Hexenglut. Historischer Kriminalroman.. Simone Dorra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simone Dorra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783842522862
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Wunsch, dass diese überaus begehrenswerte Jungfer mehr Substanz besäße, als die glatte Fassade vermuten ließ. Denn sonst würde ihre Großmutter sie mit Sicherheit an den Höchstbietenden verschachern wie ein Stück Mastvieh auf dem Markt.

      Vinzenz' Frau war Fidelitas bis dahin noch nicht begegnet; bei ihrer Ankunft hatte sie noch geschlafen. Als es gegen Abend endlich zu einem ersten Treffen kam, fühlte es sich an wie der Besuch in einer anderen, hermetisch abgeschlossenen Welt. Die kleinen Butzenfenster des Zimmers, in dem Fidelitas' neue Patientin sich hauptsächlich aufhielt, waren mit dicken Vorhängen abgedunkelt, die Luft warm und stickig. Die Uhr des Münsters hatte gerade erst fünf geschlagen, aber auf dem Tisch und dem Nachtkasten neben dem Bett brannten bereits ein Dutzend Kerzen in Silberleuchtern, als könnte die Kranke das Licht der Sonne nicht ertragen.

      Regula Stöcklin erwies sich als bleicher Schatten ihrer schönen Tochter. Das dunkle Haar war grau gesträhnt, das Gesicht seltsam leblos und hohlwangig. Als sie Fidelitas die Hand entgegenstreckte, spürte die jeden einzelnen Knochen der dünnen Finger in ihrem Griff.

      »Mein Mann hat mir geschrieben, Ihr könntet mich heilen«, sagte sie, ihre Stimme heiser und so atemlos, als bereite jedes Wort ihr Mühe. »Jedenfalls glaubt er das.«

      »Ich werde versuchen, Euch zu helfen«, erwiderte Fidelitas freundlich, »und wenigstens dafür zu sorgen, dass Euer Zustand sich bessert. Wunder kann ich keine wirken – die liegen einzig und allein in Gottes Hand.«

      Regula nickte. Sie sah aus, als würde sie sich wenig Hoffnung auf Heilung oder wenigstens auf eine Besserung ihres Zustandes machen. Fidelitas kam es so vor, als hätte ihr gebrechliches Gegenüber sich schon viel zu lange in der eigenen Schwäche eingerichtet; sie erschrak über diesen Gedanken und rief sich selbst streng zur Ordnung. Frau Regula war nicht die erste Kranke, der ihre Hinfälligkeit auch noch die letzte Zuversicht raubte. Viele ihrer Mitschwestern im Kloster, die im Alter von immer mehr Leiden geplagt wurden, hatten mit wachsenden Glaubenszweifeln und Ängsten zu kämpfen und mussten nicht nur behandelt, sondern auch ermutigt und getröstet werden. Sie würde in den nächsten Wochen versuchen müssen, beides zu tun.

      Zuletzt wurde sie in die Gesindeküche geführt, wo Vinzenz Stöcklin sich von ihr verabschiedete. Dort lernte sie die Köchin kennen, die Spülmagd Gretel, die auch das Haus sauber hielt und bei der Zubereitung der Speisen half, den Kutscher Wulf und eine blutjunge Zofe namens Birgitta, deren einzige Aufgabe es war, Veronika zu bedienen, anzukleiden und zu frisieren. Sie sah in ihrem schlichten, braunen Gewand so schlank und geschmeidig aus wie ein junger Weidenzweig. Ihre straff gebundene Haube aus ungebleichtem Leinen konnte ihr Haar nicht vollständig bändigen; weiche, blonde Strähnen stahlen sich an den Schläfen hervor, und ihr Gesicht war frisch, wach und selbstbewusst.

      Fidelitas vermutete, dass Gundis sie eingestellt hatte – weil sie, was die Zukunft ihre Enkelin anging, nicht bereit war, auch nur die kleinste Einzelheit dem Zufall zu überlassen. Ansonsten war sie sehr eindeutig nicht gewillt, mehr als absolut notwendig für den Lohn der Dienerschaft auszugeben. Sie selbst hatte genauso wenig eine Zofe wie ihre Schwiegertochter Regula, und dass die Spülmagd nicht nur dafür zuständig war, die groben Arbeiten in der Küche zu erledigen, sondern obendrein das ganze Haus sauber halten musste, ließ ebenfalls tief blicken.

      Die Köchin – eine dralle, freundliche Matrone namens Irmhild – tischte ihr als frühen Abendimbiss frisch gebackenes Brot und ein Gemüse aus Zwiebeln, Erbsen und Rahm auf. Fidelitas beantwortete geduldig jede Frage zum Klosterleben, die Irmhild einfiel, zog sich dann in ihr Zimmer unter dem Dach zurück und sprach die Gebete der Laudes, bevor sie sich schlafen legte. Es war ein langer Tag gewesen, und das Leben in diesem Haus versprach, alles andere als einfach zu werden.

      In den nächsten Tagen sondierte Fidelitas behutsam das Terrain. Was das Leiden von Regula Stöcklin anging, stand sie vor einem Rätsel: Ihre Patientin war keine zehn Jahre älter als sie, lebte in komfortablen Verhältnissen und hätte eigentlich gar nicht so krank sein dürfen, wie sie es war. Es waren keine typischen Anzeichen für die Schwindsucht zu finden (abgesehen von einer erschreckenden Magerkeit und Appetitlosigkeit). Fidelitas schloss Bauchwassersucht ebenso aus wie Krampfanfälle oder eine schleichende Vergiftung, denn Regula aß (wenn sie denn etwas aß) genau dasselbe wie der Rest der Familie. Und sie hatte auch kein Fieber.

      Nach einer Woche war Fidelitas noch immer ratlos. Sie schlief schlecht, zermarterte sich das Hirn auf der Suche nach einer Krankheit, die sie nicht kannte oder übersehen hatte, und wünschte sich zunehmend verzweifelt Schwester Maria Curatia herbei, die Infirmarin aus ihrem Kloster. Vielleicht hatte sie sich selbst überschätzt und wäre besser gar nicht erst hergekommen.

      Als sie wenig später mitten in der Nacht die Matutin betete, erinnerte sie sich plötzlich an etwas, das sie vor ein paar Monaten in den sorgfältigen Aufzeichnungen von Schwester Agatha gelesen hatte – über den schweren Unfall einer jungen Postulantin vor dreißig Jahren, über ihre Behandlung und die Folgen. Und ihr ging plötzlich etwas durch den Sinn, was Mutter Scholastika einmal zu ihr gesagt hatte: Nicht immer hilft es, Fragen zu stellen, Kind. Manchmal ist es klüger, zu schweigen und stattdessen auf deinen Instinkt zu vertrauen.

      Nach Sonnenaufgang stieg sie – noch reichlich übernächtigt – in die Küche hinunter, bekam einen heißen Haferbrei mit eingelegten Pflaumen serviert und löffelte ihn dankbar, während sie darauf wartete, dass auch der Rest des Gesindes auftauchte. Vielleicht konnte sie von einer Tatsache profitieren, die ihr schon in früheren Jahren aufgefallen war: dass man einer Nonne manchmal ebenso viel Zutrauen entgegenbrachte wie einem Beichtvater und dass man sie für ebenso verschwiegen hielt – was weder auf Nonnen noch Beichtväter ohne jede Ausnahme zutraf, wie Fidelitas sehr wohl wusste.

      Wenige Minuten später erschien Veronikas Zofe Birgitta auf der Türschwelle, gegen die Morgenkühle in ein wollenes Umschlagtuch gehüllt und einen kleinen, zugedeckten Korb über dem Arm, in dem es leise klirrte, als sie ihn auf den Tisch stellte. Fidelitas bemerkte, dass sie erst ihr und dann der Köchin einen verstohlenen Blick zuwarf – als hätte sie nicht erwartet, die neue Hausgenossin hier vorzufinden. Und als wollte sie nicht, dass Fidelitas sah, was sich in diesem Korb befand.

      Fidelitas entschied sich blitzschnell. Ehe die Zofe begriff, was sie plante, hatte sie den Korb bereits aufgeklappt und spähte hinein. Zwei Flaschen aus dunklem Glas lagen darin, verkorkt und mit Wachs versiegelt.

      Sie hob den Kopf und begegnete den Augen der Köchin. »Was ist denn das?«

      Ein langes, verlegenes Schweigen, dann wieder ein vielsagender Blickwechsel zwischen Zofe und Köchin.

      »Ein Stärkungsmittel für Frau Regula«, sagte die Köchin endlich. »Der Medikus, der bis letztes Jahr versucht hat, ihr Befinden zu bessern, hat es extra für sie zusammengestellt, aus verschiedenen Kräutern. Hat er jedenfalls gesagt.«

      »Ich mochte ihn nicht.« Das war Birgitta. »Immer, wenn er hier war, um Frau Regula zu behandeln und ihr ihre Medizin zu bringen, mussten wir ihn bedienen. Und anders als die arme Herrin hat er gefressen wie ein Scheunendrescher. Er hat sich's bei uns so gut gehen lassen wie ein gieriger Landjunker … und mich dabei jedes Mal mit den Augen ausgezogen. Ich war immer froh, wenn ich nicht allein war mit ihm. Herr Stöcklin hat ihm aber irgendwann nicht mehr vertraut. Er hat ihn hinausgeworfen und ihm verboten, jemals wieder das Haus zu betreten.«

      Das junge Mädchen wirkte so unruhig wie ein Kind, das unerwartet bei einem zweifelhaften Streich ertappt worden war.

      »Verstehe ich richtig, dass Frau Regula seit dem Verschwinden des Medikus nicht aufgehört hat, dieses Stärkungsmittel zu trinken?«, wollte Fidelitas wissen.

      »Das … das ist wahr.« Birgitta wagte sichtlich nicht, etwas zu sagen; es war die Köchin, die antwortete. »Sie hat diesem Kurpfuscher ordentlich Geld für das Rezept gezahlt, bevor Herr Vinzenz ihm verboten hat, je wieder hierherzukommen. Und jetzt lässt sie sich die Mixtur von einem Apotheker in Neuburg anrühren, immer zwei Flaschen auf einmal.«

      Fidelitas runzelte die Stirn. »Und da Frau Regula sich diesen Trank wohl kaum selbst beschaffen