Doch wenn Nicolas Starkos seine Leute kannte, so war er nicht minder bei ihnen bekannt. Nach dem Tod seines Vaters, der unter den tausenden von Opfern fiel, welche die Grausamkeit der Türken hinschlachtete, lechzte seine von Rache erfüllte Mutter nur nach der Stunde, wo sie sich bei der ersten Erhebung gegen das türkische Joch auflehnen konnte. Er selbst hatte Magne mit achtzehn Jahren verlassen, um zur See zu gehen, wobei er vorzüglich im Archipel umherfuhr, und sich dabei nicht allein zum vortrefflichen Seemann, sondern auch in dem Handwerk des Räubers ausbildete.
Niemand hätte wohl zu sagen vermocht, an Bord wie vieler Schiffe er seitdem gedient, welche Flibustier- oder Seeräuberführer ihn unter ihrem Befehl gehabt, unter welcher Flagge er zuerst gekämpft, wie viel Blut seine Hand schon vergossen, Blut der Feinde Griechenlands ebenso wie solches seiner Verteidiger – dasselbe, welches auch in seinen Adern rollte. Wiederholt hatte man ihn schon in verschiedenen Häfen des Busens von Coron gesehen. Manche seiner Landsleute hätten wohl verschiedene Großtaten von ihm berichten können, wenn er sich mit ihnen verbündet hatte, Handelsschiffe zu überfallen und zu vernichten, um die reiche Beute mit ihnen zu teilen. Dennoch umgab den Namen Nicolas Starkos ein gewisses Geheimnis. Jedenfalls war er aber in den Provinzen von Magne so bekannt, dass sich alle vor seinem Namen verneigten.
Damit erklärte sich auch der Empfang, den dieser Mann bei den Bewohnern von Vitylo fand, ebenso der Umstand, dass schon seine Anwesenheit genügte, alle auf die geplante Plünderung verzichten zu lassen, sobald sie nur erkannt hatten, wer die Sacoleve befehligte.
Sobald der Kapitän der »Karysta« ein wenig hinter dem Quai den Hafen betreten hatte, bildeten die zu seinem Empfang herbeigelaufenen Männer und Frauen ehrerbietig eine Kette, um ihn hindurchzulassen. Als er ans Land stieg, wurde kein Ausruf laut. Es schien, als ob Nicolas Starkos hier einen hinreichenden Einfluss ausübte, um anderen schon durch sein Erscheinen Ruhe zu gebieten. Die Leute warteten, bis er sprechen würde, und wenn das – wie wahrscheinlich – nicht der Fall war, hätte sich gewiss niemand erlaubt, ein Wort an ihn zu richten.
Nachdem Nicolas Starkos seinen Matrosen der Gig befohlen, an Bord zurückzukehren, begab er sich nach dem Winkel, den der Quai im Hintergrund des Hafens bildete. Kaum hatte er aber zwanzig Schritte in dieser Richtung getan, als er plötzlich stehenblieb. Dann wandte er sich an den alten Seemann, der ihm nachfolgte, als erwarte er von ihm noch irgendwelche Befehle.
»Gozzo«, begann er, »ich werde noch zehn kräftige Burschen brauchen, um meine Besatzung zu vervollständigen.«
»Du wirst sie haben, Nicolas Starkos«, antwortete Gozzo.
Hätte der Kapitän der »Karysta« hundert zur Auswahl unter der seefahrenden Bevölkerung des Ortes verlangt, so würde er diese auch gefunden haben. Und diese hundert Mann würden, ohne zu forschen, wohin sie geführt würden, wozu sie bestimmt seien, für wessen Rechnung sie fahren oder kämpfen sollten, ihrem Landsmann gefolgt sein, bereit, sein Los zu teilen, da sie recht gut wussten, dass ihnen auf die eine oder die andere Weise daraus zuletzt Vorteil entspringen müsse.
»Jene zehn Mann«, fuhr der Kapitän der »Karysta« fort, müssen binnen einer Stunde an Bord sein.
»Sie werden da sein«, versicherte Gozzo.
Nicolas Starkos deutete ihm durch eine Handbewegung an, dass er seine Begleitung nicht weiter wünsche, ging längs des Quais, der sich an den Molo anschloss, weiter und verschwand in einer der engen, am Hafen mündenden Straßen.
Der alte Gozzo kehrte, seinem Willen gehorchend, zu den Gefährten zurück und ging sofort daran, die zehn Burschen auszuwählen, welche die Mannschaft der Sacoleve zu vermehren bestimmt waren.
Inzwischen klomm Nicolas Starkos immer höher den Abhang des steilen Ufers empor, auf dem der Flecken Vitylo erbaut ist. Hier oben hörte man weiter nichts als das Gebell der wilden Hunde, welche den Reisenden oft nicht weniger gefährlich sind als die Schakale und Wölfe, Hunde mit gewaltigem Gebiss und dem breiten Gesicht der Dogge, die vor keinem Stock zurückweichen. Mit langsamem Schlage der langen Flügel flatterten noch einige Seemöwen umher, welche ihre Schlupfwinkel am Strand aufsuchten. Bald hatte Nicolas Starkos die letzten Häuser von Vitylo hinter sich gelassen. Er schlug jetzt den beschwerlichen Fußpfad ein, der um die Akropolis von Kerapha herumführt. Nachher kam er an den Ruinen einer Befestigung vorüber, welche hier zu jener Zeit von Ville-Hardouin angelegt worden war, als die Kreuzfahrer verschiedene Punkte des Peloponnes besetzt hielten, und dann umschritt er noch den Fuß einiger alter Türme, die sich noch jetzt hier auf dem Felsenufer erheben. Bei diesen blieb er stehen und wendete sich zu einem Rückblick um.
Am Horizont, jenseits des Kap Gallo, neigte sich der zunehmende Mond seinem Untergang im Ionischen Meer zu. Da und dort flammten einige Sterne durch die zerrissenen Wolken, welche der frische Abendwind über den Himmel jagte. Wenn dieser einmal nachließ, herrschte Totenstille rings um die Zitadelle. Zwei oder drei kaum sichtbare kleine Fahrzeuge durchfurchten das Wasser im Golf, näherten sich Coron oder wendeten sich Kalamata zu. Ohne die Laternen, welche an ihrer Mastspitze leuchteten, hätte man dieselben vielleicht kaum erkennen können. An anderen Punkten der Küste brannten sieben bis acht Feuer, welche sich im Meer zitternd wiederspiegelten. Waren dies Licht von Fischerfahrzeugen oder solche in Wohnungen am Strand? Das hätte man schwerlich unterscheiden können.
Nicolas Starkos ließ den schon an die Dunkelheit gewohnten Blick über die ungeheure Fläche schweifen. Das Auge des Seemanns hat oft eine unbegreifliche Schärfe und gestattet ihm da noch etwas zu unterscheiden, wo andere gar nichts sehen würden. Im jetzigen Augenblick schien es aber nicht, als ob die