gerungen und waren einander um keinen Schritt näher gekommen.

      »Halsstarrig …«, sagte Böhning zu seinem Schwiegersohn.

      »Verständnislos«, sagte Vogel zu seinem Schwiegervater. »Schwester Marina darf nicht entlassen werden. Es wäre ein schreiendes Unrecht. Sieh es doch endlich ein, Papa!«

      Professor Böhninger hob bedauernd beide Hände. »Tut mir leid, alter Junge. Aber mir scheint, daß du nicht mehr imstande bist, die Angelegenheit ohne Vorurteil zu betrachten.«

      »Ohne Vorurteil.« Arno Vogel lachte bitter. »Das wirfst du ausgerechnet mir vor. In Wirklichkeit bin ich wohl im Bereich der Universitätsklinik der einzige Mensch, der gegen Schwester Marina nicht voreingenommen ist.«

      Professor Böhninger seufzte: »Mein lieber Arno, du weißt sehr gut, daß ich mich für das Verbleiben der Schwester eingesetzt hatte, obwohl die Lage … ich will mal sagen: ein bißchen delikat war. Aber jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, wo die Schwester nicht mehr tragbar ist. Die Mutter eines kranken Kindes hat beim Anblick der Schwester einen Nervenzusammenbruch bekommen. Ob Marina schuldig oder nicht schuldig ist … jedenfalls ist sie nicht mehr tragbar für die Klinik. Der Verwaltungsdirektor hat die Kündigung ausgesprochen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nichts mehr erreichen. Lauf nicht mit dem Kopf gegen die Wand, Arno. Finde dich mit den Gegebenheiten ab!«

      Arno Vogel stand langsam auf und sah seinen Schwiegervater ernst an.

      »Mich abfinden … gerade das werde ich nicht tun. Ich habe es nie getan.«

      »Was soll das heißen?«

      »Es soll heißen, daß ich die Klinik verlasse, wenn Schwester Marina hinausgedrängt wird.«

      »Arno, was sagst du da? Willst du mich erpressen?« Die Augen des alten Herrn blitzten kampflustig.

      »Aber, Papa, du solltest mich besser kennen. Ich danke dir herzlich und aufrichtig, daß du dich in dieser Sache so lange mit mir herumgequält hast. Die Standpunkte sind jetzt klar, und ich weiß, was ich zu tun habe.«

      »Willst du tatsächlich kündigen?«

      »Ja.«

      »Weiß Regine schon davon?«

      »Noch nicht.«

      »Was soll denn aus euch werden?«

      »Ich werde eine Privatpraxis aufmachen.«

      Professor Böhninger trommelte mit seinen Fingern auf dem Schreibtisch, »Glaub nicht, daß das so einfach ist.«

      »Nein, das glaube ich auch nicht. Aber ich werde es schaffen.«

      »Vielleicht mit Schwester Marina als Sprechstundenhilfe?«

      »Ja«, sagte Dr. Vogel einfach.

      Böhninger sah ihn überrascht an. »Das kann doch nicht dein Ernst sein.«

      »Ja, warum denn nicht? Papa, versteh mich doch richtig. Marina ist einem Fehlurteil zum Opfer gefallen. Ich weiß jetzt, daß Dr. Eichner und Schwester Hilde einen Meineid geschworen haben.«

      »Aber, Arno, das ist ja ungeheuerlich!«

      »Ja,