Am Ende sterben wir sowieso. Adam Silvera. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adam Silvera
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783038801191
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Und wie du gesagt hast – es bringt nichts zu lügen, nicht mal an deinem letzten Tag.« Sie hält weinend meine Hand. Ich war mir nicht sicher, ob es so weit kommen würde, weil sie so extrem sauer war, als sie hier aufgetaucht ist. »Ich hab unsere Liebe falsch eingeschätzt, aber das heißt nicht, dass ich dich nicht mehr liebe. Du warst für mich da, wenn ich aus mir rausgehen und wütend sein musste, und hast mich glücklich gemacht, wenn ich genug davon hatte, alles zu hassen. Ein Versager kann einem ein solches Gefühl nicht geben.« Sie nimmt mich in den Arm und legt ihr Kinn auf meine Schulter, genau wie sie sich früher immer an meine Brust geschmiegt hat, wenn sie eine ihrer Geschichts-Dokus gucken wollte.

      Ich halte sie schweigend, weil ich nichts Neues zu sagen habe. Ich würde sie gern küssen, aber ich will nicht, dass sie mir etwas vorspielt. Sie ist mir extrem nah und ich löse mich etwas von ihr, damit ich ihr Gesicht sehen kann, denn vielleicht kann sie sich einen letzten Kuss ja doch vorstellen. Sie sieht mich an und ich beuge mich vor …

      Da kommt Tagoe ins Wohnzimmer und hält sich die Augen zu. »Oh! ’tschuldigung.«

      Ich weiche zurück. »Nee, schon okay.«

      »Wir sollten mit der Trauerfeier anfangen«, sagt er. »Aber lass dir Zeit. Der Tag gehört dir. Tut mir leid, blöder Spruch, ist schließlich nicht dein Geburtstag, eher das Gegenteil.« Er zuckt. »Ich hol den Rest, okay?« Er verschwindet.

      »Ich will dich den anderen ja nicht vorenthalten«, sagt Aimee. Sie hält mich fest, bis alle reinkommen.

      Diese Umarmung hatte ich bitter nötig, und ich freue mich schon auf eine letzte Plutosonnensystem-Gruppenumarmung nach der Trauerfeier.

      Ich bleibe in der Mitte des Sofas sitzen. Meine Lunge japst wie verrückt nach dem nächsten Atemzug. Malcolm sitzt links von mir, Aimee rechts und Tagoe zu meinen Füßen. Peck hält sich abseits und spielt an Aimees Handy herum. Es kotzt mich an, dass er ihr Handy hat, aber seins hab ich schließlich kaputt gemacht, also muss ich die Klappe halten.

      Das ist meine erste Trauerfeier für einen Todgeweihten. Meine Familie hat sich nicht die Mühe gemacht, eine für sich zu organisieren, weil wir ja einander hatten und sonst niemand brauchten, keine Kollegen oder alten Freunde. Wenn ich schon bei anderen Feiern gewesen wäre, dann wäre ich vielleicht darauf vorbereitet, dass Jenn Lori jetzt nicht die übrigen Anwesenden, sondern nur mich direkt anspricht. Das gibt mir das Gefühl, ganz verletzlich zu sein und im Mittelpunkt zu stehen, wovon ich feuchte Augen bekomme, wie wenn jemand Happy Birthday für mich singt – echt, das ist jedes Jahr dasselbe.

      War dasselbe.

      »… Du hast nie geweint, obwohl du allen Grund dazu hattest, als wolltest du uns etwas beweisen. Die anderen …« Jenn Lori wendet sich nicht an die Plutos, nicht mal ein bisschen. Sie hält den Blickkontakt mit mir, als wär das ein Wettbewerb im Starren. Respekt. »Sie haben alle geweint, aber du hattest so traurige Augen, Rufus. Ein paar Tage lang hast du keinen von uns angesehen. Wenn sich jemand anders für mich ausgegeben hätte, wäre es dir nicht aufgefallen, davon bin ich überzeugt. Deine innere Leere lastete schwer auf dir, bis du Freunde fandest – und noch mehr.«

      Ich drehe mich zu Aimee um, die ihren Blick nicht von mir löst. Es ist derselbe traurige Blick, den sie auch aufgesetzt hat, als sie mit mir Schluss gemacht hat.

      »Ich hatte immer ein gutes Gefühl, wenn ihr alle zusammen wart«, sagt Francis.

      Damit meint er nicht heute Nacht, das weiß ich. Zu sterben ist bestimmt scheiße, aber im Knast zu landen, während das Leben da draußen ohne dich weitergeht, muss noch beschissener sein.

      Francis sieht mich weiter an, sagt aber sonst nichts. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.« Er winkt Malcolm zu sich. »Du bist dran.«

      Malcolm tritt in die Mitte des Zimmers, seinen gekrümmten Rücken zur Küche gewandt. Er räuspert sich. Es klingt rau, als hätte er was im Hals stecken, und etwas Spucke fliegt ihm aus dem Mund. Er war schon immer ein Chaot, die Art Kumpel, der dich unabsichtlich blamiert, weil er keine Tischmanieren hat und sich nicht bremsen kann. Aber genauso gut kann er dir Nachhilfe in Algebra geben und es für sich behalten, und das sind die Dinge, über die ich sprechen würde, wenn ich eine Grabrede für ihn halten müsste. »Du warst … du bist unser Bruder, Roof. Das ist alles Scheiße. Voll verfickte Scheiße.« Er lässt den Kopf hängen und knabbert an der Nagelhaut seiner linken Hand. »Sie sollten lieber mich nehmen.«

      »Sag nicht so was. Echt jetzt, halt’s Maul, Alter.«

      »Ich mein’s ernst«, erwidert er. »Schon klar, dass kein Mensch ewig lebt, aber du solltest länger leben als andere. Du bist mehr wert als andere Leute. Aber so ist das Leben. Ich bin ein totaler Loser und kann noch nicht mal ’nen Job als Einpacker an der Supermarktkasse behalten, und du …«

      »… und ich sterbe!«, unterbreche ich ihn und stehe auf. Ich bin sauer und boxe ihn heftig auf den Arm. Entschuldige mich auch nicht. »Ich sterbe und wir können nicht tauschen. Du bist kein totaler Loser, aber du könntest dich trotzdem noch ’n bisschen ranhalten.«

      Tagoe steht auf, massiert sich den Nacken und unterdrückt ein Zucken. »Ey, Roof, ich werds vermissen, wie du uns immer zusammengefaltet hast. Du hast mich so oft davon abgehalten, Malcolm umzubringen, wenn er, ohne rot zu werden, einfach unsere Teller leer gegessen hat. Und ich hab gedacht, ich würde deine beschissene Fresse sehen, bis wir alt sind.« Tagoe setzt die Brille ab, wischt sich mit dem Handrücken die Tränen weg und macht dann eine Faust. Er schaut hoch, als würde er damit rechnen, dass jeden Moment eine Todespiñata von der Decke fallen könnte. »Du sollst doch leben.«

      Niemand sagt etwas, sie weinen alle nur noch heftiger. Von diesem Geheule, bevor ich überhaupt tot bin, krieg ich ’ne fette Gänsehaut. Ich will sie trösten, aber ich bin viel zu benommen. Nachdem ich meine Familie verloren hatte, hatte ich lange Zeit Schuldgefühle, weil ich selbst noch am Leben war, und jetzt fühle ich mich – typisch Todgeweihter – schuldig, weil ich sterbe und diese Leute hier zurücklasse.

      Aimee tritt in die Mitte und wir wissen alle, dass es jetzt megatraurig wird. Brutal. »Ist es erbärmlich, zu sagen, ich hab das Gefühl, in einem Albtraum festzusitzen? Ich fand, es klang immer so übertrieben dramatisch, wenn jemand gesagt hat: ›Das ist wie ein Albtraum.‹ Das soll alles sein, wenn was Tragisches passiert?, hab ich dann immer gedacht. Ich weiß nicht, wie sich die Leute sonst fühlen sollten, aber jetzt kann ich sagen, sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Noch ’ne Floskel, aber egal. Ich will aufwachen. Und wenn das nicht geht, will ich für immer irgendwo schlafen, wo ich lauter Schönes von dir träumen kann, zum Beispiel wie du mich um meiner selbst willen angesehen hast und nicht, um diesen Mist in meinem Gesicht anzustarren.«

      Aimee legt die Hand aufs Herz und die nächsten Worte bleiben ihr fast im Hals stecken. »Der Gedanke tut so weh, Rufus, dass du nicht mehr da sein wirst und ich dich nicht anrufen oder umarmen oder …« Sie wendet den Blick von mir ab, sieht auf etwas hinter mir und lässt die Hand sinken. »Hat jemand die Polizei gerufen?«

      Ich springe auf und sehe die roten und blauen Lichter vor dem Haus aufblitzen. Ich schiebe die totale Panik, was sich gleichzeitig irre kurz und extrem lang anfühlt, wie acht Ewigkeiten. Nur einer ist nicht überrascht oder am Ausflippen. Ich drehe mich zu Aimee um, und ihr Blick folgt meinem zurück zu Peck.

      »Das glaub ich jetzt nicht«, sagt Aimee und stürmt auf ihn zu. Sie reißt ihm das Telefon aus der Hand.

      »Er hat mich zusammengeschlagen!«, brüllt Peck. »Mir doch egal, wenn er heute abtreten muss!«

      »Was bist du nur für ein Arsch!«, brüllt Aimee zurück.

      Heilige Scheiße. Ich weiß nicht, wie Peck es angestellt hat, denn er hat hier ja nicht telefoniert, aber er hat bei meiner eigenen Trauerfeier die Bullen auf mich gehetzt. Ich hoffe, der Todesbote ruft diesen Hurensohn in den nächsten paar Minuten an.

      »Los, hau hintenrum ab«, sagt Tagoe und zuckt wie verrückt.

      »Ihr müsst mitkommen, ihr wart doch auch dabei.«

      »Wir halten sie auf«, sagt Malcolm. »Und reden ihnen das aus.«

      Es