Am Ende sterben wir sowieso. Adam Silvera. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adam Silvera
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783038801191
Скачать книгу
verloren hat. Bestimmt lassen sie ihn trotzdem problemlos hinein. Ich folge ihm und werde benachrichtigt, sobald er etwas Neues schreibt.

      Dann wechsele ich zu einem anderen Todgeweihten. Benutzername: WebMavenMarc. Marc war Social-Media-Manager bei einem Getränkeunternehmen, was er gleich zweimal erwähnt, und er weiß nicht genau, ob seine Tochter es noch rechtzeitig zu ihm schafft. Es ist, als stünde dieser Todgeweihte direkt vor mir und schnippte mir mit den Fingern ins Gesicht.

      Ich muss Dad besuchen gehen, auch wenn er nicht bei Bewusstsein ist. Er muss wissen, dass ich bei ihm war, bevor ich gestorben bin.

      Also lege ich den Laptop weg, ignoriere die Benachrichtigungstöne der paar Leute, denen ich folge, und gehe direkt in Dads Schlafzimmer. Sein Bett war an dem Morgen, als er damals zur Arbeit gegangen ist, ungemacht, aber ich habe es inzwischen in Ordnung gebracht und die Decke ganz unter die Kissen geschoben, wie er es mag. Ich sitze auf seiner Seite des Bettes – der rechten, weil meine Mutter offenbar immer lieber links geschlafen hat und er ihr auch nach ihrem Tod einen Platz in seinem Leben bewahrt hat – und nehme das gerahmte Foto in die Hand, auf dem Dad mir an meinem sechsten Geburtstag hilft, die Kerzen auf dem Toy Story-Kuchen auszupusten. Na ja, eigentlich hat Dad sie ganz allein ausgepustet. Auf dem Bild lache ich ihn an. Er sagt, mein fröhlicher Gesichtsausdruck sei der Grund dafür, dass er das Foto immer in seiner Nähe haben möchte.

      Es klingt vielleicht komisch, aber Dad ist genauso mein bester Freund wie Lidia. Das könnte ich nie laut aussprechen, ohne dass sich jemand über mich lustig machen würde, aber wir beide hatten immer eine gute Beziehung. Nicht perfekt, doch ich bin sicher, die meisten befreundeten Menschen da draußen – in meiner Schule, in dieser Stadt und am anderen Ende der Welt – ärgern sich mit dummen und wichtigen Dingen herum, und die engsten Freunde finden einfach einen Weg, damit umzugehen. Dad und ich hätten nie einen so heftigen Streit gehabt, dass wir nicht mehr miteinander reden. Nicht wie einige dieser Todgeweihten auf Countdown, die ihre Väter so sehr hassen, dass sie sie nicht mal auf dem Totenbett besuchen oder sich weigern, sich vor ihrem eigenen Tod mit ihnen zu versöhnen. Ich nehme das Foto aus dem Rahmen, falte es in der Mitte und stecke es in die Hosentasche – ich glaube nicht, dass der Knick Dad stören wird. Dann stehe ich auf, um mich auf den Weg zum Krankenhaus zu machen, wo ich mich verabschieden werde und dafür sorgen will, dass er das Foto neben sich hat, wenn er endlich wieder aufwacht. Ich will dafür sorgen, dass er schnell beruhigt ist, als wäre es ein ganz normaler Morgen, bevor ihm irgendjemand sagt, dass ich nicht mehr da bin.

      Ich gehe aus dem Zimmer, fest entschlossen, die Wohnung zu verlassen, um meinen Plan in die Tat umzusetzen, als ich das schmutzige Geschirr in der Spüle entdecke. Das sollte ich noch spülen, damit Dad, wenn er nach Hause kommt, nicht lauter dreckige Teller und Becher mit eingetrockneten Flecken von der ganzen heißen Schokolade vorfindet, die ich getrunken habe.

      Das ist auch ganz bestimmt keine Ausrede, damit ich nicht rausgehen muss.

      Ehrlich.

      RUFUS

      01:41 Uhr

      Sonst sind wir immer auf unseren Rädern durch die Straßen gebrettert, als würden wir ein Rennen ohne Bremsen fahren, aber heute nicht. Wir schauen dauernd nach links und rechts und bleiben wie jetzt an roten Ampeln stehen, obwohl weit und breit kein Auto kommt. Wir fahren durch die Straße, wo Clint’s Graveyard, dieser Club für Todgeweihte, liegt. Eine Menge Leute um die zwanzig haben sich davor versammelt und in der Schlange herrscht Chaos. So ist den Türstehern, die mit den ganzen Todgeweihten und ihren Freunden zu tun haben, weil sie ein letztes Mal auf der Tanzfläche ausflippen wollen, immerhin ihre Kohle sicher.

      Ein megahübsches braunhaariges Mädchen weint, als ein Typ sie mit einem lahmen Anmachspruch anquatscht (»Vielleicht lebst du noch länger, wenn du ein paar Vitamine von mir in dir hast«), und ihre Freundin holt mit ihrer Handtasche nach ihm aus, bis er sich verzieht. Das arme Mädchen hat nicht mal Ruhe vor solchen Arschlöchern, wenn sie um sich selbst trauert.

      Es wird grün und wir fahren weiter. Kurz darauf kommen wir endlich bei Pluto an. Die heruntergekommene Doppelhaushälfte unserer Pflegefamilie hat eine ziemlich ramponierte Fassade – fehlende Ziegel, unleserliche, aber bunte Graffiti. Die Fenster im Erdgeschoss sind vergittert, nicht weil wir Gangster wären oder so, sondern damit niemand einbricht und Kids ausraubt, die schon mehr als genug verloren haben. Nachdem wir unsere Räder unten an der Treppe abgestellt haben, laufen wir zur Tür und betreten das Haus. Wir gehen den Flur entlang und machen uns nicht die Mühe, den Weg zum Wohnzimmer über den schäbigen Fliesenboden mit Schachbrettmuster auf Zehenspitzen zurückzulegen. Obwohl dort eine Pinnwand mit Infos zum Thema Sex, HIV-Tests, Abtreibung und Adoptionskliniken neben ähnlichen Flyern hängt, fühlt sich das Zimmer wie ein Zuhause an und nicht wie irgendein Heim.

      Es gibt einen Kamin, der zwar nicht funktioniert, aber trotzdem geil aussieht. Die in warmem Orange gestrichenen Wände, die mich schon im Sommer auf den Herbst vorbereitet haben. Den Eichentisch, um den wir uns nach dem Abendessen versammeln, um Cards Against Humanity und Tabu zu spielen. Und da ist auch der Fernseher, in dem ich mit Tagoe immer die Serie Hipster House gesehen habe, obwohl Aimee die Hipster so ätzend fand, dass es ihr lieber gewesen wäre, ich hätte stattdessen Cartoonpornos geguckt. Außerdem das Sofa, auf dem wir abwechselnd pennen, weil es bequemer ist als unsere Betten.

      Wir gehen rauf in den ersten Stock in unser Zimmer, das so klein ist, dass nicht mal eine Person bequem darin wohnen könnte, geschweige denn drei, aber wir kriegen es trotzdem hin. An den Tagen, an denen Tagoe Bohnen gegessen hat, lassen wir nachts immer das Fenster offen, obwohl es draußen megalaut ist.

      »Ich muss das jetzt loswerden«, sagt Tagoe, während er die Tür hinter uns zumacht. »Du bist echt weit gekommen. Überleg mal, was du alles gemacht hast, seit du hier gelandet bist.«

      »Es gibt noch so viel, was ich tun könnte.« Ich setze mich auf mein Bett und lasse den Kopf auf die Kissen sinken. »Es ist voll der Stress, mein ganzes Leben an einem einzigen Tag durchzuziehen, Alter.« Vielleicht nicht mal ein ganzer Tag. Ich kann von Glück reden, wenn ich noch zwölf Stunden habe.

      »Niemand erwartet von dir, ein Heilmittel gegen Krebs zu finden oder die Pandas vor dem Aussterben zu retten«, sagt Malcolm.

      »Ja, die vom Todesboten haben echt Glück, dass sie nicht vorhersagen können, wann ein Tier stirbt«, sagt Tagoe. Ich sauge lautstark die Luft ein und schüttele den Kopf, weil er sich für Pandas interessiert, während sein bester Freund stirbt. »Was denn? Stimmt doch! Der ganze Planet würde dich hassen, wenn du den allerletzten Panda anrufen würdest. Stell dir bloß mal die Medien vor, es gäbe Selfies und …«

      »Wir habens kapiert«, unterbreche ich ihn. Ich bin kein Panda, also interessieren sich die Medien einen Scheiß für mich. »Ihr müsst mir einen Riesengefallen tun. Weckt Jenn Lori und Francis. Sagt ihnen, ich will ’ne Trauerfeier, bevor ich wieder verschwinde.« Francis hat mich nie wirklich gemocht, aber diese Einrichtung hat mir ein Zuhause gegeben, und das ist mehr, als andere jemals bekommen.

      »Bleib besser hier«, sagt Malcolm. Er macht den einzigen Schrank auf. »Vielleicht können wir es ja verhindern. Du könntest die Ausnahme sein! Wir können dich hier einsperren.«

      »Dann ersticke ich oder das Brett mit deinen scheißschweren Klamotten zertrümmert mir den Schädel.« Er sollte nicht so dumm sein, an Ausnahmen und so einen Mist zu glauben. Ich setze mich auf. »Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, Leute.« Ich zittere leicht, aber ich reiße mich zusammen. Ich darf jetzt nicht ausrasten.

      Tagoe zuckt. »Können wir dich allein lassen?«

      Es dauert einen Moment, bevor ich kapiere, was er meint. »Ich bring mich nicht um«, sage ich.

      Ich will nicht sterben.

      Also lassen sie mich allein zurück mit Wäsche, die ich nie mehr waschen muss, und Aufgaben für den Sommerkurs, die ich nie mehr fertig machen muss – oder auch nur damit anfangen. In der Ecke meines Bettes liegt zusammengeknüllt Aimees gelbe Decke mit dem bunten Kranichmuster, die ich mir um die Schultern lege. Die Decke hatte Aimee schon als Kind, sie war ein Überbleibsel aus der Kindheit ihrer Mutter. Wir sind zusammengekommen, als