Von Verliebten wusste der Verfasser offenbar nichts.
Auch Du, mein Sohn Brutus
Am frühen Morgen, ich hatte mir nach einer Nachtschicht bei einem Kolikpferd noch eine verlängerte Mütze Schlaf gegönnt, überraschte mich Karin, die schon aufgestanden war, um sich für die Schule fertig zu machen, mit der Nachricht: „Eine alte Freundin von Dir hat angerufen!“
„So?“, gähnte ich, „ich war der Meinung, nur junge Freundinnen zu haben.“
„Und ich habe gehofft, Du hättest gar keine!“
„Also, los, spuck’s schon aus. Wer war es?“ Es heißt zwar, Morgenstund hat Gold im Mund, aber Geplänkel zählt nicht zu den Edelmetallen.
„Die Gräfin Waldenfels!“
Das war tatsächlich eine Überraschung! Ich hatte schon eine Ewigkeit nichts mehr vom Waldenfelsgut gehört. Man wird sich vielleicht an mein erstes Buch erinnern, in dem die Geschichte mit Farah, der inkontinenten Rottweilerhündin, die noch dazu ein leicht giftiges Wesen besaß und die ich mit homöopathischen Tropfen von beiden Übeln befreien konnte. Und da das eine Medikament so eine günstige Wirkung auf ihr Verhalten ausgeübt hatte, hatte die Gräfin, die manchmal unter dem herrischen Charakter des nicht nur blau- sondern auch heißblütigen Göttergatten litt, jenem die Tropfen in den Kaffee geschmuggelt. Und siehe da, auch in diesem Fall bewirkte die vielgeschmähte Homöopathie eine deutliche Besserung der Situation.
Die Waldenfels stammten ursprünglich aus Ostpreußen. Nach der Flucht im Zweiten Weltkrieg erwarb der Graf hier den heruntergekommenen Gutshof, setzte ihn instand und begann, nach alter Familientradition, eine Trakehnerzucht erster Güte. Ich hatte mit den Pferden kaum etwas zu tun, dafür holte er einen Fachtierarzt aus dem Bayerischen Grenzgebiet. Als der eines Tages wegen einer Dopingaffäre auf der Rennbahn verhaftet wurde, hoffte ich, in die Bresche springen zu dürfen, aber Waldenfels setzte offenbar kein allzu großes Vertrauen in meine hippologischen Fähigkeiten, weil er kurz danach einen anderen Spezialisten fand.
Ich war daher einigermaßen gespannt, was die Gräfin von mir wollte. Um Farah und ihren Mann konnte es sich diesmal nicht handeln, die Hündin hatte schon längst das Zeitliche gesegnet und auch der Graf war vor etwas mehr als zwei Jahren gestorben. Die Pferde hatte man nach seinem Tod verkauft.
Als ich nun durch das imposante Tor mit den zwei Pferdeköpfen aus Untersberger Marmor einfuhr, herrschte am Hof nicht die übliche Betriebsamkeit, die ich von früher kannte. Auch das Dienstmädchen, welches mir auf mein Läuten öffnete, war ein anderes als bei meinem letzten Besuch.
„Die Frau Gräfin erwartet Sie!“ Sie führte mich nach links in den Salon.
Als ich die Gräfin auf dem Sofa sitzend sah, war ich innerlich erschüttert. Kein Zweifel, sie war alt geworden. Aber vermutlich dachte sie das auch von mir. Ihre feinen Gesichtszüge, die mich immer ein bisschen an Catherine Deneuve erinnert hatten, waren schärfer geworden und unzählige Fältchen hatten sich um Augen und Mund gegraben. Meinem tierärztlich geschulten Blick, beim Betreten eines Stalles auch auf Dinge ringsumher zu achten, entgingen auch nicht die leicht deformierten Finger. Offenbar litt sie an Gicht.
„Fein, dass Sie Zeit gefunden haben, Herr Doktor!“ Sie bedeutete mir, mich zu setzen. „Darf ich Ihnen etwas anbieten? Tee, Kaffee oder vielleicht einen Cognac?“
Ich verneinte.
„Aber Rauchen müssen Sie unbedingt! Ich liebe den Geruch von edlem Pfeifentabak. Der Graf hat es leider nie dazu gebracht, er ist bei seinen Zigarren hängengeblieben.“
Befehl ist Befehl. „Mit Verlaub.“ Ich zog die Pfeife aus der Tasche und begann, sie zu stopfen. Erfreulich, dass es noch Leute gab, die nicht jeden Tabakliebhaber gleich in die Kategorie „Massenmörder“ einordneten.
„Ja“, begann sie erneut, „es ist schon eine Weile her seit unserer letzten Begegnung.“
„Naja, nachdem Sie keinen Hund und keine Pferde mehr haben, nur logisch.“ Ich überging diskret die Tatsache, dass ihr Mann mich an seine Trakehner nie herangelassen hatte.
Sie seufzte: „Das mit den Pferden musste sein, ich verstehe davon zu wenig und mein Sohn lebt in Graz, wo er eine große Anwaltskanzlei leitet und praktisch nie Zeit findet, mich wenigstens zu besuchen.“
„Und Ihre Tochter?“, erkundigte ich mich höflich. „Die war doch immer so eine Pferdenärrin und hat sogar Turniere bestritten.“
„Ach, die hat doch diesen Diplomaten geheiratet, der vor allem Angst hat, was vier Beine besitzt, und wenn es der Esszimmertisch ist.“ Sie drehte den Kopf, damit ich ihre feuchten Augen nicht sah, gegen das Fenster: „So sitze ich nun allein auf dem Riesenbesitz. Ganz bestimmt werden die Kinder nach meinem Ableben alles sofort verkaufen!“
Obwohl sie sicher das x-fache Bankkonto im Vergleich zu meinem besaß, was allerdings nicht schwer war, tat sie mir unendlich leid.
„Und womit kann ich Ihnen dienen?“
Sie drehte den Kopf wieder zu mir: „Sie müssen Brutus einschläfern!“
„Ihren Zuchthengst?“
Jetzt lächelte sie sogar: „Das war er einmal. Auch an männlichen Wesen geht die Zeit nicht spurlos vorüber. Seit Jahren erhält er sein Gnadenbrot.“
„Wie alt ist er denn?“
„Neunundzwanzig.“
Donnerwetter! Ein stattliches Alter!
„Und warum?“
„Er hat überhaupt keine Energie mehr. Sein Appetit lässt zu wünschen übrig, das Fell ist struppig und glanzlos und er bekommt überall Schwellungen, besonders an den Beinen. Ich will nicht, dass er leidet.“
„Natürlich nicht. Hat ihn denn Ihr Tierarzt noch nicht untersucht?“
„Der hat gesagt, wegen einem einzigen alten Zossen, so hat er sich ausgedrückt, kommt er nicht mehr. Und mein Stallmeister hat gemeint, für Brutus noch Geld auszugeben, sei nicht sinnvoll. Der gehört erlöst.“
Angesichts dieser Aussage des Kollegen aus den bundesdeutschen Landen hätte ich jetzt doch einen doppelstöckigen Cognac gebraucht.
„Also einschläfern kann ich Brutus heute unter Garantie nicht, weil ich das Tötungsmittel nicht an Bord habe.“ Ich bin überdies der Meinung, dass man Großtiere nicht medikamentell töten solle, sondern mittels Schuss. Auch wenn jetzt manche Tierfreunde aufheulen, die Methode ist, vorausgesetzt, dass sie jemand beherrscht, für das Tier wesentlich stressfreier.
Ich wollte die Gräfin aber nicht schocken. „Darf ich mir den Hengst einmal anschauen?“
„Selbstverständlich!“
Der Stallmeister, stilvoll in Kniebundhose und kariertem Jackett gekleidet, war sich offenbar zu gut dazu, Brutus persönlich aus der Box zu holen, deshalb brüllte er nach einem Gutsarbeiter.
Wie der ehemalige Paradehengst jetzt so vor mir stand, bot er tatsächlich einen jämmerlichen Anblick. Die Augen trübe, das Haarkleid, wie es die Gräfin beschrieben hatte, stumpf und die Beine geschwollen.
Ich tastete seinen Puls und bemerkte eine beidseitige Verdickung an der Luftröhre und zwar im Bereich des zweiten und dritten Trachealringes.
Kommentarlos holte ich aus dem Wagen ein Blutröhrchen samt Nadel. Der Stallmeister runzelte zwar die Stirne, wagte aber zu seinem Glück keinen Widerspruch. Nachdem ich