Hexenglut. Historischer Kriminalroman.. Simone Dorra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simone Dorra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783842522862
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dem Moment an war er fast täglich im Haus.«

      »Ich verstehe.« Fidelitas ging zum Tisch hinüber und setzte sich. »Aber irgendwann müsst Ihr alles Zutrauen in seine Fähigkeiten verloren haben … Sonst hättet Ihr ihm wohl kaum die Tür gewiesen.«

      Der Mund des Kaufmanns verzog sich zu einem schwachen, freudlosen Lächeln.

      »Meine Mutter hat angefangen, sich darüber zu beklagen, wie viel Geld die Mittel, Pülverchen und Tränke kosteten, mit denen er Regula traktierte«, sagte er. »Wie gesagt – ich hätte ihn trotzdem weiter gewähren lassen und gut bezahlt, wenn ich nur gesehen hätte, dass meine Frau sich wirklich erholt. Aber das war leider nicht der Fall. Im Gegenteil: je länger Sebald sich um sie kümmerte, desto schwächer, kraftloser und gleichgültiger wurde sie. Also hab ich beschlossen, etwas genauer hinzuschauen.«

      Er umfasste mit beiden Händen die Tischkante, als suchte er daran Halt.

      »Irgendwann fiel mir auf, dass er seine Aufmerksamkeit nicht nur auf meine Frau richtete. Er … er fing an, dem weiblichen Gesinde nachzustellen. Veronikas Zofe, zum Beispiel.«

      Fidelitas nickte; sie erinnerte sich daran, was Birgitta ihr an diesem Morgen unten in der Küche erzählt hatte.

      »Als Nächstes begann er, auch Veronika mit begehrlichen Augen anzusehen. Erst vorsichtig, damit ich es nicht merke, dann ganz unverhohlen, mehr als einmal. Sie hat mir gesagt, dass sie sich vor ihm fürchtet. Und ein paar Tage später … da hab ich ihn auf frischer Tat ertappt. Beim Diebstahl, mit den Fingern in meiner eigenen Goldschatulle. Er war wohl zu gierig geworden. Ich hab ihn am Kragen gepackt, die Treppe hinuntergezerrt und hinausgeworfen. Dann hab ich den Kutscher mit einer Nachricht zum Rat der Stadt geschickt. Doch als die Büttel zu seinem Haus kamen, hatte er sich bereits aus dem Staub gemacht.«

      Er seufzte.

      »Ich hätte ihn wohl besser erst einmal in den Keller gesperrt. Aber wenigstens hat meine Tochter keinen Schaden genommen.«

      »Eure Frau schon«, sagte Fidelitas leise.

      »Das ist mir jetzt auch klar.« Vinzenz Stöcklin seufzte wieder, dann sah er ihr in die Augen. »Versprecht Ihr mir, dass sie wieder gesund wird?«

      »Ich verspreche Euch, alles dafür zu tun, was ich kann«, erwiderte Fidelitas. »Es wird sicherlich nicht einfach werden – die junge Mitschwester damals hat elend schwere Wochen durchlebt, bevor es endlich wieder aufwärtsging mit ihr. Aber irgendwann war sie tatsächlich vollkommen wiederhergestellt. Wir wollen Gott vertrauen und darauf hoffen, dass es Eurer Frau genauso geht.«

      Fidelitas sollte recht behalten; die nächsten Wochen wurden wahrhaftig elend schwer.

      Vinzenz Stöcklin nahm es nach ihrem Gespräch auf sich, seiner Frau zu erklären, was es mit dem angeblichen Stärkungstrank des betrügerischen Medikus auf sich hatte. Der Inhalt der beiden letzten Flaschen wurde draußen vor dem Haus in die Gosse geleert; ab sofort durfte die Kranke nur noch Quellwasser und mit Honig gesüßte, warme Kräutertränke zu sich nehmen.

      In den ersten Tagen behielt sie sowieso kaum etwas bei sich. Sie übergab sich wieder und wieder, schwitzte heftig und behauptete, sie würde verbrennen. Im nächsten Moment klapperte sie mit den Zähnen vor Kälte; ihre Haut war kalt und feucht. Die wenigen Stunden, in denen sie schlief, waren von Albträumen erfüllt, und ihre wachen Momente waren kaum besser. Sie sah Gesichter, die gar nicht da waren, und stammelte etwas von »teuflischen Fratzen«, die aus den Wänden herausträten und sie böse angrinsten. Dann schrie sie auf, klammerte sich an Fidelitas oder ihren Mann – je nachdem, wer von beiden bei ihr saß -, zitterte wie im Fieber und weinte verzweifelt.

      Zwar war es vorrangig Fidelitas' Aufgabe, sich um Regula zu kümmern, aber sie war dankbar dafür, dass Vinzenz Stöcklin sich standhaft weigerte, ihr das ganz und gar allein zu überlassen. Denn Regulas Unruhe und ihre Angstzustände machten ihre Pflege aufwendig und überaus anstrengend, auch wenn Fidelitas kaum mehr für sie tun konnte, als ihr immer wieder Flüssigkeit einzuflößen, damit sie nicht austrocknete. Sie wusch Regulas zerbrechlich abgemagerten Körper mit einer Mischung aus Pfefferminzöl und warmem Wasser und hüllte ihn in Wolldecken. Mehr als einmal nickte sie bei den Stundengebeten ein und beruhigte ihr Gewissen damit, dass sie ohnehin ständig Zwiesprache mit ihrem Schöpfer und sämtlichen Heiligen hielt, wenn sie für Regula um Hilfe und Segen bat.

      Gundis Stöcklin ließ sich kaum am Krankenbett ihrer Schwiegertochter blicken. Fidelitas wusste, dass Vinzenz Stöcklin ihr erklärt hatte, worunter Regula vermutlich litt, aber die Verachtung, die Gundis seiner Frau gegenüber an den Tag legte, war ihr noch frisch im Gedächtnis. Obendrein hielt Gundis Veronika gezielt von Regula fern. Als Fidelitas das junge Mädchen in ihrer Gegenwart freundlich dazu einlud, die Kranke zu besuchen, reagierte die alte Dame mehr als frostig.

      »Die üblen Dünste in der Stube könnten ihr schaden«, sagte sie kurz und bündig. »Und sie hat Besseres zu tun, als den traurigen Wahn ihrer Mutter mit anzusehen … den die sich noch dazu selbst eingebrockt hat.«

      Veronika wurde blass, erhob aber gegen diese offene Lieblosigkeit keinen Einspruch und fügte sich. Wieder einmal rätselte Fidelitas, wie viel eigener Wille und wie viel Kraft hinter dem hübschen Gesicht mit den niedergeschlagenen Augen steckten; sonderlich viel konnte es nicht sein. Allerdings hatte sie wenig Muße, sich länger darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie musste sich wieder Regula widmen und Vinzenz Stöcklin Mut machen, den der Zustand seiner Frau zunehmend in Angst und Schrecken versetzte.

      »Seid Ihr sicher, dass sie nicht vom Teufel besessen ist?«, fragte er eines Nachts auf dem stillen Flur, während Regula sich nebenan stöhnend in ihrem Bett hin und her warf. Im Licht der Kerze in dem kleinen Messinghalter, den Fidelitas bei sich trug, war sein Gesicht bleich und erschöpft, und sie sah, dass seine Hände bebten.

      »Das ist nicht der Teufel«, erwiderte sie sanft. »Das ist ihre Krankheit. Nicht nur der Körper verlangt noch nach dem Gift, das sie ihm so lange zugeführt hat – auch der Geist leidet an dieser unseligen Gier. Der Schwester damals in unserem Kloster ist es genauso ergangen, meine Lehrmeisterin hat das in ihren Aufzeichnungen in allen Einzelheiten geschildert. Wir müssen – ebenso wie Eure Frau – nur noch eine kleine Weile durchhalten, dann ist es vorbei.«

      »Aber sie ist so furchtbar geschwächt.« Fidelitas konnte selbst im Licht der Kerze die Furcht in seinen Augen überdeutlich erkennen. »Wird sie es denn wirklich überstehen? Sagt mir die Wahrheit – bitte!«

      »Das weiß ich nicht«, sagte sie ehrlich. Sie hätte es sträflich gefunden, diesen guten Mann anzulügen. »Wir müssen hoffen und beten, dass ihre Kraft ausreicht. Ich tue seit Tagen nichts anderes.«

      »Ihr tut viel mehr als das.« Jetzt war seine Stimme sanft. »Ich bin unendlich dankbar dafür, dass Ihr Euch bereit erklärt habt, mich nach Freiburg zu begleiten. Ich wüsste nicht, was ich in dieser Lage ohne Euch täte.«

      »Ohne mich wärt Ihr doch gar nicht in dieser Lage«, konterte Fidelitas müde. »Immerhin ist es mein Einfall gewesen, Eure Frau dieser gefährlichen Rosskur auszusetzen. Und Ihr zahlt jetzt den Preis dafür.«

      Er schüttelte entschieden den Kopf. »Ohne Euch würde meine Regula weiter vor sich hin siechen und jeden Tag ein wenig mehr sterben.« Er brachte es irgendwie fertig, sie anzulächeln. »Jetzt ist sie dank Gottes Gnade und Eurer Mithilfe vielleicht irgendwann wieder die Frau, die ich einmal geheiratet habe.«

      Fidelitas wollte antworten, als ihr auffiel, dass es nebenan in Regulas Zimmer still geworden war – kein unablässiges Quietschen und Knarren des hölzernen Bettrahmens mehr, und das Stöhnen war verstummt. Schlief die Kranke endlich ein wenig ruhiger? Hatten die entsetzlichen Träume aufgehört? Oder war sie etwa …

      Sie streckte die Hand nach der Klinke aus, von jäher Sorge gepackt. Und dann drang von jenseits der Tür eine schwache Stimme an ihr Ohr.

      »Vinzenz …? Schwester …?«

      Der Kaufmann fuhr heftig