Автор: | Greg F. Gifune |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9783958350885 |
erzählten immer, wie schön es ist. Im Winter muss man sich eigentlich an wärmere Gegenden halten, wenn man auf der Straße lebt, aber ich dachte, dieses Jahr gehe ich mal nach Norden. Montreal oder so. Da wollte ich schon hin, seit ich ein kleines Mädchen war.« Sie schien sich ein wenig zu entspannen und zog die Decke mit ihrer freien Hand näher an sich heran. »Ich war also gerade auf dem Weg dahin, per Anhalter, und dieser Typ hat mich kurz hinter Portland aufgesammelt. So ein Redneck, ein Hinterwäldler, ihr wisst schon. Aber ich bin schließlich schon seit Jahren alleine unterwegs, ich kann auf mich aufpassen, okay?« Ihre Stimme wurde brüchig. Sie schaute in ihre Kaffeetasse hinein und drückte sie auf einmal Seth in die Hand, als würde der Inhalt sie plötzlich anekeln. Er nahm sie ihr ab, und Christy rutschte noch tiefer in die Decken hinein, während eine einzelne Träne ihre Wange hinab lief. Obwohl sie im ersten Moment unglaublich jung erschien, verriet ein genauerer Blick in ihr Gesicht, dass ihr kurzes Leben verdammt hart gewesen sein musste. Ein Mädchen ihres Alters sollte nicht so stumpfe Augen haben, die einerseits abgehärtet und desillusioniert wirkten, gleichzeitig aber voller Sorge waren. Seth war sich sicher, dass sie nicht nur ein kleines Mädchen war, das tough wirken wollte – sie war es wirklich. »Wenn man auf der Straße lebt, dann muss man manchmal Dinge tun …«, murmelte sie, »… man muss überleben.« Louis schüttelte den Kopf. »Okay, ich kapiere. Du bist 'ne Nutte.« »Ignoriere ihn.« Seth warf Louis einen vernichtenden Blick zu, dann wandte er sich mit einem viel freundlicheren Gesichtsausdruck wieder Christy zu. »Das machen wir auch die ganze Zeit.« »Ich bin keine Nutte – also, nicht wirklich … ich meine, ich habe schon so einige Sachen gemacht, um zu überleben, auf die ich nicht gerade stolz bin … aber ich stehe jetzt nicht an der Straßenecke unter einer Laterne, ich–« »Christy«, sagte Seth ruhig, »was ist mit dem Mann passiert, der dich im Auto mitgenommen hat.« Ihr Gesicht leerte sich, die Emotion verschwand. »Er hat mich früh morgens eingesammelt. Also so richtig früh, noch im Morgengrauen. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich die ganze Nacht gelaufen bin, oder ob ich anhielt, um ein bisschen zu schlafen … Ich kann mich einfach nicht erinnern. Aber als er neben mir stoppte, war ich noch nicht weit von Portland entfernt. Von der Nacht davor weiß ich nur noch, dass ich unglaublich müde war. Ich hatte meinen Rucksack dabei und hatte überlegt, mich einfach in den Wald neben der Straße zu legen. Es war kaum Verkehr, so gut wie gar keine Autos, und es hat geregnet. Ich erinnere mich … ich erinnere mich an den Regen. Der war so schön kühl. Ich meine diese total schöne, friedliche Art von Regen, wisst ihr? Jedenfalls war ich so müde und meine Beine taten weh vom Laufen – ich bin an dem Tag echt viel gelaufen – und ich erinnere mich, wie schön der Regen war, bis er zu einem Sturm wurde … einem richtigen Unwetter. Ich hatte Angst – eigentlich weiß ich gar nicht genau, warum. Ich meine, ist ja nicht so, als wäre ich noch nie in einen Sturm geraten. Aber da war irgendwas komisch, irgendwas fühlte sich falsch an. Irgendwie so, wie ein übler Trip.« »Schon klar«, seufzte Louis, »Welche Art von Drogen hattest du genommen?« Christys Gesichtsausdruck sprang zurück aus dem tranceartigen Zustand und sie sah auf einmal wieder ganz traurig und schwach aus. »Ich rauche manchmal ein bisschen Gras, na und?« »Das ist voll in Ordnung«, versicherte Seth, »was ist aus dem Mann geworden?« »Ich kann mich nur erinnern, wie er am nächsten Morgen rechts ran gefahren ist, um mich mitzunehmen. Es war total früh, das habe ich ja schon gesagt, und irgendwie kam mir der Typ komisch vor. Aber ich war so müde und es waren weit und breit keine anderen Autos unterwegs, also bin ich eingestiegen.« Ihre Gesichtszüge verkrampften sich, offensichtlich zwang sie sich dazu, Dinge zu erzählen, an die sie sich am liebsten gar nicht erinnern wollte. »Er sagte, dass er bis nach Cutler fahren würde, und das ist voll nah an der kanadischen Grenze. Er meinte, er könnte mich die ganze Strecke mitnehmen. Er hat auch nichts probiert, wenn ihr wisst, was ich meine, aber irgendwas stimmte mit ihm nicht. Wenn man in so vielen komischen Autos mitgefahren ist, wie ich, dann kriegt man dafür so 'ne Art sechsten Sinn. Aber mir war klar, dass ich auf den Typen angewiesen war, also dachte ich, ich schaue einfach mal, wie sich das Ganze entwickelt.« »Nach ein paar Stunden schlief ich ein«, fuhr sie fort. »Das sollte man nie machen, wenn man per Anhalter fährt, aber ich konnte nichts dagegen machen … ich konnte die Augen nicht mehr offen halten. So bin ich dann eingeschlafen. Ich weiß nicht, wie lange ich weg war, aber als ich aufwachte, waren wir nicht mehr auf dem Highway. Davon bin ich nämlich aufgewacht; die Straße war auf einmal total hubbelig, und ich habe gesehen, dass wir auf irgendeiner Schotterpiste durch den Wald fuhren. Ich fragte ihn, was los sei, und wo wir hinfahren, aber er … er sagte einfach gar nichts. Stattdessen hat er mich geschlagen; plötzlich hat er mir mit dem Handrücken auf den Mund geschlagen. Ich konnte es gar nicht glauben, und dachte: Dieser Typ wird mich töten, er wird mich vergewaltigen und mich dann hier im Wald vergraben. Wir waren schließlich schon in totalem Niemandsland und ich hatte keine Chance, abzuhauen.« Seth musste einen Anflug von Zorn herunter schlucken. Die Vorstellung, dass jemand Christy etwas antat, brachte sein Blut zum Kochen. »Hast du deswegen die blauen Flecken an den Handgelenken und Knöcheln?« Christy starrte die Wunden an ihren Unterarmen an, als hätte sie vergessen, dass sie existierten. »Er hat mich immer gefesselt, wenn er mich nicht gerade …« Sie ließ, ihren Kopf sinken und weinte leise. »Es ist alles in Ordnung.« Seth legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. »Du bist jetzt in Sicherheit. Niemand wird dir mehr wehtun.« »Er brachte mich in eine Hütte«, sagte sie schließlich, wobei sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. »So ähnlich wie die hier, nur nicht so hübsch. Sie war älter und dreckig, ziemlich heruntergekommen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort war. Ein paar Tage vielleicht, ich … ich bin nicht sicher. Die meiste Zeit war ich gefesselt und hatte die Augen verbunden. Er war irre. Er hat mir immer wieder gesagt, wenn ich versuche zu fliehen oder wenn ich mich wehre, dann würde er mich töten, mich in kleine Stückchen zerschneiden und dann im Wald vergraben. Er sagte, niemand würde mich jemals finden, weil keiner nach mir suchen würde. Niemand würde sich um eine herumstreunende Hure sorgen.« »Wir müssen sie in ein Krankenhaus bringen«, sagte Darian leise. Aber Christy fuhr fort, als hätte sie ihn nicht gehört. »Er hatte diese riesige Axt, und eines Nachts war er total betrunken, und hat gesagt, er schneidet mir das Herz raus. Ich hatte die ganze Zeit schreckliche Albträume … nur … dass es eigentlich keine Albträume waren, weil ich wach war, und ich dachte, vielleicht verliere ich den Verstand. Ich dachte immer wieder über den Regen nach und den komischen Sturm in dieser Nacht, das ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Geht es immer noch nicht.« Christy fuhr sich durch die Haare und machte dabei ein leises, wimmerndes Geräusch. »Ich wusste, dass er mich in dieser Nacht töten würde. Die Augenbinde hat er mir immer abgenommen, wenn er mich vergewaltigt hat, aber meine Hände waren die ganze Zeit gefesselt. Bei diesem letzten Mal war es aber anders, da hat er das Seil durchgeschnitten und meine Hände freigelassen. Dadurch habe ich gewusst, dass er mich nun töten wollte. So wie ein großes Finale, wisst ihr? Er hat sogar die Axt in meine Nähe gelegt, sodass ich sie theoretisch erreichen könnte. Das hat er vorher noch nie gemacht. Wahrscheinlich dachte er, ich bin inzwischen so verängstigt und kraftlos, dass ich mich nicht mehr wehren würde. Aber genau das habe ich getan. Er war echt total besoffen, und dann fing er an, sich die Hose aufzumachen«, fuhr sie fort, »da sah ich eine Chance, also habe ich sie genutzt und …« Sie fing wieder an, zu schluchzen. »Jesus Christus«, rief Louis, »sie hat diesen Typen verdammt noch mal umgebracht!« Christys Kopf schnellte nach oben, ihre Augen suchten Louis durch die Tränen. »Ich wollte es nicht, ich schwöre bei Gott! Ich wollte – ich wollte ihn einfach nicht in meiner Nähe haben, ich – ich wollte nicht, dass er mich noch mal anfasst. Als ich mir die Axt geschnappt habe, da wollte ich doch nur, dass er mich gehen lässt … aber er kam auf mich zu, also habe ich die Axt mit aller Kraft, die ich noch hatte, geschwungen. Ich wollte ihn nur von mir fernhalten, ich …« Sie schwieg für einen Moment. »Er ist direkt in die Klinge gerannt. Sie hat ihn in der Magengegend erwischt. Er fiel über mich, wir kippten beide um, und er landete direkt auf mir drauf. Wir lagen auf dem Boden, und ich bekam ihn nicht von mir runter. Er gurgelte und blutete, und ich trat und zappelte und schrie … ich … ich wollte ihn wegstoßen.« Christy atmete tief ein und dann ganz langsam aus. »Irgendwie hab ich ihn dann von mir runter bekommen, dann bin ich zur Tür rausgerannt und in den Wald. Ich wusste nicht mal, wo ich war, aber ich rannte, so schnell ich konnte. Nach einer Weile sah ich Rauch über den Baumwipfeln und versuchte, in die Richtung zu laufen. Das muss von eurem Kaminfeuer gewesen sein, schätze ich.« »Als du rausgerannt bist, hat da der Mann noch gelebt?«, fragte Darian. Louis beantwortete die Frage: »Scheißegal.