Hexenglut. Historischer Kriminalroman.. Simone Dorra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simone Dorra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783842522862
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lag auf ihrer Matratze ausgestreckt, den Kopf in ihre Richtung gewandt. Das grau gesträhnte Haar war verwirrt und schweißnass, aber ihr bleiches Gesicht sah im schwachen Licht der einzelnen Flamme entspannt aus, und zum ersten Mal seit Tagen waren ihre Augen ruhig und klar.

      Von Vinzenz Stöcklin kam ein erstickter Laut, eine Mischung aus Staunen und fassungsloser Erleichterung. In der nächsten Sekunde beugte er sich über seine Frau, streichelte ihre Wange und küsste sie auf die Stirn.

      Fidelitas trat an das Bett, stellte den Kerzenhalter auf den Nachtkasten und griff nach Regulas Handgelenk. Unter ihrem Daumen konnte sie den Puls fühlen. Es war ein sachter, steter Rhythmus, der sie mit freudiger Hoffnung erfüllte.

      »Wie geht es Euch?«, fragte sie leise.

      »Ich weiß nicht recht …«, murmelte Regula. »Ich fühl mich furchtbar zerschlagen. Aber … aber ich glaube fast, ich habe ein klein wenig Hunger.«

      Fidelitas lächelte.

      »Irmhild hat unten in der Küche schon den ganzen Tag einen Topf mit Brühe auf dem Herd«, sagte sie. »Ich werde Euch sofort etwas davon bringen.«

      Sie ging rasch hinaus und machte sich auf den Weg die Treppe hinab, jeder Schritt federleicht.

      Deo gratias, dachte sie. Danke, oh Herr … dafür, dass du in deiner unendlichen Gnade mir ebenso beigestanden hast wie ihr.

      Von dieser Nacht an ging es aufwärts. Zwar erholte Regula sich nur langsam, aber die Albträume schwanden ebenso wie ihre Schreckensvisionen. Sie gewann ihren Appetit zurück, und Irmhild, die Köchin, bereitete für sie leichte Suppen und Gemüse zu, nachdem sie sich bei Fidelitas Rat geholt hatte, welche Kräuter sie hinzufügen sollte, um ihre Herrin zusätzlich zu stärken.

      Die ganze Stimmung im Haus änderte sich. Je besser es Regula ging, desto fröhlicher wurde die Dienerschaft, desto aufrechter die Haltung von Vinzenz Stöcklin und desto zugänglicher seine Tochter. Nachdem Regula zum ersten Mal das Bett verlassen und einen kleinen Spaziergang unternommen hatte, saß Veronika täglich bei ihr; das Verbot ihrer Großmutter schien sie nicht länger zu kümmern.

      Das Verhalten von Gundis stellte Fidelitas vor ein Rätsel. Bei ihrer Ankunft in Freiburg hatte die Strenge der alten Frau über dem Haus gehangen wie eine dunkle Wolke. Die Dienerschaft hatte nur mit gesenkter Stimme über sie gesprochen, als fürchteten die Leute, sie könnte sie belauschen, und ihre Familie hatte ihr offenbar wenig entgegenzusetzen. Aber jetzt ließ Gundis sich kaum noch blicken, und ihre scharfe, fordernde Stimme schien fast verstummt zu sein. Oder aber ihre Umgebung war nicht länger bereit, ihr zu gehorchen.

      »Und das wundert Euch?«, sagte Heinrich Stöcklin kurz darauf zu ihr. »Ihr habt das Gleichgewicht in diesem Haus verändert, und das ist das Ergebnis.«

      Fidelitas saß nach dem Abendessen bei ihm in seinem bücherduftenden Rückzugsort; seit Regula nicht mehr ständige Aufsicht brauchte, besuchte sie Vinzenz Stöcklins Vater häufig und genoss seine Gesellschaft ebenso sehr wie er die ihre. Jetzt musterte sie ihn stirnrunzelnd.

      »Ich verstehe nicht, was Ihr meint. Wie soll ich das denn angestellt haben?«

      »Ganz einfach – dank Euch wird Regula endlich gesund«, meinte er. »Und sobald sie wieder den Platz im Haus einnehmen kann, der ihr zusteht, wird meine Frau zwangsläufig ihre Macht verlieren.«

      Der alte Herr lächelte sie an. Er hatte es sich in seinem Lesesessel am Fenster gemütlich gemacht, und seine Augen blinzelten humorvoll durch die in Horn gefassten Gläser, die mithilfe einer weichen, geschlitzten Lederpolsterung um den Bügel fest auf seiner Nase saßen.

      »Meiner armen Gundis ist es immer schon schwergefallen, etwas, das sie einmal in den Händen gehalten hat, wieder loszulassen«, erklärte er. »Als es mir nach vielen Jahren harter Arbeit endlich gelungen war, meinen Platz unter den Kaufleuten dieser schönen Stadt zu finden, ist das ein großer Triumph für sie gewesen. Doch seither wird sie von der ständigen Angst geplagt, das Glück könnte eines Tages ein unzeitiges Ende nehmen – durch Raub, Betrug oder Ungeschick im Handel. Und eines muss man ihr lassen: Was den Handel angeht, war sie immer die Klügere von uns beiden. Nun ja – vielleicht ist sie ja auch einfach nur gerissener als ich.«

      Er gluckste.

      »Und sie wollte und will immer alles unter Kontrolle haben – die Bücher überwachen, mit den Gerbern und Tuchmachern verhandeln und am liebsten jedes Goldstück selbst in die Truhen legen. Ich hab sie gewähren lassen. Vielleicht ist das ein Fehler gewesen … Denn als ich mein Geschäft an Vinzenz übergeben habe, musste sie gemeinsam mit mir aufs Altenteil. Das hat ihr deutlich weniger geschmeckt als mir.«

      Er nahm die Augengläser ab und rieb sich die kleine Druckstelle auf dem Nasenrücken, bevor er sie wieder aufsetzte.

      »Vinzenz stellt sich gottlob genauso geschickt an wie sie. Und Regula … Ehe sie vor etwas mehr als zwei Jahren krank wurde, ist sie eine gute Hausherrin gewesen, freundlich zum Gesinde und streng nur dort, wo es darauf ankam. Die Dienerschaft hat sie geliebt. Aber dann zog sie sich durch ihr Leiden immer mehr zurück. Ich wollte – und konnte – mir die Last unseres Geschäfts nicht mehr auf meine Schultern laden, also war Vinzenz darauf angewiesen, dass Gundis hier wieder das Ruder übernahm. Sonst hätte er nicht reisen und in Frankreich oder Italien die besten Stoffe einkaufen können … und ein Tuchhändler, der keine Tuche mehr anzubieten hat, geht irgendwann am Bettelstab.«

      Fidelitas nickte langsam. Sie erinnerte sich gut daran, was die Äbtissin zu ihr über Vinzenz Stöcklin und seine Mutter gesagt hatte. Er brennt darauf, ihr die Zügel wieder aus der Hand zu nehmen. So schnell wie möglich.

      »Seid Ihr nie auf die Idee gekommen, Eure Frau in die Schranken zu weisen?«, wollte sie wissen – und biss sich gleich darauf auf die Lippen. »Ich bitte um Vergebung. Es steht mir nicht zu …«

      »Gewiss nicht.« Heinrich Stöcklin lachte leise. »Platzt Ihr immer mit allem heraus, was Ihr denkt? Das dürfte Euch im Kloster Schwierigkeiten machen.« Fidelitas musste ihm im Stillen recht geben. »Es tut mir wirklich leid.«

      »Aber wahr ist es trotzdem«, versetzte er. »Es ist bloß nicht gerade einfach, meine Gundis zu etwas zu bewegen, das sie nicht will. Sie ist so störrisch wie ein Maulesel. Und ich muss leider sagen, dass mir für einen heftigen Streit mit ihr heutzutage die Kraft fehlt. Nicht nur mein Augenlicht hat nachgelassen, auch mein Herz ist mit den Jahren ein wenig … müde geworden.«

      Fidelitas starrte ihn an. »Ihr seid krank? Das wusste ich nicht – warum habt Ihr denn nichts gesagt?«

      »Weil Ihr mit Regula sowieso schon alle Hände voll zu tun hattet«, meinte Heinrich Stöcklin gelassen. »Ich habe einen Apotheker, der mich zuverlässig mit Fingerhutessenz versorgt. Die Rezeptur stammt noch von dem alten Medikus vor dem unseligen Michel Sebald, dem wir Regulas ›Heilmittel‹ verdanken. Und der Apotheker ist ein alter Freund, dem ich vertraue … nicht der Panscher, bei dem die Zofe und die Köchin immer die Flaschen mit diesem Teufelszeug geholt haben.«

      Und der an Regulas Leiden wahrscheinlich ebenso gut verdient hat wie Sebald, dachte Fidelitas.

      »Trotzdem: Falls ich Euch in irgendeiner Weise helfen kann, sagt es mir«, meinte sie. »Solange ich noch hier bin, meine ich.«

      »Aber gewiss.« Die Augen des alten Herrn funkelten verschmitzt. »Und Ihr habt mir schon geholfen, Schwester. Mit einer gesunden Regula an seiner Seite wird es Vinzenz viel leichter fallen, sich gegen Gundis durchzusetzen. Das gibt ihm mehr Selbstvertrauen. Und es wird meinem willensstarken Weib bestimmt nicht schaden, ein wenig zurückzustecken. – Habt Ihr eigentlich das Münster schon besucht?«

      Fidelitas schüttelte den Kopf. »Nein. Mir hat bisher die Zeit gefehlt.«

      »Das müsst Ihr unbedingt nachholen.« Die Stimme von Heinrich Stöcklin wurde lebhaft. »Es hat mehr als dreihundert Jahre gedauert, es zu errichten, und noch immer wird daran gebaut … Im Moment entsteht