Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter H. Wilson
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783806241372
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Deren erstes war der Drill. Drill hatte die römischen Legionen unbesiegbar gemacht, und Drill sollte auch jetzt angewandt werden – nicht nur bei der Ausbildung an der Waffe, sondern ganz allgemein, um Soldaten den Gehorsam innerhalb einer disziplinierten Einheit zu lehren. Eine solche Denkweise musste sich auf andere Lebensbereiche ebenfalls auswirken. Tatsächlich veränderte sich etwa die Tanzmode, weg vom Formationstanz in Reihen, bei dem die Tanzpartner geschwind miteinander interagierten, hin zu kreisförmigen oder anderen geometrischen Bewegungsmustern, bei denen die einzelnen Tänzer den ihnen zur Verfügung stehenden Raum besser ausnutzten. Unnötige Bewegungen sollten vermieden werden, indem der Tänzer – oder der Soldat – nur Teile seines Körpers bewegte; der Rest verblieb in einem stabilen Gleichgewicht. So trichterte man etwa den Pikenieren ein, sie sollten, wenn sie ihren Spieß nach vorn stießen, den Kopf nicht rühren, sondern starr geradeaus blicken, genau auf einer Linie mit ihren Nebenmännern. Ordnung bildete das zweite Element, denn man brauchte eine hierarchische Befehlsstruktur, um die Bewegungen einzelner Soldaten und Truppenteile zu lenken und sicherzustellen, dass alle Rädchen im Getriebe der großen Militärmaschine funktionierten. Entscheidend war hierbei, dass die Geltung dieser neuen Ordnung sich auch auf die höheren Ränge erstreckte, die ihre Untergebenen nun nicht mehr behandeln sollten, wie es ihnen gerade passte. Drittens sollte der regelmäßige militärische Drill als Teil einer weiter gefassten Zwangsstrategie dazu dienen, die autonomen Strukturen der bestehenden Söldnerkultur aufzubrechen und die Verinnerlichung einer neuen Selbstdisziplin voranzutreiben. Das vierte und letzte Element zielte auf Strafen und Belohnungen. Die sogenannten Kriegsartikel, in denen der rechtliche Rahmen des Kriegsdienstes abgesteckt wurde, waren nun nicht mehr Ausdruck einer kollektiven Selbstorganisation der Soldaten, sondern wurden zu einem Mittel, die neue Militärkultur rasch zu institutionalisieren. Die neuen Kriegsartikel wurden von gelehrten Juristen formuliert und gingen mit neuen Zeremonien für Musterung und Fahneneid einher. Ihr Ziel war, an die Stelle der bisherigen Soldverhandlungen zwischen einzelnen Befehlshabern und ihren Truppen standardisierte Dienstverträge zu setzen, die alle Mannschaften in einen einheitlichen Rechtsrahmen einbanden.

      Solche proto-absolutistischen Vorstellungen passten hervorragend zu der von geistlichen wie weltlichen Autoritäten verfolgten Sozialdisziplinierungs-Agenda; was Lipsius damit im Sinn hatte, war aber tatsächlich, den Krieg in Zukunft weniger grausam und schädlich zu machen. Seine Ideen machten die Heeresreform Moritz’ von Nassau intellektuell respektabel und fanden weite Verbreitung, weil die Niederlande – neben ihrer Bedeutung als Handelsmacht – auch ein Zentrum des frühneuzeitlichen Druck- und Verlagswesens waren. Der aus Antwerpen gebürtige Kupferstecher Jacob de Gheyn veröffentlichte 1607 eine später berühmt gewordene, illustrierte Gebrauchsanleitung für alle Arten von Waffen, die noch im selben Jahr in dänischer Übersetzung und im Jahr darauf auf Deutsch erschien, Letzteres unter dem Titel Waffenhandlung; Von den Röhren Mußquetten undt Spiessen; … Mit beygefügter schrifftlicher Vnterrichtung, wie alle Hauptleute und Befehlshabere ihre jungen vnd vnerfahrne Soldaten zur vollkommenen Handlung derselben Waffen desto besser abrichten köndten. Weitere praktische Handbücher folgten, so etwa drei aus der Feder von Johann Jacobi von Wallhausen, die 1615/16 erschienen und das ganze 17. Jahrhundert hindurch vielfach nachgedruckt oder wiederveröffentlicht wurden.111 Für eine noch größere Ausstrahlung sorgten die zahlreichen Freiwilligen, die von überall her in die Niederlande strömten, um in den Diensten Moritz’ von Nassau die Kriegskunst zu erlernen. Durch das Bündnis mit England und die Gründung der Republik war das Stigma der Rebellion beseitigt und der Dienst in den Niederlanden attraktiver geworden. Wie im Fall der Flandernarmee sollte das Netzwerk persönlicher Beziehungen, das auf diese Weise entstand, im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges noch große Bedeutung erlangen. Wieder schafften es einige von ganz unten nach ganz oben. So etwa Peter Eppelmann, Sohn eines reformierten Bauern aus dem nassauischen Hadamar, der dank guter Familienbeziehungen ein Universitätsstudium genossen und seinen ursprünglichen Namen in der Folge gegen das kultiviertere „Melander“ – griechisch etwa „Äpfelmann“ – eingetauscht hatte. Melander diente Moritz von Oranien als persönlicher Sekretär, bevor er als Fähnrich in die Armee des Statthalters eintrat, später in venezianische und hessen-kasselsche Dienste wechselte und schließlich, auf dem Höhepunkt seiner Karriere als kaiserlicher General und Graf von Holzappel, 1648 tödlich verwundet wurde. Viele Angehörige des protestantischen deutschen Adels traten in niederländische Dienste, darunter Johann (von) Geyso, der wie Melander aus einfachen Verhältnissen stammte und diesen 1640 als hessen-kasselscher Generalleutnant ablöste. Der Freiherr Dodo zu Knyphausen wurde 1603 zum niederländischen Hauptmann, später zum schwedischen General ernannt. Andere kamen noch weiter herum, wie etwa der Waliser Charles Morgan, der ein britisches Expeditionsheer in Norddeutschland kommandieren sollte, oder der Schotte Alexander Leslie, der 1602–08 als Hauptmann unter Moritz von Oranien diente, bevor er in schwedische Dienste übertrat und schließlich – inzwischen zum Earl of Leven erhoben – in den Kriegen der Drei Königreiche kämpfte, zunächst aufseiten der Covenanters, später für die Royalisten. Der Franzose Gaspard de Coligny kommandierte derweil zwei hugenottische Regimenter in niederländischen Diensten und half so mit, das Gedankengut der oranischen Heeresreform auch in Frankreich zu verbreiten.

      Politische Verbindungen boten einen dritten Weg, auf dem sich niederländischer Einfluss geltend machte, insbesondere durch Graf Johann VII. von Nassau-Siegen, einen Neffen Wilhelms von Oranien, der unter Moritz gedient hatte und dessen Reformideen dann in seinen eigenen Territorien umsetzte. Das von Jacob de Gheyn illustrierte Exerzierbuch hatte Johann VII. verfasst, und Johann Jacobi von Wallhausen amtierte in den Jahren 1616–23 als Direktor der Militärakademie, die der Graf in seiner Residenz Siegen unterhielt. Johann von Nassau-Siegen verband niederländische Ideen mit deutschen Traditionen und brachte die oranischen Methoden auf diese Weise in eine Form, die der Situation im Reich angemessener war. Der Vormarsch des Herzogs von Alba entlang ihrer Grenzen versetzte die rheinischen Fürsten 1567 in große Aufregung, allen voran die Grafen von Nassau als Vettern der Männer an der Spitze des Aufstands. Aus der Befürchtung heraus, die regulären spanischen Verstärkungstruppen, die hinter Alba herzogen, könnten in ihre eigenen Gebiete einfallen, schlossen die Grafen von Nassau ein Bündnis mit dem Adel der benachbarten Wetterau. Sie alle herrschten über kleine, vergleichsweise dünn besiedelte Territorien, die keine großen stehenden Heere unterhalten konnten. Johann erkannte, dass zwar bei Offensivoperationen Milizionäre kein Ersatz für professionelle Soldaten sein konnten, glaubte aber doch, dass man sie sehr wohl zur Verteidigung ihrer Heimat würde motivieren können. Ohnehin bestand für die Untertanen die Verpflichtung, im Notfall Waffendienste zu leisten; dann freilich traten sie mit einer kuriosen Mischung aus rostigen Schwertern, landwirtschaftlichem Gerät und bloßen Knüppeln an. Was diese Männer brauchten, dachte Johann, war eine ordentliche Dosis oranischer Disziplin, die ihnen Entschlossenheit einflößen und ihre Kampfkraft mit modernen Waffen optimieren würde.

      Die Amtleute vor Ort erhielten den Auftrag, die männliche Bevölkerung zu erfassen und nach Alter, Familienstand und körperlicher Tauglichkeit in Gruppen einzuteilen; die unverheirateten jungen Männer wurden dann zum regelmäßigen Drill durch professionelle Ausbilder eingezogen. Die Rekruten wies man Kompanien einer zuvor festgelegten Größe zu, wobei größere Dörfer und Städte komplette Einheiten stellten, während kleinere zur Mobilisierung einer gemeinsamen Kompanie beitrugen. Diese als „Auswahl“ bezeichneten Truppen exerzierten jeden Sonntag auf dem Dorfplatz oder im freien Feld, wurden in regelmäßigen Abständen aber auch in Übungslagern zusammengezogen, um in größeren Formationen Manöver abzuhalten. Im Bedarfsfall wurden sie durch das Läuten der Kirchenglocken mobilisiert, woraufhin sie sich im Haus des Dorfvogts ihre Waffen abzuholen und gemeinsam anzutreten hatten; den Befehl führten ihre Ausbilder sowie etwaige Angehörige des örtlichen Adels mit Militärerfahrung. Bis 1595 waren alle Elemente des neuen „Landesdefensionswesens“ in Nassau eingeführt und wurden in der durch Johann VII. von Nassau-Siegen verschriftlichten Form unter den protestantischen Fürsten des Reiches verbreitet, die um 1600 vielfach ähnliche Milizen einführten.112

      Die beschriebenen Reformen machten einen entscheidenden Aspekt im sich wandelnden Verhältnis von Herrschern und Beherrschten greifbar. Die deutschen Reichsfürsten und anderen Grundherren waren auch vorher schon berechtigt gewesen, ihre Untertanen bei Invasionen oder Naturkatastrophen im Rahmen der Landfolge zu Wehr- und Hilfsdiensten heranzuziehen; zur Aufklärung und Ahndung von Verbrechen bestand zudem die