Black Heart - Die gesamte erste Staffel. Kim Leopold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kim Leopold
Издательство: Bookwire
Серия: Black Heart - Die gesamte Staffel
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783958344129
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gewährt.«

      »Das tut mir leid.«

      »Das muss es nicht«, erwidert er. »Es ist ja nicht deine Schuld.«

      Der Gedanke, dass ich nicht der einzige blinde Mensch in dieser Welt bin, beruhigt mich irgendwie. »Was hat ihr am Sonnenaufgang am besten gefallen?«

      »Sie mochte es, wie die Welt aufwacht«, erzählt er. »Der Morgen war für sie ein frischer Start. Die Chance, es besser als am Tag zuvor zu machen. Dinge richtig zu machen, ihr Leben lebenswert zu gestalten. Sie war verrückt, meine kleine Schwester.«

      »Sie hört sich sehr sympathisch an.«

      »Das war sie.« Der Schmerz in seiner Stimme ist nicht zu überhören. »Ihr Name war Aurora.«

      »Was ist mit ihr geschehen?«, frage ich nach.

      »Sie ist von einer Brücke gestürzt«, antwortet Mikael leise. Ich kann ihm anhören, dass er nicht daran glaubt, dass es ein Unfall gewesen ist. Er denkt, seine Schwester hätte sich das Leben genommen. Vielleicht wusste er es sogar, doch er behielt das Geheimnis für sich, damit man sie auf einem Friedhof bestatten konnte.

      Ich beschließe, ihn nicht danach zu fragen. Es tut ihm immer noch weh.

      »Das tut mir leid«, flüstere ich.

      »Mir auch«, entgegnet er, bevor wir still bleiben und unseren Gedanken nachhängen. Sein Körper wärmt mich auf und schenkt mir ein Gefühl von Geborgenheit, obwohl ich noch nie einsamer gewesen bin als in diesem Augenblick.

      »Mikael?«

      »Hm?«

      »Wohin gehen wir jetzt?«

      Er schweigt einen Moment und denkt nach. »Nun, ich muss zurück nach Christiania. Was du machst … ist deine eigene Entscheidung. Du könntest mich begleiten und dem König helfen.«

      Ich atme laut aus. »Selbst, wenn ich ihm helfen wollte, wüsste ich nicht, wie.«

      »Dann finden wir es heraus«, erwidert Mikael fest entschlossen.

      ❤

      Der Bach, zu dem ich mich hinunterbeuge, um mir das Gesicht und die Hände zu waschen, plätschert munter vor sich hin. Das Wasser ist eiskalt, aber es riecht sauber. Ich wische mir mit meinem Tuch das Gesicht trocken, löse meinen Zopf und flechte ihn neu, bevor ich schließlich zu Mikael und Saga zurückkehre. Saga scharrt ungeduldig mit den Hufen. Mikael kann ich nicht hören, er muss noch am Bach sein.

      »Hallo, meine Schönheit«, begrüße ich das Pferd und strecke vorsichtig eine Hand aus. Einen Augenblick später zucke ich dennoch zusammen, als ihr heißer Atem meine Finger umspielt. Sie schmiegt ihre Nüstern in meine Handfläche und wartet darauf, dass ich sie streichle. Überrascht über ihre Zuneigung hebe ich auch die andere Hand und fahre damit über ihren Nasenrücken. Ihr Fell ist weich und warm und ich frage mich unwillkürlich, welche Farbe es hat. In meinen Gedanken ist Saga hell und riesig und hat dunkle, einfühlsame Augen.

      Sie bewegt ihren Kopf und drückt ihn gegen mich, so dass ich einen Schritt zurück machen muss. Ein Kichern kommt über meine Lippen. Es freut mich, dass sie mich mag.

      »Ich sehe schon, ihr beide braucht mich gar nicht mehr.« Mikael kommt zu uns und greift nach meiner Hand, um etwas hineinzulegen.

      »Ein Apfel?«

      »Du kannst ihn dir mit Saga teilen, wenn du möchtest. Ich hab’ noch mehr gefunden.«

      Ich bedanke mich und beiße zweimal vom Apfel ab, bevor ich ihn der Pferdedame hinhalte. Zaghaft nimmt sie ihn auf und hinterlässt eine Spur Speichel auf meiner Handfläche, die ich belustigt an meinem Rock abwische.

      »Du siehst aus, als könntest du dich nicht entscheiden, ob du angeekelt oder glücklich sein sollst«, meint Mikael.

      Ich lache auf und bin überrascht darüber, dass es mir bei ihm so leichtfällt, obwohl so viele schreckliche Dinge geschehen sind. »Die einzigen Tiere, mit denen ich mir sonst das Essen geteilt habe, waren unsere Hühner. Aber die haben nicht aus der Hand gefressen. Das ist ein ganz anderes Gefühl.«

      Saga stupst mich an und bettelt nach weiteren Äpfeln. Ich fange ihren Kopf mit beiden Händen ab und streichle ihr noch einmal über den Nasenrücken, bevor wir unsere Sachen am Sattel befestigen und aufsteigen.

      »Kannst du sie mir beschreiben? Saga?«, frage ich, während das Pferd gemächlich los trabt.

      »Hm«, macht Mikael an meinem Ohr. »Sie ist wunderschön. Ihr braunes Fell glänzt in der Sonne fast rot-«

      »Braun? Ich war fest davon überzeugt, dass ihr Fell so hell ist, dass es im Dunkeln leuchtet.«

      »Da muss ich dich leider enttäuschen.« Mikael greift die Zügel um und rutscht etwas dichter hinter mich, um es sich bequemer zu machen. »Wenn sie zuhört, bewegen sich ihre Ohren. Und wenn ich ihr in die Augen sehe, könnte ich schwören, dass sie vor diesem Leben schon mindestens zehn weitere gelebt hat. Sie ist schlank und muskulös und kann galoppieren, dass man denkt, man würde fliegen. Ihre Mähne ist noch dunkler als ihr Fell, genauso ihr Schweif und der Rist auf dem Rücken. Meiner Meinung nach gibt es kein schöneres Pferd in diesem Land.«

      Ich beuge mich vor und vergrabe eine Hand in Sagas Mähne, die sich so weich anfühlt, dass ich mich augenblicklich darin verkriechen möchte.

      »Saga ist nicht zu allen so gutmütig«, fährt Mikael fort. »Sie muss dich wirklich gernhaben.«

      »Nun, ich mag sie ebenfalls sehr.« Ich lehne mich wieder zurück, um mich mit beiden Händen am Sattel festzuhalten. »Zeigst du mir irgendwann, wie sie galoppieren kann?«

      »Ganz bestimmt sogar«, verspricht Mikael mir, bevor wir das Thema auf den König und seine Krankheit wechseln.

      Österreich, 2018

      Ein Mann

      ❤

      »Ich glaube nicht, dass wir hier richtig sind«, bekundet mein Freund, als wir aus dem Auto steigen und uns umschauen. »Wahrscheinlich hat sich die Hexe einen Spaß draus gemacht, uns hierher zu schicken.«

      »Du bist zu ungeduldig. Glaubst du wirklich, Freya sitzt hier und wartet auf uns?« Wir stehen vor einer Schlucht mit einem Wasserfall. An beiden Seiten führen steinerne Stufen die schmalen Wege hoch, nur ein wackliges Geländer schützt vor dem Absturz in die tiefe Schlucht. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen verbinden nicht sehr vertrauenserweckende Holzbrücken die beiden Aufstiege miteinander. »Wollen wir?«

      »Wenn’s sein muss.« Er nickt mir zu und folgt mir dann die Stufen hinauf. Der Weg ist idyllisch, eigentlich der perfekte Ort für eine Hexe, die sich der Natur verbunden fühlt. Unterwegs begegnen uns ein paar Wanderer und grüßen freundlich. Ab und zu machen wir eine Verschnaufpause und genießen die Aussicht, aber recht bald kommen wir oben an und tauchen in ein Waldstück ab. Wir lassen uns den Weg entlangtreiben, bis mein Freund plötzlich stehen bleibt.

      »Sieh mal!« Er deutet auf einen Torbogen, der in eine Höhle zu führen scheint und von Pflanzen verdeckt ist. Ich nicke anerkennend, bevor wir uns dem Bogen nähern. Schnell stellen wir fest, dass der Weg nicht in eine Höhle führt, sondern auf die andere Seite eines Bergkamms. Ein paar Treppenstufen später stehen wir im Innenhof einer alten Klosterruine und schauen uns verblüfft um. Um so etwas Großes in den Bergen zu verstecken, braucht es einiges an Aufwand.

      Mein Freund setzt sich auf einen umgekippten Steinblock und fährt sich mit den Händen durchs Gesicht, während ich durch die Ruine streife und nach Hinweisen auf die Anwesenheit von Hexen suche. Bis auf leere Bierdosen und ein paar armseligen Graffitis finde ich allerdings nichts und kehre zum Steinblock zurück, um mich neben ihn zu setzen.

      »Und jetzt?«, fragt mein Freund und wirft mir einen Blick zu. »Drehen wir um? Zurück nach München?«

      Ich schüttle den Kopf. »Irgendwas ist hier. Das spüre