Wenn die Seeleute von Vitylo nun nicht mehr in Zweifel sein konnten, dass die Sacoleve in einen Hafen einlief, so fragten sie sich doch, ob sie gerade in ihrem Hafen anlegen würde.
»Ah«, rief einer von ihnen, »man möchte sagen, dass sie sich immer nur am Winde zu halten, aber nicht einzulaufen suchte.«
»Da soll sie der Teufel ins Schlepptau nehmen!« versetzte ein anderer. Sollte sie wirklich nur lavieren und wieder auf die hohe See gehen?
»Steuert sie überhaupt auf Coron zu?«
»Oder vielleicht auf Kalamata?«
Beide Voraussetzungen hatten etwa gleichviel für sich. Coron ist ein von Handelsfahrzeugen der Levante stark besuchter Hafen der maniatischen Küste, wo ein bedeutender Ausfuhrhandel von Öl aus dem südlichen Griechenland stattfindet. Dasselbe gilt für Kalamata am Grunde des Golfes, dessen Bazare mit Manufakturwaren, Stoffen oder Geschirren gefüllt sind, welche von Westeuropa hier eingeführt werden. Es war also möglich, dass die Sacoleve nach einem dieser zwei Häfen bestimmt war, ein Umstand, der die raub- und plünderungslüsternen Vityliner sehr enttäuschte.
Während sie so mit ziemlich interessierter Aufmerksamkeit beobachtet wurde, glitt die Sacoleve rasch vorwärts. Bald befand sie sich auf der Höhe von Vitylo. Jetzt musste ihr Schicksal sich entscheiden. Wenn sie noch weiter auf den Hintergrund des Golfes zuhielt, mussten Gozzo und seine Spießgesellen jede Hoffnung, sich ihrer zu bemächtigen, aufgeben. Selbst wenn sie sich in ihre schnellsten Boote warfen, hatten sie keine Aussicht, jene einzuholen, umso viel war sie ihnen durch das ungeheure Segelwerk, welches sie trug, an Geschwindigkeit überlegen.
»Sie kommt hierher!«
Diese drei Worte rief der alte Seemann, dessen Arm mit niedergebogener Hand sich gleich einem Enterhaken nach dem kleinen Schiff zu ausstreckte.
Gozzo täuschte sich nicht. Das Steuerruder wurde in den Wind gelegt, und die Sacoleve richtete sich jetzt auf Vitylo. Gleichzeitig wurden das Topsegel und ein Focksegel eingezogen und andere Segel wenigstens halb gereeft. Auf diese Weise von einem Teil des auf ihr lastenden Winddrucks befreit, gehorchte sie nun leichter der Hand des Steuermanns.
Jetzt dunkelte es allmählich mehr. Die Sacoleve hatte gerade nur noch Zeit, in die Einfahrt von Vitylo einzulaufen. Hier liegen unter dem Wasser Felsen verstreut, welche wegen der Gefahr, daran vollständig zu scheitern, sorgsam vermieden werden müssen. Trotzdem stieg keine Lotsenflagge am Großmast des kleinen Fahrzeugs auf. Der Kapitän musste also mit dem ziemlich gefährlichen Fahrwasser selbst genügend vertraut sein, weil er sich, ohne Beistand zu verlangen, in dasselbe wagte. Vielleicht misstraute er auch – und zwar ganz mit Recht – dem beliebten Verfahren der Vityliner, welche wohl nicht davor zurückgeschreckt wären, ihn irgendwo hier auf den Grund laufen zu lassen, wo schon so sehr viel Fahrzeuge auf diese Weise verlorengegangen waren.
Bisher erhellte übrigens noch kein Leuchtturm die Küste dieses Teiles von Magne. Ein einfaches Hafenlicht diente dazu, den Eingang in den engen Kanal zu bezeichnen.
Inzwischen näherte sich die Sacoleve. Bald befand sie sich nur noch eine halbe Meile von Vitylo. Sie musste gleich landen. Man merkte, dass eine erfahrene Hand sie führte.
Auch das war nicht dazu angetan, die Ungläubigen zu befriedigen; sie hatten ja weit mehr Interesse daran, das Fahrzeug auf irgendeinem Felsen stranden zu sehen; dann hatten sie die Brandung gewissermaßen als Bundesgenossen. Diese begann die Arbeit, welche sie nur zu vollenden hatten. Erst der Schiffbruch, dann die Plünderung, das war ihr gewöhnliches Verfahren. Das ersparte ihnen ja meist einen Kampf mit bewaffneter Hand, einen unmittelbaren Angriff, dem doch allemal einige von ihnen zum Opfer fallen konnten. Es gab in der Tat oft genug von einer mutigen Mannschaft verteidigte Fahrzeuge, welche sich nicht ungestraft überfallen ließen.
Die Genossen Gozzos verließen also ihren Beobachtungsposten und gingen nach dem Hafen hinunter, um alle verbrecherischen Vorbereitungen zu treffen, welche bei den Strandräubern, ob diese die Meere des Abendoder des Morgenlandes unsicher machten, so ziemlich die gleichen sind.
Es erschien ja so leicht, die Sacoleve in der engen Fahrstraße des Kanals stranden zu lassen, wenn man ihr falsche Weisungen erteilte, was die zunehmende Dunkelheit noch begünstigte, die, ohne gerade schon vollkommen zu sein, doch die Führung eines Schiffes einigermaßen erschwerte.
»Ans Hafenlicht!« befahl Gozzo, dem seine Gefährten ohne Zögern zu gehorchen pflegten.
Alle verstanden den alten Seemann. Schon zwei Minuten später erlosch dieses Licht – eine einfache, am Ende des Hafendammes an einem dort stehenden Pfahl befestigte Laterne – urplötzlich.
Im nämlichen Augenblick wurde es durch ein anderes Licht ersetzt, das zuerst zwar dieselbe Stelle einnahm; doch wenn das erste auf dem Molo5 feststehende dem Schiffer immer die gleiche Richtung anwies, musste diesen das bewegliche andere aus der Fahrstraße verlocken und der Gefahr, auf einen Unterwasserfelsen aufzulaufen, aussetzen.
Das falsche Licht bestand aus einer Laterne, deren Schein sich von dem des Hafenlichtes nicht unterschied. Diese Laterne hatte man aber an den Hörnern einer Ziege befestigt, welche langsam am Rande der Klippe hingetrieben wurde. Sie veränderte ihren Ort also mit dem Tiere und musste infolgedessen auch die Sacoleve zu falschem Manövrieren verleiten.
Es war nicht zum ersten Mal, dass die Leute in Vitylo auf diese Weise verfuhren. Nein, gewiss nicht! Und es war leider auch nur selten, dass ihnen ihre schändlichen Absichten misslangen.
Die Sacoleve lief nun in die Einfahrt ein. Nachdem auch das große Marssegel6 eingezogen war, trug sie nur noch die lateinischen Segel am hintersten Maste; doch mussten auch diese genügen, um bis zu dem Anlegepfosten zu gelangen.
Zum größten Erstaunen der dasselbe beobachtenden Seeleute bewegte sich das Schiff durch die Windungen des Kanals mit unglaublicher Sicherheit weiter. Um das