Es gibt kaum einen öderen Anblick, als diese Küste vom Kap Matapan bis zum äußersten Hintergrund des Golfs. Hier wuchsen weder Orangen-, noch Zitronenbäume, weder wilde Rosen, noch Lorbeer, kein Jasmin von Argolis, keine Feigen, keine Erd- oder Maulbeerbäume, nichts was gewissen Gegenden von Griechenland den Anblick einer so üppigen, reichen Landschaft verleiht. Hier erhob sich keine grüne Eiche, keine Platane, kein Granatbaum, der sich vom dunkleren Hintergrund der Zypressen und Zedern abhob. Überall nur Felsen, welche jede Erschütterung dieser vulkanischen Gebiete leicht in das Wasser des Golfes stürzen konnte. Überall herrschte auf diesem wilden Boden von Magne eine trostlose Dürre, sodass dieser nicht einmal seine dünn gesäte Bevölkerung zu ernähren vermochte. Kaum standen hier einzelne verkümmerte Pinien, welche halb abgestorben aussahen, weil man ihnen das Harz geraubt, und deren Saft versiegt war, wie die tiefen Risse der Stammrinde zeigten. Da und dort ein magerer Kaktus mit scharfen Stacheln, dessen Blätter mehr kleinen, halb geschorenen Igeln glichen. Nirgends endlich fand sich, weder an den verkrüppelten Sträuchern noch auf dem Boden, der mehr aus Kieselsteinen als aus nahrhafter Erde bestand, etwas, um die Ziegen zu ernähren, welche doch mit dem ärmlichsten Futter vorlieb zu nehmen pflegen.
Nachdem er zwanzig Schritte vorwärts getan, blieb Nicolas Starkos von Neuem stehen. Dann wandte er sich nach Nordosten, dahin, wo der entfernte Gipfel des Taygetos seine Umrisse von dem minder dunklen Grunde des Himmels abhob. Ein oder zwei Sterne, welche um diese Zeit aufgingen, schienen am Rand des Horizontes, wie zwei leuchtende Punkte, auf demselben zu lagern.
Nicolas Starkos war regungslos stehengeblieben. Er erblickte jetzt ein kleines, niedriges, aus Holz erbautes Haus, das etwa fünfzig Schritte von ihm in einer Ausbuchtung des Felsgebirges verborgen lag.
Es war eine bescheidene Wohnstätte, vereinzelt über dem Flecken liegend, zu der man nur auf steilem Fußwege gelangte und welche wenige halb entlaubte Bäume, sowie eine Dornenhecke umgaben. Diese Wohnung erschien auf den ersten Blick als schon lange verödet. Die Hecke war in schlechtem Zustande, hier buschig verwachsen, dort wieder durchbrochen, und bildete so einen sehr unzureichenden Schutz; Hunde und Schakale, welche zuweilen diese Gegend durchstreiften, hatten wiederholt diesen verlassenen Winkel des maniatischen Bodens verwüstet. Grobe Kräuter und Buschwerk waren das einzige, was die Natur hier da und dort verstreut hatte, nachdem die Hand des Menschen sich nicht mehr zur Pflege des Ortes regte.
Warum war derselbe aber so verlassen? Nun, der Besitzer dieses Fleckchens hatte schon vor langen Jahren die Augen geschlossen. Seine Witwe, Andronika Starkos, verließ später das Land, um sich jenen todesmutigen Frauen anzuschließen, welche sich im griechischen Unabhängigkeitskriege so rühmlich hervortaten. Daher kam es auch, dass der Sohn, seitdem er das Haus verlassen, niemals wieder den Fuß über die väterliche Schwelle gesetzt hatte.
Hier war Nicolas Starkos geboren, und hier verliefen die ersten Jahre seiner Kindheit. Sein Vater hatte sich nach langem ehrenvollen Leben als Seemann nach dieser Freistatt zurückgezogen, vermied aber gern jede Berührung mit der Einwohnerschaft von Vitylo, deren wilde Sitten ihm ein Gräuel waren. Etwas gebildeter und mit mehr Verständnis für die Annehmlichkeiten des Lebens, hatte er sich mit Weib und Kind hier eine freundliche Existenz gegründet. So lebte er in diesem Schlupfwinkel ruhig und unbeachtet, bis er eines Tages, von aufflammendem Zorn übermannt, sich der Bedrückung seitens der türkischen Behörden widersetzte und seinen Widerstand mit dem Leben bezahlen musste. Den türkischen Agenten konnte eben niemand entgehen, nicht einmal im entferntesten Winkel der Halbinsel.
Als der Vater nicht mehr da war, seinen Sohn zu leiten, wurde es der Mutter völlig unmöglich, ihn zu zügeln. Nicolas Starkos entwich aus dem Hause, um zur See zu gehen, und stellte seine ihm angeborenen guten Anlagen zum Seemann der Seeräuberei und den Schurken, welche sie betrieben, zur Verfügung.
Seit zehn Jahren hatte nun der Sohn das Haus verlassen; vor sechs Jahren war ihm seine Mutter nachgefolgt. In der Umgegend behauptete man jedoch, dass Andronika zuweilen hier anwesend sei. Man hatte sie wenigstens zu bemerken geglaubt, wenn auch nur in langen Zwischenräumen und auf kurze Zeit, während sie dabei auch vermieden hatte, mit jemand aus dem Ort zusammenzutreffen.
Nicolas Starkos hatte, obgleich er im Verlauf seiner Fahrten schon ein oder zweimal nach Magne zurückgekehrt war, doch niemals Sehnsucht empfunden, die bescheidene Wohnung auf dem Felsen aufzusuchen. Nie suchte er von seiner Mutter zu erfahren, ob sie noch dann und wann nach dem verlassenen Heim zurückkehre. Während der furchtbaren Kämpfe, welche zu jener Zeit Griechenland zerfleischten, hatte er aber gewiss den Namen Andronika gehört – einen Namen, der ihn hätte mit Gewissensbissen erfüllen müssen, wenn sein Gewissen nicht eben schon verhärtet oder ganz abgetötet gewesen wäre.
Als Nicolas Starkos aber heute in den Hafen von Vitylo angelaufen war, geschah das nicht allein mit der Absicht, die Besatzung der Sacoleve durch zehn Mann zu verstärken. Ein Wunsch – mehr als ein Wunsch – ein unwiderstehliches Verlangen, von dem er sich selbst kaum Rechnung gab, hatte ihn hierher getrieben.
Er fühlte das Bedürfnis, noch einmal, wahrscheinlich zum letzten Male, das Vaterhaus wiederzusehen, noch einmal den Boden mit dem Fuß zu berühren, auf dem er die ersten Schritte, noch einmal die Luft jener Mauern zu atmen, zwischen denen er den ersten Atemzug getan und wo er die ersten kindlichen Worte gelallt hatte. Deshalb allein klomm er hier den steilen Pfad empor, deshalb befand er sich zu dieser Stunde hier vor der Barriere der kleinen Umzäunung.
Hier überfiel ihn ein merkwürdiges Zögern. Es gibt ja kein so verhärtetes Herz, das nicht lauter klopfte, wenn in ihm liebe Bilder der Vergangenheit erwachen. Keiner wird geboren, der an die Stelle seiner Geburt, an die, wo ihn die Mutter gewiegt, nicht eine dauernde Anhänglichkeit empfände. Die Nerven keines Geschöpfs können so für jedes Gefühl erlahmen, dass sie nicht zitterten, wenn eine solche Erinnerung sie erregen.
Ganz ebenso ging es Nicolas Starkos, als er vor der Schwelle des verlassenen Hauses stand, das so düster, so schweigend, so totenstill im Inneren und im Äußeren vor ihm lag.
»Hinein! … Ja! … Hinein! …«
Das waren die ersten Worte, welche Nicolas Starkos wieder sprach. Eigentlich murmelte er sie nur vor sich hin,