Solche „Bauerndoktor“ gibt es heutzutage kaum mehr, obwohl der Trend dazu geht, dass die in Kursen vermittelte, vielgeschmähte Homöopathie in den Ställen vermehrt Einzug hält.
Und wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen, auch schon hie und da als Kurpfuscher aufgetreten zu sein. Eine Mutter hatte einmal am Abschluss einer Visite ihrer siebzehnjährigen Tochter resolut den Kittel in die Höhe gehoben, sodass ich neben einer nicht mehr ganz taufrischen Unterhose ein entzückendes Steißbein zu Gesicht bekam.
„Schau’n Sie sich das an, Herr Doktor! Drei Mal waren wir mit der Anni schon beim Arzt und der Fleck wird immer größer!“
Eigentlich hatte ich erwartet, dass Anni diese spontane Entblößung peinlich sein würde, aber offensichtlich war ein Tierarzt für sie so etwas Ähnliches wie ein gestiefelter Gynäkologe, weil sie mir ohne Scheu das Hinterteil entgegenreckte. Oder der Juckreiz war wirklich sehr stark!
Deshalb traute ich mich, über den Brillenrand hinweg die betroffene Stelle aus der Nähe zu inspizieren. Kein Zweifel, es handelte sich hier um eine ausgeprägte Form von Trichophytie oder, wie man landläufig sagt, Kälbergrind, eine hartnäckige Pilzerkrankung.
Erstaunlicherweise steht die moderne Humanmedizin dieser Infektion meistens hilflos gegenüber, weil sich herkömmliche Pilzmittel dagegen als wirkungslos erweisen.
Zum Glück besaß ich für solche Fälle eine Salbe nach einem uralten Rezept, welche mir eine befreundete Apothekerin je nach Bedarf zusammenmischte.
Ich drückte der Mama eine Dose in die Hand, murmelte: „Einmal täglich auftragen, mehrere Tage lang“, und ließ über Annis Kehrseite wieder den Vorhang fallen.
Nach ungefähr einer Woche hatte ich wieder auf dem Hof zu tun und die Bäuerin präsentierte mir voller Freude bei der Gelegenheit erneut die Hinteransicht ihrer Tochter.
„Es beißt auch nicht mehr“, bestätigte Anni ebenfalls den Fortschritt.
Man sah es deutlich: Der Fleck hatte deutlich seine Rötung und Schuppigkeit eingebüßt. Nur die Unterhose, so mutmaßte ich, war noch immer dieselbe!
Ein anderes Mal pflanzte sich eine junge Bäuerin neben meinem Auto auf und gestikulierte hilfeheischend wild um sich. An ihrem fast tonlosen Krächzen erkannte ich die virale Kehlkopfentzündung und überließ ihr homöopathische Tropfen. Am nächsten Morgen, so gegen halb acht, rief sie mit fast normaler Stimme an, bedankte sich und fragte, ob sie nochmals dasselbe haben könnte, jetzt hat es nämlich ihren Mann erwischt.
Auch dem Lechnerbauern konnte geholfen werden. Der stand eines Tages in der Ordination mit zwei Augen, die mit ihren zugeschwollenen Lidern an eine aufgeschnittene Handsemmel erinnerten. Dazu wies er einen starken Tränenfluss auf.
„Waren Sie schon beim Arzt damit?“, fragte ich.
„Ja“, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Das wäre hier aber auch nicht gut möglich gewesen.
Trotzdem glaubte ich ihm kein Wort.
Da aber der Lechner einer von den Hartgesottenen war, der höchstens weinte, wenn ihn der Viehhändler angeschmiert hatte, war ich mir sicher, dass er an einer starken Bindehautentzündung litt. Wahrscheinlich durch den Heustaub verursacht, weil das Futter, das der Lechner seinen Rindern vorsetzte, immer knochentrocken war.
„Hat das eine Ihrer Kühe auch?“, fragte ich pro forma.
„Ja“, antwortete er.
Ich glaubte ihm noch immer kein Wort.
„Na schön. Für Ihre Kühe kann ich Ihnen etwas herrichten!“
Ich komponierte, wie es einst auch Mozart mit seinen Noten getan hatte, wieder homöopathische Tropfen in eine Pipettenflasche und gab sie ihm:
„Nur für die Kühe“, schärfte ich ihm ein.
„Geht klar, Herr Doktor!“, grinste er.
Ich glaubte ihm kein Wort.
Einige Tage später stand eine Flasche mit selbstgebranntem Schnaps auf dem Tischchen im Warteraum. Daneben lag ein Zettel, auf dem mit ungelenker Handschrift stand: „Besten Dank, Straberger.“ Das war der Lechner!
Als ich einen Schluck kostete, kamen mir selbst die Tränen.
Aber meine größte Leistung auf dem Gebiet der Kurpfuscherei war die Geschichte mit dem Filzer Kilian. Wenn es ihn nicht gäbe, erfinden könnte man ihn nicht.
Er hatte bereits die Siebzig weit überschritten, war aber immer noch zwei Meter groß und von ausladender Statur.
In seiner Aktivzeit beim Bauhof hatte man gemunkelt, dass er in der Adventszeit die Weihnachtsbeleuchtung über den Straßen ohne Leiter hatte anbringen können.
Jetzt war er längst schon in Pension und machte, weil er nie einen Führerschein besessen hatte, das Gasteinertal auf dem Sitz seines uralten Steyr-Traktors aus den Fünfzigerjahren unsicher. Unsicher ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber wenn Du hinter ihm mit einem heißen Zwanziger kilometerlang herzuckelst und wegen der Gegenverkehrskolonnen nicht überholen kannst, schmeißt Du schon ein wenig die Nerven weg.
Diesen Zustand kannte der Kilian von seiner Natur aus nicht. In einer stoischen Gelassenheit steuerte er sein historisches Gefährt über die Bundesstraße und ignorierte sämtliches Gehupe und Blinksignale mit dem Fernlicht hinter ihm, frei nach dem Motto „Die Straße ist für alle da, die Vorfahrt aber nicht“.
Beim Traxlerbauern war ich ihm zum ersten Mal persönlich begegnet. Ich hatte dort einer Kuh mit Gebärmutterentzündung den Uterus gespült und gerade, als ich ihr als Zusatz eine antibiotische Injektion verpassen wollte, verfinsterte sich der Stalleingang. Der Kilian musste sich beim Eintritt halb bücken, dann baute er sich neben uns auf und beobachtete mich wortlos bei meinem Tun.
Der Traxler nahm seine plötzliche Anwesenheit ebenso kommentarlos zur Kenntnis. Die einzige, die eine unwillige Lautäußerung von sich gab, war die Kuh, als sie die Nadel im Oberarm spürte.
Das schien den Kilian zu animieren.
„Servus, Herr Doktor! Hast Du nicht auch eine Spritze für mich?“, war seine Begrüßung. „Ich bring’ die Schulter nicht weiter als so.“
Zum Beweis hob er den rechten Arm in die Waagrechte und begann zu stöhnen: „Zwei Mal war ich schon im Spital, aber die wissen dort auch nichts. Nach der Arthroskopie ist es sogar noch ärger geworden mit den Schmerzen.“
Der Traxler feixte: „Die sind halt nicht auf Elefanten wie Dich spezialisiert. Da musst Du freilich den Tierarzt fragen.“
„Genau“, meinte der Kilian, „weil was für eine Kuh gut ist, kann auch den Leuten nicht schaden.“
Prinzipiell gab ich ihm Recht. Zwischen Mensch und Rindvieh besteht gar kein so großer Unterschied, wie ihn sich manche wünschen mögen. Trotzdem erklärte ich kategorisch: „Also eine Spritze kriegen Sie von mir nicht!“
„Na geh! Ihr Viechbader habt doch so manches Wundermittel.“