»Er teilt sich mir mit. Ich glaube, sein Vater ist krank oder er hat sich mit ihm gestritten oder so«, antwortete ich ehrlich.
»Diese Wesen haben keinen Verstand. Sie haben nur Proviant. Rede dir doch nichts ein«, antworteten sie. Ich gebe zu, dass ich mich etwas schämte, denn sie hatten ja Recht. Natürlich wusste ich, dass so ein Wesen nicht wirklich denken und empfinden kann, trotzdem rührte mich mein Dasda und erfüllte mich mit Freude, wann immer ich ihn sah.
Sehr bald schon hatte ich seine Gewohnheiten herausgefunden. Lang nach meinem Morgenflug bewegte er sich aus seiner Steinhöhle, um nach wenigen Metern, die ich vom Baum aus beobachten konnte, in die nächste Höhle zu wandern. Aus dieser zweiten Höhle kam er erst wieder, wenn die Sonne langsam der Dämmerung Platz gemacht hatte. Das war die Zeit unseres großen Tanzes über der Stadt und unseres Gesanges, so prächtig und wundervoll. Oft stehen die Wesen und staunen uns dabei an. Wie recht sie haben. Gemeinsam sind wir überwältigend.
In regelmäßigen Abständen veränderte sich der Tagesablauf meines Dasda. Immer nach mehreren Nächten kam er später aus seiner Höhle und betrat gemeinsam mit anderen eine dieser Höhlen, die Himmelstöne von sich geben, gewaltig und Ehrfurcht einflößend. Aus dieser Höhle dringen mitunter Klänge wie von tausend Nachtigallen gleichzeitig. Sehr eindrucksvoll ist das. Anscheinend holen sich die Wesen dort Weisheit für die Zeit zwischen diesen Versammlungen. ›Solche Klänge müssen sogar die stumpfsten Wesen erleuchten‹, dachte ich mir.
Mein Dasda setzte sich gerne auf das Holzgerüst unter meiner Lieblingslinde. Seit wir einander dort begegnet waren, schien er auf mich zu warten. Und ich wartete auf ihn. Wir hatten also tatsächlich ein Stelldichein. Meinen Kolleginnen durfte ich so etwas nicht sagen, aber ich freute mich täglich darauf, obwohl er nicht täglich kam. Wieder einmal saßen wir beisammen, blickten einander an, berührten einander. Ja, wir berührten einander, er streifte an mir entlang mit seinen Pranken und gab nette Laute von sich und ich wetzte liebevoll meinen Schnabel an seinem Riesenkopf.
»Was für eine wertvolle Freundin du mir geworden bist. Ich danke dir!«, teilte er mir mit. »Das mache ich doch gerne, du kannst ja nichts dafür, dass du so plump und flugunfähig bist und nichts verstehst. Lieb bist du ja trotzdem«, antwortete ich großzügig und spürte diese Wärme in mir, die ich sonst nur bei besonderen Höhenflügen fühlte, die Lust zu jauchzen. Ich jauchzte ihm mein Lied und er bellte mir mit gefletschten Zähnen ins Gesicht. Natürlich wirkte das brutal, noch dazu mit seinem großen Maul, aber ich wusste inzwischen, dass dies ein Zeichen der Freude bei diesen Wesen war, so unwahrscheinlich das auch klingen mag.
»Wenn du mich verstehen könntest, wäre manches einfacher für dich, mein lieber Dasda. Viele deiner Sorgen fallen einfach von dir ab, wenn du die Flügel hebst und über den Bäumen hinweg segelst, einfach aus Freude am Fliegen«, wollte ich ihm mitteilen.
»Du hast leicht reden, wo du doch selbst fliegen kannst. Andererseits, ich kann es mit meinen Gedanken, mit meinen Empfindungen auch; Fliegen im übertragenen Sinn. Es gibt keine Schranken für den, der wahrhaft glaubt«, antwortete er begeistert.
»Na ja, auf deine Gedanken solltest du dir nicht so viel einbilden. Mit unsereins kannst du natürlich nicht mithalten«, antwortete ich und putzte mir zum Zeichen meiner Würde die glänzend schwarzen, sagenhaft schönen, intakten Flügel.
Er fletschte laut auf, was er übrigens lachen nannte. Und im gleichen Augenblick zuckten wir beide zusammen. Wir blickten einander entgeistert an. Er wurde noch fahler als ohnehin schon und mir zitterten vor Staunen die Flügelspitzen. Hatten wir uns nicht gerade unterhalten? Konnten wir uns wirklich verständigen?
»Haben wir uns gerade miteinander unterhalten?« fragten wir gleichzeitig in dieser Kopf zu Kopf Sprache. Ich war so perplex, dass ich plötzlich ein Bedürfnis in mir spürte, wie seit meiner Kükenzeit nicht mehr, ich hatte Nestsehnsucht. Darum setzte ich mich auf seine Pranke und ließ es zu, dass er mich mit seiner anderen umschloss. Das war sehr schön. Wirklich schön.
»Meine liebe wertvolle Freundin du!«, vernahm ich, dann senkte er sein Haupt und berührte meinen Kopf mit seinem Maul. Es fühlte sich ganz wunderbar an. Ich mochte mein Dasda und niemand sollte mir sagen, dass diese Wesen ohne Verstand seien. Zumindest meines war ein edles, ein liebenswertes. Vielleicht waren andere so ähnlich.
Seitdem trafen wir einander häufig. Er brachte mir auch Tagesrationen mit und versorgte mich mit frischem Wasser. Dafür schenkte ich ihm meine kostbare Zeit und begleitete ihn auf manchen Wegen, vor allem wenn er aufs Land fuhr und das schwarze Rohr mitnahm. Er fuhr mit seinem Rollding und ich gönnte mir den Flug dahin. Es war nicht weit für meine Verhältnisse, obwohl sein Rollding ganz schön Geschwindigkeit erlangen konnte, trotz der Kriecherei am Boden.
Draußen am Land, wie er es nannte, fühlte er sich frei und froh, richtete ständig das Rohr auf Blumen, Bäume, auf mich und die ganze Landschaft und erzählte mir von seinen Sorgen, die natürlich nichtssagend waren, aber ich wollte ihm nicht die Illusion von Bedeutung nehmen und tröstete ihn so gut ich konnte.
»Du nimmst alles so leicht und vielleicht hast du Recht damit, aber ich trage Verantwortung, Menschen verlassen sich auf mich, Menschen kritisieren mich, ich habe über große Geldsummen zu entscheiden«, jammerte er.
»Wer fliegen will, sollte nicht zu viele Lasten tragen«, antwortete ich, räumte aber ein, dass ich einmal fast abgestürzt wäre, als ich von so einem runden Ding, auf dem immer die ganzen Happen liegen, eine Hühnerkeule genommen hatte. Die war wirklich schwer gewesen, aber von der Keule sättigten sich vier meiner Kolleginnen und natürlich auch ich. Mein Dasda lachte.
»Ein bisschen Leichtigkeit von dir würde mir nicht schaden!«, antwortete er.
»Ich möchte dich etwas fragen«, eröffnete er mir einmal. Wie umständlich, typisch er. Warum fragte er nicht einfach?
»Gibt es bei euch auch Liebe? Gibt es bei euch einen Gott?«
»Natürlich gibt es Liebe bei uns. Meine Kolleginnen veranstalten ein Riesenspektakel um das Thema mit ihren Herren. Und einen Gott kenne ich nicht. Ich weiß nicht, was du damit meinst«, antwortete ich leichthin.
»Kennst du die Liebe?« fragte er. Stolz wollte ich gleich damit prahlen, dass ich nicht bereit wäre, mich mit einem Herrn zusammen zu tun, Brut aufzuziehen und mich abhängig zu machen, doch ich konnte nicht stolz antworten. Ich blickte ihn an und wusste plötzlich, wie es sich anfühlen musste, wenn Regentropfen aus den Augen quellen. Traurig legte ich den Kopf schief und teilte ihm mit:
»Die Liebe, die ich gefunden habe, bringt keine Brut hervor und ist mehr als unsinnig. Denn ich liebe ein stumpfes dummes Wesen. Oder zumindest mag ich es sehr, nämlich dich.« Gerührt schaute mich Dasda an und ich schämte mich für meine sinnlosen Gefühle.
»Ich mag dich auch, meine wunderbare Freundin«, teilte er mit und nahm mich behutsam in seine Pranken. Dann legte er sein Maul auf meinen Rücken. So war ich geborgen und liebkost von diesem lieben Wesen, von meinem Dasda.
»Du glaubst also, dass es Liebe gibt, auch wenn sie nicht direkt gelebt werden kann?« fragte er eindringlich. Wieder so ein Beweis für seine Stumpfheit, die dadurch entsteht, dass Klares, Schönes von diesen Wesen immer von einem Netz komplizierter Gedankenverstrickungen umschlossen wird. Aber weil ich ihn so lieb fand, sah ich es ihm nach.
»Was fragst du immer so viel herum? Mach einfach, das ist das Gebot, das zählt. Ich liebe ja auch, obwohl es peinlich für mich ist. Wenn die Liebe da ist, ist sie da. Wenn sie Brut hervorbringt, ist es gut und wenn sie Glück hervorbringt, ist es gut und wenn sie tröstet und ermutigt, ist es gut. Wo sie auch immer auftaucht, wenn es wirklich Liebe ist, ist es gut.
Und wenn sie dich plötzlich verändern will, ist es nicht Liebe, wenn sie dich verurteilt, weil du nicht fliegen kannst, ist es nicht Liebe und wenn sie dich für sich allein besitzen will, ist es nicht Liebe.« Ich ereiferte mich richtiggehend, dennoch, bei dem Gedanken, mein Dasda würde auch meine Kolleginnen so liebevoll umfangen, war mir nicht ganz wohl.
»Ich