Hexenglut. Historischer Kriminalroman.. Simone Dorra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simone Dorra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783842522862
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Welt erfuhr, was sie selbst wollte. Wenn das geschah, musste es bald geschehen – Veronika wusste genau, dass ihr die Zeit davonlief. Über kurz oder lang würde Martin Danner den Geschenken, mit denen er sie behängte, den Ehering folgen lassen, und dann war es zu spät.

      Trotz alledem war sie zu Tode erschrocken, als sie sich an diesem Abend ins Haus schlich … als sie die Hand spürte, die sie am Umhang festhielt, und die ruhige Stimme hörte, die sie anwies, ihr hinunter in die Küche zu folgen.

      Sie war verloren.

      Abgesehen von dem kleinen Lichtkreis der Kerze, die Fidelitas mitgebracht hatte, war die Küche vollkommen dunkel.

      Veronika saß auf einem Hocker am Tisch, die Schultern angespannt, den Kopf gesenkt. Den Umhang zog sie fest um sich zusammen, als könnte sie sich damit vor der Strafpredigt schützen, die ihr zweifellos bevorstand.

      Aber die Nonne schwieg.

      Veronika blickte auf und studierte ebenso schweigend das Gesicht, das sich vor ihr aus der Finsternis schälte – ebenmäßige Flächen, vergoldet vom Flammenschein, die gerade Nase, der volle, ein wenig herbe Mund, das eckige, willensstarke Kinn. Es kam ihr so vor, als würde sie Fidelitas zum ersten Mal richtig sehen, und ihr stockte das Herz bei dem Gedanken, dass diese fast vollkommen fremde Frau buchstäblich ihr Schicksal in den Händen hielt.

      »Werdet Ihr meinem Vater erzählen, dass ich heimlich aus dem Haus war?«, fragte sie endlich, als sie die Stille nicht länger aushielt. »Oder … oder meiner Großmutter?«

      »Euer Vater würde zweifellos beunruhigt und enttäuscht sein. Aber natürlich fürchtet Ihr Euch am meisten vor dem, was Frau Gundis zu solchen Eigenmächtigkeiten sagen würde. Nicht wahr?« Fidelitas betrachtete sie forschend. »Kommt es häufiger vor, dass Ihr Euch heimlich davonschleicht? Oder ist das heute zum ersten Mal geschehen?«

      Veronika hätte liebend gerne gelogen, brachte es aber einfach nicht fertig. »N… – nein. Ich mach das schon ein paar Monate.«

      »Soso.« Fidelitas faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. »Darf ich den Namen des jungen Mannes erfahren?«

      Veronikas Kopf zuckte hoch. »Woher wisst Ihr …«

      »Das ist nicht weiter schwer.« Die Nonne lächelte sachte. »Wenn Ihr eine Freundin aufsuchen wollt, könnt Ihr das jederzeit bei Tageslicht tun … und bei einem Händler wollt Ihr zu dieser späten Stunde wohl kaum noch etwas kaufen. Aber da Eure Großmutter im Moment Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um Euch möglichst gewinnbringend unter die Haube zu bringen, bleibt eigentlich nur eine Sache übrig, die Euch zu solchen Heimlichkeiten treiben könnte – jemand, an den Ihr Euer Herz verschenkt habt, ohne dass Eure Familie davon wissen darf. – Wie heißt er?«

      »Jörg.« Veronika sprach sehr leise. »Er … er ist ein guter, anständiger Mensch. Und wir haben nichts getan, was … ich meine, wir …« Sie biss sich auf die Lippen; ihre Wangen waren brennend heiß.

      »Wenn er so ein anständiger Mensch ist, wie Ihr sagt – warum kommt er dann nicht her und bittet Euren Vater um Eure Hand?« Die Stimme der Nonne enthielt erstaunlicherweise nicht einen Hauch von Tadel, sondern ehrliche Anteilnahme. »Das würde Euch diese Heimlichkeiten mitten in der Nacht ersparen – und ehrbarer wäre es auch, meint Ihr nicht?«

      Veronika starrte die Nonne an, und die Verzweiflung über den schmerzhaften Zwiespalt, in dem sie sich befand, schlug wie eine eiskalte Woge über ihr zusammen.

      »Ehrbarer wäre es ganz sicher«, entgegnete sie bitter. »Aber in diesem Fall ist alle Ehrbarkeit vergebens, Schwester. Denn ich bin Martin Danner versprochen. Der ist reich, wohlhabend und angesehen und alles, was sich meine Großmutter als Bräutigam für mich erhofft hat. Jörg ist nichts davon.«

      Sie schluckte heftig.

      »Und außerdem … außerdem ist er Martins jüngerer Bruder.«

      »Jörg Danner? Ja, freilich kenn ich den! Er ist ein wirklich guter Junge.«

      Es war am folgenden Mittag. Fidelitas hatte Heinrich Stöcklin ein leichtes Essen hinaufgebracht, weil er sich heute zu schwach und müde fühlte, um mit am Familientisch zu sitzen. Sie hatte extra gewartet, bis sein Beichtvater – ein raubvogelgesichtiger und ziemlich furchteinflößender Priester namens Paulus Mayr, der ihn einmal wöchentlich besuchte – sich verabschiedet hatte und mit wehender Soutane durch die Haustür verschwunden war.

      Nach gründlichem Abwägen und viel Gebet war sie sich inzwischen sicher, dass es klüger sein würde, nicht mit Vinzenz und erst recht nicht mit Gundis über das zu sprechen, was Veronika ihr erzählt hatte, sondern besser mit Veronikas Großvater. Und nachdem der Name des heimlichen Liebsten seiner Enkelin das erste Mal gefallen war, vergaß der alte Herr auf verblüffende Weise alle Schwäche und wirkte mit einem Mal ausgesprochen munter.

      »Mein Mädel ist klug«, verkündete er, »genau wie Jörg. Es wundert mich gar nicht, dass er es war, der ihr Herz gewonnen hat, und nicht sein hochmütiger Laffe von Bruder. Ginge es nach mir, ich würde sie Jörg sofort zur Frau geben. Er mag keine Reichtümer und keinen Einfluss besitzen, aber er ist ehrlich und fleißig. Er lernt ein ordentliches Handwerk bei einem Uhrmachermeister, und eines Tages würde er sie sehr gut versorgen können, da bin ich ganz sicher.«

      »Frau Gundis sieht das anders, nehme ich an?«, wollte Fidelitas wissen.

      »Weiß Gott!«

      Heinrich Stöcklin sank ein wenig in sich zusammen, als ginge ihm einmal mehr auf, dass es nicht seine Meinung war, die zählte.

      »Schon seit Jahren ist sie hinter Martin her wie der Teufel hinter der armen Seele. Nicht, dass der sich sonderlich dagegen wehren würde – ganz im Gegenteil.« Er schnaubte verächtlich. »Er weiß genau, was für ein Schatz ihm in den Schoß fällt, wenn er sich zu dem unschuldigen Kind ins Brautbett legt. Kein Wunder, dass er auf die Mitgift verzichtet hat – ich wette, für das Versprechen, Veronika heiraten zu dürfen, hat er noch ordentlich Geld auf den Tisch gelegt. Denn wenn Vinzenz einmal nicht mehr lebt und er das Vermögen seiner Frau erbt, ist er auf einen Schlag der größte Tuchhändler in ganz Freiburg.«

      Fidelitas schwieg eine Weile. Sie wusste, dass es ihr nicht zustand, ihre Meinung zu äußern, und sie konnte sich lebhaft das Stirnrunzeln ihrer Ehrwürdigen Mutter vorstellen, wenn sie sich hier einmischte. Außerdem war sie bei ihrem letzten »Ausflug« in die Welt jenseits der Klostermauern schon einmal zwischen die Fronten eines Familienstreites geraten und hatte dabei beinahe ihr Leben verloren. Es würde sicherlich weiser sein, sich aus diesem Konflikt herauszuhalten.

      Doch sie konnte den trostlosen Jammer in Veronikas Gesicht nicht vergessen. In diesem Fall ist alle Ehrbarkeit vergebens, hatte sie gesagt.

      »Ihr meint, Jörg sei ein guter Junge«, meinte sie. »Könnt Ihr mir etwas mehr über ihn erzählen?«

      »Er war, was seine Geburt angeht, nicht gerade von Glück begünstigt«, meinte Heinrich Stöcklin. »Martin ist der Sohn von Sebaldus' erster Frau Marie. Die starb, als er fünf war, und Sebaldus heiratete zum zweiten Mal – Anna, eine sanfte, friedliche Seele. Die hat ihm dann Jörg geschenkt. Sebaldus hat ihn sehr geliebt, war aber an das Erbrecht gebunden, durch das dem Erstgeborenen das gesamte Vermögen zufällt.«

      Er zog eine Grimasse.

      »Die zweite Frau ist durch genau dieses Erbrecht samt ihrer Nachkommen auf das Wohlwollen des Erstgeborenen angewiesen … und Martin kann seine Stiefmutter auf den Tod nicht ausstehen. Nach Sebaldus' plötzlichem Ableben hat er ihr das Leben im Haus so sauer gemacht, dass sie inzwischen ein paar Meilen weit weg in Kirchzarten lebt, bei einer gebrechlichen alten Patin, die bereit war, sie aufzunehmen, und die reichlich Pflege braucht. Jörg schickt ihr regelmäßig einen Teil der Ersparnisse, die er zu Lebzeiten seines Vaters hat zusammentragen können, um sie zu unterstützen. Er befindet