Wiederkehr der Hasardeure. Willy Wimmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Willy Wimmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783943007152
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Einblick in den damaligen Gemütszustand des letzten Hohenzollernherrschers. An einer Lichtung passierte er ein leeres Automobil des kaiserlichen Hofstaats, an dessen Steuer ein livrierter Chauffeur saß und Zeitung las. Hundert Meter weiter verweilte ein Offizier mit dem Rücken zu ihm einsam und gedankenverloren auf einem Baumstumpf. Doch es war kein gewöhnlicher Offizier: »Es war der Kaiser. Er hatte den Ellbogen seines gesunden Arms auf ein Knie und den Kopf in die Hand gestützt. Nie habe ich bei einem Menschen eine traurigere Haltung, einen vergrämteren Gesichtsaudruck beobachtet … Er starrte vor sich hin, als sähe er das Unheil voraus, aus dem es kein Entrinnen gab, nicht für ihn, nicht für uns … Was sahen seine angstgeweiteten Augen? Sahen sie die endlosen Ströme Bluts, die für nichts und wieder nichts vergossen werden würden?«227

      Zwei Monate später stand Europa am Abgrund. Wider Erwarten hatte England Deutschland den Krieg erklärt. Bernauer war erschüttert über die Ahnungslosigkeit der deutschen Politiker. Warum hatte der deutsche Botschafter in London, Fürst Lichnowsky, nichts von der wahren Stimmung in England geschildert?

      Und das war es nicht allein: Der offizielle Historiker der Royal Navy, Sir Julian Corbett, berichtet, der Erste Weltkrieg sei von Lord Hankey aus dem »Committee of Imperial Defence« (CID) und seinen Mitarbeitern innerhalb der britischen Regierung mit »einer geordneten Vollständigkeit im Detail, die keine Parallele in unserer Geschichte hat«228, geplant worden. In der Marineabteilung des CID gab es bereits seit 1908 Vorbereitungen zu einer umfassenden (völkerrechtswidrigen!) Seeblockade gegen Deutschland, die nachhaltig die Wirtschaft des Landes treffen sollte. Zwei Mitglieder haben zu diesem Punkt eindeutig Zeugnis abgelegt: Maurice Hankey selbst in »The Supreme Command« und A. C. Bell in »A History of the Blockade of Germany«. Dass Deutschland von den Ozeanen und der übrigen Welt abgeschnitten werden sollte, erfreute sicher auch den 1st Sealord Churchill, denn es war unübersehbar, dass Deutschland eine ungeheure Wirtschaftskraft entwickelte und im Begriff stand, führende Handelsnation zu werden. Am 31. Januar 1906 äußerte Außenminister Sir Edward Grey gegenüber dem britischen Botschafter in Paris: »Vor allen Dingen sind, seitdem der (französische, Anm. d. Verf.) Botschafter mit mir gesprochen hat, beträchtliche Fortschritte gemacht worden. Unsere militärischen und Marinefachleute haben mit den französischen in Verbindung gestanden, und ich nahm an, daß alle Vorbereitungen getroffen waren, so daß im Falle einer Krise mangels eines förmlichen Abkommens keine Zeit verloren gegangen wäre.«229 Allerdings verstand es Grey, bis zum 3. August 1914 die gemeinsamen Kriegsvorbereitungen vor dem Premier sowie dem Kabinett zu verbergen. Ebenso wenig wussten natürlich der deutsche Botschafter Lichnowsky und sein Militärattaché von den über Jahre hinweg laufenden heimlichen Blockadeplänen gegen das Deutsche Reich. Bis heute tauchen die Autoren Hankey, Bell und Corbett in kaum einer Veröffentlichung über den Ersten Weltkrieg auf, ihre Berichte blieben unbeachtet.

      Angesichts der zu befürchtenden Entwicklungen blieb für den Industriellen, Schriftsteller und Politiker Walther Rathenau (1867–1922) nur eine letzte Möglichkeit: »die Erstrebung eines mitteleuropäischen Zollvereins, dem sich wohl oder übel, über lang oder kurz die westlichen Staaten anschließen würden«230. Letztere verfügten nicht über den gewaltigen Binnenkonsum Deutschlands und würden früher die Unbill der wirtschaftlichen Isolation zu spüren bekommen, da ihre Industrien ihr Dasein auf der engen Grundlage nationaler Syndikate fristeten. Für Rathenau gehörte die industrielle Zukunft der schöpferischen Technik, »und schöpferisch kann sie nur da sich betätigen, wo sie unter frischem Zuströmen menschlicher und wirtschaftlicher Kräfte sich dauernd im Wachstum erneuert«231. Das sei auch in den Nachbarstaaten bekannt, und deren Industrie würde zahlreich der deutschen Vormacht folgen. Es wäre für alle besser, »wenn wir manche Naturkraft, manche begünstigte Produktionsstätte und manchen unerschlossnen Verbrauchskreis unsrer Nachbarschaft in das Netz einer allgemeinen Wirtschaft einbeziehen dürften.«232

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      Trug Rathenaus Idee eines mitteleuropäischen Zollvereins maßgeblich zu Englands Kriegsinteresse bei? (Foto: Walther Rathenau 1921, ein Jahr vor seiner Ermordung) (© Abb. 15)

      Rathenau hielt die Aufgabe, eine freizügige europäische Wirtschaftszone zu schaffen, zwar für schwer, aber nicht für unlösbar. Am Ende würde eine wirtschaftliche Einheit stehen, die der amerikanischen ebenbürtig, vielleicht sogar überlegen wäre und gleichzeitig dem nationalistischen Hass der Nationen den schärfsten Stachel nähme. Fehlendes Vertrauen, Missgunst und Hass seien nur mittelbar Fragen der Macht, des Imperialismus und der Expansion. »Im Kerne sind es Fragen der Wirtschaft. Verschmilzt die Wirtschaft Europas zur Gemeinschaft, und das wird früher geschehen, als wir denken, so verschmilzt auch die Politik. Das ist nicht der Weltfriede, nicht die Abrüstung und nicht die Erschlaffung, aber es ist Milderung der Konflikte, Kräfteersparnis und solidarische Zivilisation.«233

      Die Vision Walther Rathenaus löste sich mit den Schüssen von Sarajevo vorerst in Rauch auf.

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