Wiederkehr der Hasardeure. Willy Wimmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Willy Wimmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783943007152
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sich Frankreich in der Schlacht von La Hogue 1692 einer niederländisch-englischen Flotte geschlagen geben. Noch konnte Holland und England zugetraut werden, den Spaniern die Vorherrschaft zur See streitig zu machen. Die europäischen Machtkämpfe gingen in den Kolonien weiter; die dortigen Kämpfe wirkten sich wiederum auf das europäische Machtgefüge aus. So hat zum Beispiel der Siebenjährige Krieg – für viele ein Synonym für die Eroberungsgier Friedrichs II. – oberflächlich betrachtet mit dem nordamerikanischen Indian War nichts zu tun, abgesehen von den vom »Alten Fritz« eingeführten Kartoffeln. Erst bei genauerem Hinsehen erschließt sich der Zusammenhang. Die Menschen im ehemaligen Herrschaftsgebiet Friedrich des Großen – also Brandenburg, Pommern und Ostpreußen – mussten sich in einem ähnlich kargen Umfeld behaupten wie die Neuengländer: dünne Kiefernwälder und sandige Felder. In hartem Ringen mussten die armen Böden erschlossen werden. 200 Jahre später haben die Nachfahren der Neuengländer eine ebenso bedeutende Rolle in Nordamerika gespielt wie die Preußen in der deutschen Geschichte. Diese schwangen sich im 19. Jahrhundert nicht nur »zu den Herren Deutschlands auf«, so Toynbee, »und führten die Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert in dem ernsten Versuch an, unserer Gesellschaft einen allumfassenden Staat zu verschaffen; die Preußen lehrten zugleich ihre Nachbarn, wie man sandige Böden zum Körnerbau benutzen kann, indem man sie mit künstlichen Düngemitteln anreichert; wie man die ganze Bevölkerung durch allgemeine Schulpflicht auf einen vorher nie erreichten Stand sozialer Tüchtigkeit und durch allgemeine Unfall- und Arbeitslosenversicherung auf einen nie zuvor erreichten Stand sozialer Sicherheit heben kann. Wir mögen die Preußen nicht leiden, wir können aber nicht leugnen, daß wir von ihnen wichtige und wertvolle Lehren gelernt haben.«18

      Die Neuengländer sind schließlich nicht nur die Herren Nordamerikas geworden, sondern auch, in der Mitte des 20. Jahrhunderts, Herren über Deutschland – Preußen wurde 1945 aufgelöst. Der Sieg Großbritanniens in Nordamerika wäre ohne die Unterstützung Preußens jedoch nicht möglich gewesen. Das hat Toynbee in seiner Studie zur Weltgeschichte unterschlagen. Dabei lässt sich an dieser Episode die Raffinesse englischer Machtpolitik vortrefflich studieren.

      Die Lage Englands in den nordamerikanischen Kolonien war 1753 bedrohlich geworden. Hatten sich doch die Franzosen mit verbündeten Indianern des Ohio-Tales bemächtigt und Forts angelegt. Für England ein unhaltbarer Zustand. Um das schon verloren geglaubte Wettrennen doch noch gewinnen zu können, entwarf die englische Führung im Auftrag der Handelsherren einen Angriffsplan zur Beseitigung der französischen Kolonialherrschaft in Nordamerika. Die Umsetzung scheiterte und führte zu einer Reihe blutiger Niederlagen. Es bahnte sich eine Katastrophe an – denn parallel zum englisch-französischen Kolonialkrieg begann in Europa der Siebenjährige Krieg.

      Als Seemacht konnte England Frankreich im Landesinneren Nordamerikas mangels Truppen nicht besiegen, also leitete es kriegerische Handlungen im Mittelmeerraum und in Indien ein, die sich auf Asien und Afrika ausdehnen sollten – der erste weltweite Eroberungskrieg der modernen Geschichte –, und sah sich in Europa nach geeigneten Verbündeten um, die das französische Kontinentalheer so binden würden, dass es sich im Schutz seiner starken Flotte auf den Kolonialkrieg konzentrieren konnte. Infrage kamen Österreich, Russland und Preußen. Welche Köder konnte London auslegen? Ein äußerst heikles diplomatisches Roulette setzte ein.

      Der preußische König Friedrich II. aus dem Haus Hohenzollern hatte mit französischer Hilfe Schlesien den Habsburgern entreißen können. Der französische Gesandte in Berlin, La Touche, erwartete nun von Friedrich eine Gegenleistung. Dieser hatte die Gesamtlage in Europa und Amerika klar erkannt. So schlug er dem Gesandten vor, dass französische Truppen unmittelbar nach der Kriegserklärung Hannover besetzen sollten, denn der englische König Georg II. war in Personalunion auch Kurfürst von Hannover. Friedrich wollte damit verhindern, so schreibt Olaf Groehler 1990, »dass ein europäischer Brand aus der Kriegsflamme entstehen konnte, die sich im amerikanischen Wald entzündet hatte«19, denn nach dem Verlust von Hannover war zu erwarten, dass sich England völlig auf den Überseekrieg konzentrieren würde. Frankreich war bereit, den Plan Friedrichs aufzunehmen, jedoch mit einer kleinen Abänderung. Preußen selbst sollte Hannover einnehmen. Das hätte aller Wahrscheinlichkeit nach ein Kriegsbündnis zwischen England, Österreich und Russland gegen Preußen zur Folge gehabt. Also lehnte Friedrich ab.

      Die österreichische Regierung hatte noch den Verlust von Schlesien und der Grafschaft Glatz aus dem österreichischen Erbfolgekrieg zu verdauen. Ein englisches Bündnis mit Österreich hätte jedoch einen Krieg gegen Preußen bedeutet und wäre England in jedem Fall sehr teuer gekommen. Und Frankreich war auch noch gar nicht eingebunden. Da das oft erfolgreich praktizierte preiswerte Prinzip »Wo sind die Feinde meiner Feinde?« nicht verfing, musste gekauft werden. Hier war dann die englische Diplomatie am Zarenhof erfolgreich. Gegen jährlich 100 000 Pfund Sterling mietete England am 30. September 1755 55 000 russische Soldaten. Für den Kriegsfall sollten noch einmal 500 000 Pfund Subsidien draufgelegt werden. Im Gegenzug wollte Russland für den Transport von 10 000 Soldaten nach Nordwestdeutschland vierzig bis fünfzig Schiffe bereitstellen.

      Den preußischen Hof, vom englischen Gesandten über das englischrussische Abkommen informiert, beunruhigte die Tatsache, dass sich russische Soldaten in Nordwestdeutschland festsetzen könnten. Dem russischen Hof stand das erstarkte Preußen wegen eigener Pläne in Polen und Schweden im Weg. Ein Krieg wäre eine willkommene Gelegenheit gewesen, Preußen auf ein erträgliches Maß zurechtzustutzen. Das alles wurde in Berlin erkannt. Schlesien sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Also schloss Friedrich II. mit den Engländern am 16. Januar 1756 die Westminster-Konvention ab. Beide Teile verpflichteten sich, den Frieden in Deutschland aufrechtzuerhalten. Der Durchmarsch fremder Mächte sollte unterbunden werden. Damit war Hannover sowohl den Russen als auch den Franzosen versperrt. Doch Friedrichs Rechnung war falsch, »denn er hatte die Abhängigkeit Russlands von England über- und die Empörung des französischen Hofes über die preußische Annäherung an England unterschätzt.«20

      Die Verstimmung in Paris und in Petersburg konnte die österreichische Diplomatie geschickt ausnutzen. Das Ziel: eine österreichisch-russisch-französische Koalition. Am 5. April 1756 willigte Zarin Elisabeth in den österreichischen Kriegsplan ein, gemeinsam Preußen anzugreifen. Die Waffen sollten erst nach der Rückeroberung Schlesiens niedergelegt werden. Als Entschädigung beanspruchte Russland das Kurland und die Semgallen. Das gerupfte Polen sollte mit Ostpreußen entschädigt werden. So einfach war das.

      In Paris waren die österreichischen Diplomaten ebenso erfolgreich. Das preußisch-englische Abkommen konnte als Schlag gegen die französischen Interessen nachhaltig ins Feld geführt werden. Warum eigentlich? Ein Landheer konnte England nur im Kurfürstentum Hannover gefährlich werden. Und dieser Weg war durch die Westminster-Konvention versperrt. Zur See war England unangreifbar. Frankreich zögerte noch, denn ein zerschlagenes Preußen und ein übermächtiges Österreich entsprachen auch nicht unbedingt seinen Wunschvorstellungen. Die Bedenken konnten zerstreut werden. Österreich bot Frankreich die österreichischen Niederlande an, sobald Schlesien und die Grafschaft Glatz zurückerobert seien. Preußen sollte auf das Maß eines Kurfürstentums zurückgeschnitten werden. Nun witterten auch andere Morgenluft. Schweden und Sachsen traten der österreichisch-französisch-russischen Koalition bei. Pommern sollte zu Schweden, Magdeburg zu Sachsen, Kleve-Mark an die Kurpfalz und Ostpreußen an Polen fallen. Damit war das eingetreten, was Preußen tunlichst hatte vermeiden wollen: Es war isoliert. Nun blieb Friedrich II. nichts anderes übrig, als sich mit England zu verbünden. Militärische Hilfe war nicht zu erwarten, dafür sah ein großzügiger Subsidienvertrag die Zahlung jährlicher Hilfsgelder vor. Die im amerikanischen Wald entzündete Kriegsflamme wuchs sich nun tatsächlich zu einem europäischen Brand aus.

      In Europa wurden die österreichisch-preußischen Gegensätze ausgetragen, die in der Eroberungspolitik Preußens während des Österreichischen Erbfolgekrieges begründet waren. In erster Linie jedoch ging es um den französischenglischen Gegensatz, und damit um die Vormacht zur See und um die Vorherrschaft in den indischen Kolonien. In Nordamerika mussten die protestantischen Angelsachsen zudem eine romanisch-katholische Herrschaft verhindern. Auch standen Handelsinteressen von ungeheurem Ausmaß auf dem Spiel. Es ging um Märkte und billige Rohstoffquellen, um Besitz, der hundertmal kostbarer erschien als Europa und zehntausendmal größer war als Schlesien