Kinderstation. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718988
Скачать книгу
dürfen Sie nicht sagen.«

      »Die beiden stecken doch unter einer Decke.«

      Rechtsanwalt Dr. Schneiderbohm wurde aufmerksam. »Haben Sie für Ihre Vermutung Beweise? Haben Sie etwas Bestimmtes beobachtet? Sind die beiden, na sagen wir, intim miteinander befreundet?«

      »Nein, ich kann es nicht beweisen. Ich weiß nur, daß ich zu Unrecht verurteilt worden bin. Ich werde Berufung einlegen.«

      Der Rechtsanwalt seufzte. »Mein liebes Fräulein Overbeck, überlegen Sie sich die Sache. Bei einer Berufung können Sie leicht schlechter wegkommen.«

      Er schob den Ärmel seines Talars zurück und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Tut mir leid, in fünf Minuten beginnt mein nächster Fall.«

      Marina sah dem Rechtsanwalt nach, wie er mit wehendem Talar die Treppe hinaufeilte und um eine Biegung verschwand.

      Und dann, als sie sich zum Gehen wandte, sah sie Herbert. Sein jungenhaftes Gesicht war verdüstert. Aber Marina bemerkte es nicht. Sie sah nur, daß er da war, daß er auf sie gewartet hatte. Mit einem kleinen Schrei warf sie sich in seine Arme. »Herbert«, sagte sie schluchzend und immer wieder »Herbert …«

      Er stand steif da, ohne sich zu rühren. Dann, nach einer langen Pause, schob er sie von sich.

      Flehentlich sah sie ihn an. »Ich wußte ja, du würdest mich nicht im Stich lassen, du, als einziger.«

      Er schluckte ein paarmal, bevor er antwortete. »Hör mal, Marina, ich muß mit dir sprechen.«

      »Hast du Zeit für mich?« fragte sie hoffnungsvoll. »Kannst du mich nach Hause bringen? Kannst du bei mir bleiben?«

      »Ich fürchte, so viel Zeit habe ich nicht.«

      »Hier in der Nähe ist ein kleines Café. Können wir da nicht hingehen?«

      Sie verließen das Gerichtsgebäude. Draußen blieb Herbert stehen.

      »Marina«, sagte er. »Das Ganze ist sinnlos. Wir wollen uns nichts vormachen. Schließlich sind wir beide erwachsene Menschen.«

      Marina sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Was willst du damit sagen?«

      »Marina, mach es mir nicht so schwer. Du weißt doch genau …«

      Ihre Stimme war ganz leise, als sie antwortete: »Ich weiß nur, daß wir miteinander verlobt sind. Ich weiß, daß wir uns versprochen haben, unser ganzes Leben miteinander zu verbringen. Ich erinnere mich genau, wie oft du zu mir gesagt hast: In guten und in bösen Stunden wollen wir …«

      »Marina, bitte«, sagte er kläglich. »Können wir nicht in aller Freundschaft …« Er zögerte, und erst nach einer Pause kam das Wort, das sie gefürchtet, aber auch erwartet hatte: »auseinahdergehen?«

      Sie sah ihn mit großen Augen schweigend an.

      Nachdem das Wort ausgesprochen war, redete er schnell weiter: »Meinst du denn, mir fällt es leicht? Was soll ich denn tun? Schließlich bist du doch an allem selbst schuld. Wenn du nicht die Ampullen verwechselt hättest … Sieh mal, ich bin Polizeibeamter. Ich kann doch niemanden heiraten, der vorbestraft ist. Laß uns doch die Dinge sehen, wie sie sind.«

      Sie ging mit kleinen Schritten neben ihm her und schwieg.

      »Na ja«, sagte er eifrig. »Es wird schon alles gut werden, auch für dich. Wir sind doch beide noch jung. Paß mal auf, du wirst mich schneller vergessen als ich dich.«

      Er sah sie kurz von der Seite an und sprach immer schneller weiter. »Nach ein paar Wochen ist Gras über die Sache gewachsen. Kein Mensch fragt mehr danach. Bei mir ist es doch leider etwas anderes. Ich bin Beamter.«

      Marina ging schweigend neben ihm her.

      »Und sieh mal, was das Finanzielle betrifft, das können wir schnell in Ordnung bringen.«

      Er holte aus seiner Jacke ein zusammengefaltetes Papier heraus. »Ich habe unseren Bausparvertrag für alle Fälle gleich mitgebracht.«

      Marinas blasses Gesicht war unbewegt. Sie sah nicht nach links und nicht nach rechts, als sie an seiner Seite die Straße überquerte.

      Herbert fuhr fort: »Die Karte mit unserem letzten Kontoauszug ist auch dabei. Bitte, überzeuge dich selbst. Leider kann ich dir deinen Anteil nicht in bar auszahlen. Aber ich denke, der Vertreter der Bausparkasse wird schon einen Ausweg wissen. Du kannst sicher sein, ich werde das korrekt erledigen.«

      Endlich sah sie ihn an, endlich begann sie zu sprechen: »Ich vertraue dir vollkommen«, sagte sie mit einem müden Lächeln. »Ich weiß, du bist die Korrektheit in Person.«

      Ihr Tonfall machte ihn unsicher. »Sprich doch nicht so zu mir. Ich habe dir doch nichts getan.« Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie nahm sie nicht, nickte ihm zu, drehte sich um und ging langsam weg.

      »Marina!« rief er ihr laut nach. »Du sollst wissen, daß ich dir nicht böse bin.«

      Marina ging allein durch die Straßen. Die Sonne war durch die Wolken gebrochen. Marina war allein, so allein wie noch nie in ihrem Leben.

      »So schnell geht das nicht, wie du dir das denkst.« Kurt Eichner ging mit nervösen Schritten im Zimmer auf und ab. »Erst muß Gras über die Sache gewachsen sein. Wir wären ja verrückt, wenn wir jetzt die Nerven verlören.«

      Hilde sah ihn mißtrauisch an. »Komisch. Jetzt hast du es mit der Ruhe. Vorher konnte es nicht schnell genug gehen. Bevor ich die Hand zum Eid erhob, hast du immer nur vom Heiraten geredet.«

      Eichner blieb stehen. »Hilde«, zischte er wütend.

      »Hilde, Hilde«, wiederholte sie höhnisch. »Ich habe Marina reingelegt, und jetzt kneifst du.«

      Er nahm sie in die Arme. »Red doch nicht solchen Unsinn. Es ist mir nur langweilig, immer wieder dasselbe zu erklären.«

      »Sag doch ruhig, daß ich dir langweilig bin. Letzten Endes kommt es darauf hinaus.«

      Er ließ sie los. »Du weißt nicht, was du sprichst.«

      Schwester Hilde kniff die Augen zusammen. »Du hast mich seit drei Tagen nicht mehr besucht.«

      Er hob die Arme hoch und ließ sie mit einer Gebärde der Verzweiflung fallen. »Wundert dich das? Ich sehne mich ständig nach dir, und wenn ich bei dir bin, dann machst du mir Szenen.«

      »Ach, was bist du gemein.« Sie begann zu weinen.

      Er sah mit Widerwillen auf ihr blondes Haar, dessen Wurzeln dunkel nachzuwachsen begannen.

      Mit sanfter, einschmeichelnder Stimme sagte er: »Kindchen, Hilde, sei doch nicht so empfindlich. Du mußt doch selbst merken, daß es so nicht weitergeht. Mit deiner Hysterie wirst du noch unsere Liebe zerstören.«

      Sie sah ihn mit geröteten Augen an. »Das wagst du mir zu sagen, nach allem, was ich für dich getan habe?«

      »Hilde, bitte, sei vernünftig. Ich werde nie vergessen, was ich dir schulde. Aber davon ganz abgesehen … Meine Liebe zu dir wird nie erlöschen. Ganz egal, was du tust. Wenn du meinst … dann gehe hin und verrate uns und unsere Liebe. Gestehe doch, daß du einen Meineid geschworen hast. Zeige mich an, daß ich dich dazu verleitet habe. Mach, was du willst. Ich werde nicht aufhören, dich zu lieben.«

      Er sah mit Genugtuung, wie in ihren Augen Hoffnung aufglomm.

      »Wann werden wir heiraten?« fragte sie leise.

      »Aber, Hildchen, das haben wir doch so oft besprochen. Sobald es möglich ist.«

      »Und wann wird das sein?«

      Er zögerte mit der Antwort. »Schwer zu sagen«, sagte er endlich. »Vielleicht in einem Jahr.«

      Sie legte die Arme um seinen Hals und sagte seufzend: »Ein Jahr noch voller Heimlichkeit, ein Jahr Versteckspiel, ein Jahr schlechtes Gewissen. Kurt, ich ertrage es nicht.«

      Sanft löste er ihre Arme. »Für mich ist es doch