DAS DING AUS DEM SEE. Greig Beck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Greig Beck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958355361
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irgendwie immer das Beste in ihm zum Vorschein zu bringen.

      Er trank seinen Kaffee bis auf den letzten Schluck aus und atmete dann tief ein. Er verspürte plötzlich einen Anflug von Nervosität tief in seiner Magengrube. So viel hing von diesem Projekt ab. Er hatte bereits fast eine Million Dollar für den Kauf der Mühle, der Ausrüstung und für Yuris Anstellung ausgegeben. Selbst die Reisekosten waren erheblich. Und all das bekam er auf Jahre nicht zurück. Der Topf voll Gold am Ende des Regenbogens war vielleicht turmhoch gefüllt, aber der Weg dorthin war voller Risiken, Herausforderungen und Bergen harter Arbeit.

      Marcus kam sich auf einmal wie ein Glücksspieler vor, der ein gutes Blatt hatte und all seine Jetons deshalb in die Mitte des Tisches schob, während die anderen Spieler nur lächelten. Er konnte das Gefühl einfach nicht abschütteln, dass da etwas war, von dem er nichts wusste oder was er nicht bedachte.

      Er drehte sich jetzt nach links und sah, wie die Landschaft vorbeizog. Sie hatten sämtliche bewohnte Gegenden längst hinter sich gelassen und das Land wechselte nun zwischen endlosen Ebenen braunen, spitzen Grases und bewaldeten Dickichten, die sich bis zum Wasser erstreckten. Es gab auch Klippen aus verwittertem Stein, von denen manche hundert Meter und mehr in die Höhe ragten.

      Das Land war wild, alt und mysteriös. Es war ein Ort der Geheimnisse und Rätsel, und es war kein Wunder, dass es Legenden über seine tiefen Wasser und dunklen Wälder gab. Der moderne Mensch war schon seit Jahrhunderten hier, und es gab Höhlenmalereien, die Geschichten über das Land erzählten, welche sich Zehn- oder sogar Hunderttausende Jahre zurück erstreckten.

      Sie passierten eine Felsenzunge an der Wasserlinie, wo einige Robben ihre Köpfe hoben, um zuzusehen, wie sie vorbeisausten. Yuri hatte ihm erklärt, dass sie so weit wie möglich von dem leben würden, was ihnen das Land gab, um Geld zu sparen, und dass auch die hier ansässigen Baikal-Robben essbar waren. Doch Marcus glaubte nicht, dass er das über sich bringen würde, da sie ihn viel zu sehr an glänzende Hunde erinnerten.

      Allerdings waren sie bei einem ihrer letzten Besuche einer dicht gedrängten Robbenkolonie begegnet, und obwohl die Beluga-Störe viel zu groß waren und zu weit unten im Wasser lebten, als dass die Robben sie jagen könnten, würden sie einen jüngeren Stör durchaus als Mahlzeit betrachten können. Hinzu kam noch, dass seine Netzgehege kein Problem für die Robben darstellen würden, da diese einfach über den oberen Rand des Netzes gleiten oder hineintauchen könnten.

      Als Marcus dieses Risiko geäußert hatte, hatte Yuri seine Jacke geöffnet und eine Handfeuerwaffe hervorgeholt. Ehe Marcus etwas hatte sagen können, hatte er zweimal in die Luft gefeuert. Wie durch Zauberhand waren die Robben kurz darauf verschwunden.

      »In dieser Gegend sind wir der Boss, nicht die Robben.« Der große Russe hatte anschließend gegrinst und so getan, als würde er Rauch von der Mündung pusten.

      Marcus hatte den Kopf geschüttelt und gelacht. »In Russland herrschen wohl andere Sitten, nehme ich an.«

      »Nein, schlimmer: Du bist hier in Sibirien.« Yuri hatte Marcus auf den Oberschenkel geschlagen und so heftig gelacht, dass sein Sitz gequietscht hatte wie eine gequälte Maus.

      Verdammt richtig, dachte Marcus jetzt. Aber er fragte sich immer noch, warum Yuri der Meinung war, eine Handfeuerwaffe zu brauchen.

      Gegen vier Uhr nachmittags drehte sich Yuri zu ihm. »Nicht mehr lang jetzt.« Er zeigte nach vorn.

      »Nur noch um diese Kurve.«

      Allerdings befand sich diese Kurve noch in weiter Ferne, der Tag war fast vorüber und das Eis schimmerte durch die untergehende Sonne in einem verbrannten Orange, und sobald das Sonnenlicht komplett verschwunden war, würde die Temperatur rapide sinken. Ehe sie sich versahen, würde es weit unter null Grad sein.

      Marcus zog sich seinen dicken Pullover-Kragen wieder übers Kinn, während die Heizung in der Fahrerkabine gegen die Kälte draußen ankämpfte. Sein Atem dampfte bereits, doch er entdeckte jetzt endlich Orientierungspunkte, an die er sich von seinen früheren Besuchen erinnerte.

      Auch wenn er schon viele Male hier gewesen war, verspürte er ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch, weil sein ehrgeiziges Projekt jetzt wirklich real geworden war.

      Er lächelte unwillkürlich, als sie die letzte Kurve nahmen. Die Mühle lag so abgeschieden wie nur irgend möglich und war sonst nur per Boot über den eigenen, privaten Anlegeplatz zugänglich. Eine weitere Besonderheit der Lage bestand darin, dass die Kommunikation in manchen Bereichen des Baikalsees bestenfalls unregelmäßig möglich war, an manchen Tagen drang hingegen nichts hinein und nichts heraus.

      Marcus war schon zu verschiedenen Jahreszeiten hier gewesen, daher wusste er, dass das Ufergebiet umwerfend war. Der See war während des Winters und für den Großteil des Herbstes und Frühlings eine weiße Wüste, aber wenn es wärmer wurde, entstand hier ein Wunderland aus Wildblumen, und der sommerliche See war so glasklar, dass man sogar den Grund in fünfzig Metern Wassertiefe sehen konnte.

      Der Komplex und das umliegende Land, das ihm jetzt gehörte, waren riesig, und darauf befand sich sowohl das Haus des Managers, das fast schon eine Villa war sowie einige kleinere Gebäude für die Angestellten. Das Betriebshaupthaus, das jeder noch immer das Mühlenhaus nannte, würde er zu einem voll funktionsfähigen Brut-Haus und Labor umbauen lassen.

      Marcus Lächeln wurde immer breiter, als er sich vorstellte, wie er und Sara am Abend auf der Veranda sitzen, Glühwein schlürfen und über das kristallklare Wasser hinaus blicken würden. Sein Lächeln verwandelte sich kurz darauf in ein Grinsen, denn er konnte sich deutlich schlimmere Orte zur Familiengründung vorstellen. Er hoffte nur, dass Sara auch so dachte.

      Die Nacht brach schnell herein, und als sie die Kurve umrundeten, war das Erste, das Marcus sah, Licht im Haupthaus. »Hey, da ist ja jemand zu Hause.«

      Yuri grinste. »Vielleicht der Geist des früheren Besitzers.« Er sah ihn theatralisch an und zog die Augenbrauen hoch. »Ich glaube, hier hat mal ein kopfloser Reiter gewohnt. Du gehst am besten vor, ich habe nämlich Angst vor Geistern.«

      Der Truck wurde jetzt langsamer, als er sich dem zugefrorenen Anlegeplatz näherte. Sobald sie sich daneben befanden, ließ Yuri den Motor ein paar Mal aufheulen, während sich der Truck über die Schräge der Eisoberfläche aufs Land bewegte, und dann anhielt.

      Anschließend steckte er sich seine Pfeife in den Mund, lehnte sich aus dem Fenster und sah zum beleuchteten Haus hinüber.

      »Wer ist da drin?«, fragte Marcus.

      Yuri schüttelte seinen großen Kopf. »Ich weiß es nicht.« Er wischte sich die riesigen Hände an seinem schweren Strickpullover ab und öffnete dann mit der Schulter die Tür, während die Scharniere unfassbar laut quietschten. »Lass uns rausfinden, wer unsere Gäste sind.«

      »Ich glaube, sie haben uns schon entdeckt.« Marcus konnte jetzt vier Menschen über den Pfad auf sie zu kommen sehen. Er und Yuri wichen nicht von der Stelle, doch er sah, wie der große Russe verstohlen nach seinem Revolver tastete, der sich in einem Holster hinten an seiner Hüfte befand.

      Marcus wartete stumm, und Yuri ließ die Arme jetzt auch wieder locker neben seinem Körper hängen.

      »Privet, Mr. Stenson!« Der Mann, der ganz vorne ging, winkte ihnen zu.

      »Zdravstvuyte«, antwortete Yuri und drehte sich dann halb zu Marcus um. »Sie kennen dich offenbar, also sind sie möglicherweise in Ordnung. Der Akzent stammt eindeutig von hier.«

      Marcus nickte. Yuri musste nicht übersetzen, weil er die Begrüßung laut und deutlich verstanden hatte. Die Männer sahen ein wenig asiatisch oder mongolisch aus, mit hohen Wangenknochen und Falten über den Augen. Wer immer sie waren, sie waren offenbar hier, um ihn zu treffen.

      »Zdravstvuyte, zdravstvuyte.« Marcus trat jetzt vor und der Anführer kam schnurstracks auf ihn zu und streckte seine Hand aus. Marcus ergriff sie und der Kerl drückte seine Hand daraufhin wie eine Wasserpumpe.

      »Glückwunsch zu Mühle öffnen. Sie, ähm …« Er sah zum Himmel hinauf, während er sich seine nächsten Worte zu überlegen schien,