FINSTERE NACHT. Greg F. Gifune. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Greg F. Gifune
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350885
Скачать книгу
keine Ahnung, was du meinst.« »Lou, wir müssen das Mädchen so oder so zu einem Arzt schaffen. Ab dem Punkt können die Behörden dann übernehmen.« »Absolut«, stimmte Darian zu. »Das alles hat nichts mit uns zu tun. Es ist nur so: Falls hier jemand in der Nähe schwer verletzt ist, dann müssen wir ihn oder sie so schnell wie möglich finden!« »Aber wir haben keine Ahnung, wo das Mädel herkam«, stellte Louis fest. Raymond zündete sich eine Zigarette an und rauchte sie ruhig. »Es kommen eine ganze Menge Szenarios infrage«, sagte Seth. »Absturz von einem Leichtflugzeug, Angriff von wilden Tieren, ein Jagdunfall – wer weiß?« »Ihr seid jetzt nicht mehr in der Stadt, Jungs.« Louis starrte immer noch in den Wald, der Gruppe hatte er den Rücken zugewandt. »Klar gibt es hier oben eine Menge kleiner Flugzeuge, aber wenn eins abgestürzt wäre, dann hätten wir das gehört und gesehen – zumindest als Rauchsäule am Himmel. Bei einem Jagdunfall hätten wir die Schüsse gehört. Wenn hier jemand ein Gewehr abfeuert, dann hört man das über Meilen entfernt so klar wie einen Glockenschlag. Und was wilde Tiere angeht, so ein Angriff wäre schon möglich, aber ziemlich unwahrscheinlich.« Er schaute lange genug über die Schulter, um den anderen einen allwissenden Blick zuzuwerfen. »Ich kenne die Gegend hier, okay? Ich weiß, wovon ich rede.« »Du leihst dir die Hütte vielleicht ein, zwei Mal im Jahr von deinem Onkel«, erinnerte ihn Seth, »du kommst hier für ein Wochenende mit deinen Kindern hoch, hackst ein bisschen Holz, machst ein Lagerfeuer und läufst mit dem Gewehr rum … und deswegen bist du ein Experte?« »Auf jeden Fall mehr als du, Meister, da kannst du deinen Arsch drauf verwetten!« »Na schön, wie wäre es dann mal mit einem intelligenten Rat, mit dem wir wirklich was anfangen können?« »Was denkst du denn, was ich gerade mache? Ihr Jungs seid zum ersten Mal hier oben. Ich mache das schon seit ein paar Jahren. Mehr sage ich gar nicht, okay?« Louis nahm seinen Wachdienst an der Tür wieder auf. »Was auch immer. Ihr großen Waldläufer werdet euch schon was einfallen lassen.« Raymond rauchte weiter seine Zigarette, schaute nun aber auf den Boden. »Reißt euch zusammen, es gibt hier Verletzte.« Darian sprang auf. »Wir müssen uns überlegen, was wir machen, und das muss schnell gehen!« »Louis, du hast mir mal gesagt, dass es hier in der Gegend noch andere Hütten gibt«, sagte Seth. »Welche liegt am nächsten in die Richtung, aus der sie kam, hinter diesem Bergrücken?« »Ich habe keine Ahnung. Ich weiß, wie man hierher kommt, und wie man wieder wegkommt. Das ist so ziemlich alles. Darum habe ich euch ja schon gesagt: Nicht alleine in den Wald gehen. Man kann sich hier draußen leicht verirren.« »Ja, aber du hast doch gesagt, es gibt hier noch andere Hütten in der Nähe.« »Klar, diese Wälder sind voll mit solchen Hütten, aber es gibt keine Karte von denen oder so was. Das Einzige, was ich mal gesehen habe, ist Rauch aus einem Kamin, das war schon irgendwo hinter diesem Bergrücken. Aber nicht auf diesem Trip.« »Dann könnte sie aber von dort gekommen sein.« »Könnte schon sein, aber wenn man nicht ganz genau weiß, wo man hin muss, kann man den ganzen Rest seines Lebens durch diese Wälder ziehen und dabei nichts und niemanden finden. Das versuche ich euch die ganze Zeit zu sagen. Das ist hier nicht irgendein Park mit ein paar Bäumen wie in der Stadt. Wir reden hier von richtig tiefem Wald, der Wildnis von Maine. Das ist kein Ponyhof. Schon gar nicht zu dieser Zeit des Jahres, verdammt. Hier in der Gegend triffst du ein paar schlechte Entscheidungen und bist im Handumdrehen tot.« »Gut, dann ist die einzige Alternative, sie in den Wagen zu schaffen und in den Ort runter zu fahren. Wenn wir dort wegen des Schneesturms nicht mehr weg können, dann bleiben wir eben da, was soll sein.« Raymond brach schließlich sein Schweigen. »Es gibt eine Sache, an die habt ihr Jungs noch gar nicht gedacht.« Die anderen drehten sich gleichzeitig in seine Richtung. »Vor ein paar Jahren war ich in so einer Bar in Florida«, fuhr er fort, »ein richtiger Scheißladen. Zwei Typen hatten sich über irgendwas gestritten und fingen an, sich zu prügeln. Die anderen dachten natürlich, das sind bloß zwei besoffene Idioten, die ein bisschen Dampf ablassen müssen. Nur, dass einer von denen dann ein Messer gezogen und den anderen abgestochen hat. Richtig krass, direkt hier rein.« Raymond deutete auf die rechte Seite seines Nackens. »Das Blut ist auf diesen Wichser gesprüht wie aus einem Gartenschlauch, der volle Pulle aufgedreht ist. Der andere war tot, bevor der Krankenwagen ankam. So viel Blut hab ich noch nie in meinem Leben gesehen.« »Warum erzählst du uns den Scheiß?«, fragte Louis, »Was zur Hölle willst du damit sagen?« »Ich will damit sagen«, erklärte Raymond ruhig, »als die ganze Sache vorbei war, hatte der Angreifer genauso viel Blut am Körper, wie die arme Sau, die er abgestochen hatte.« Stille breitete sich in der Hütte aus, und Raymond begab sich zur Tür. Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnipste sie über Louis' Schulter nach draußen. »Versteht ihr, was ich meine?« »Unterm Strich wissen wir einfach nicht, was hier passiert ist«, sagte Darian. »Ray hat recht. Sie könnte ein Opfer sein, aber sie könnte genau so gut eine Gestörte sein, die jemanden verletzt oder getötet hat. Es kann das eine oder das andere sein, aber nach meinem Verständnis sind das beides Argumente dafür, sie in den Ort zu schaffen. Soll die Polizei sich um den Rest kümmern.« Ein Husten unterbrach ihn. Die junge Frau war erwacht. Sie war immer noch erschöpft und konnte sich in die Decken gewickelt kaum bewegen, aber nachdem ihre Hustenattacke vorüber war, versuchte sie, zu sprechen. »Keine Polizei, nein … keine Polizei, bitte.« Ihre Stimme klang kratzig und brüchig, als hätte sie lange nicht gesprochen. »Bitte.« Louis trat näher an sie heran. »Was ist los? Ist jemand hinter Ihnen her?« Die Frau musterte ihn einen Moment mit ihren glasigen Augen. Etwas Speichel lief ihr aus dem Mundwinkel. »Nein«, presste sie hervor. »Nicht … nicht mehr.« Seth drängte sich dazwischen und hockte sich neben das Bett. »Niemand hier wird Ihnen etwas tun, okay?« Er legte seine Hand sanft auf ihre. Sie war klamm und kalt. »Sie sind in unser Camp gekommen, als wäre Ihnen jemand auf den Fersen. Wir haben Sie hier rein gebracht, um Sie aufzuwärmen. Sie sind jetzt in Sicherheit, verstehen Sie das?« Sie nickte langsam, mit großer Anstrengung. »Können Sie uns sagen, was passiert ist?«, fragte er, wobei er den gleichen, ruhigen Tonfall beibehielt, wie zuvor. »Wir müssen wissen, was los ist, damit wir Ihnen helfen können, okay?« »Mir ist … so kalt.« »Der Kaffee ist noch warm«, sagte Darian und begab sich in Richtung Kochecke. »Ich bringe Ihnen eine Tasse.« »Ich bin Seth.« Seth prüfte, ob sie noch gut in die Decke eingepackt war, dann deutete er reihum auf die anderen. »Das ist mein Bruder Raymond. Das ist Louis, und da drüben haben wir Darian. Wir nennen ihn Mother.« »Christy«, sagte sie mit schwerer Zunge. »Wie alt sind Sie, Christy?« »Neunzehn.« Seth war sich nicht sicher, ob er das glauben sollte. »Sind sie ganz alleine hier oben?« Sie starrte ihn an, als hätte sie die Frage nicht verstanden. »Sind Sie mit Ihren Eltern unterwegs, oder–« »Nein.« »Irgendwelche Freunde, vielleicht–« »Ich habe meine Eltern schon … lange nicht gesehen.« Darian kam mit einer dampfenden Tasse Kaffee zurück und drückte sie Seth in die Hand. Da dieser fürchtete, Christy könnte zu schwach sein, um das Gefäß selbst zu halten, hielt er die Tasse an ihre Lippen und ließ sie einen Schluck nehmen. Als die Wärme in ihrem Kreislauf ankam, schien sie sofort wacher zu werden, und innerhalb weniger Momente war sie geistig völlig anwesend. Seth half ihr weiter beim Trinken, bis sie ihm die Tasse schließlich abnahm und selbst zum Mund führte. »Danke«, sagte sie sanft. »Christy«, begann Seth mit einem gezwungenen Lächeln, »dein Hemd war in Blut getränkt.« Sie nahm noch einen Schluck Kaffee, wobei sich ihre Augen langsam von einem Mann zum nächsten bewegten. »Er wollte mich umbringen.« »Wer? Wer wollte dich umbringen?« »Dieser Mann … er hatte mich in der Nähe von Portland per Anhalter mitgenommen.« »Wo ist er jetzt?« »Immer noch in seiner Hütte … ich …« Als ihre Stimme versagte, glitzerten Tränen in ihren Augen. »Ich habe ihn da zurückgelassen.« »Also ist das sein Blut auf deinem Hemd?« »Ich komme eigentlich aus Florida«, sagte sie kleinlaut, »aber ich bin von zu Hause weggelaufen, als ich sechzehn war. Mein Vater ist gestorben, als ich elf war, und mit meiner Mutter bin ich nie klargekommen. Ich musste da raus.« Sie hielt die Tasse näher an ihr Gesicht und wärmte sich an dem Dampf. »Ich kannte ein anderes Mädchen aus der Schule, das auch abhauen wollte. Wir waren zusammen für ein paar Jahre auf der Straße unterwegs, zogen von Ort zu Ort, aber dann hatten wir uns mit ein paar irren Bikern aus South Carolina eingelassen, und Jeanie – das war meine Freundin – ist mit denen weitergezogen. Sie hat mich alleine gelassen, aber damals war ich schon siebzehn, und alleine zurechtzukommen war kein Problem.« Sie zeigte ein kurzes, nachdenkliches Lächeln, bevor sie noch einen Schluck Kaffee nahm. »Total faszinierend«, maulte Louis, »aber wir haben nicht nach deiner Lebensgeschichte gefragt! Warum bist du blutbeschmiert durch den Wald