Die Pickwickier. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183319
Скачать книгу
nahm mich sodann beiseite, bat mich, ich solle mich auf das Schlimmste gefaßt machen, und erklärte mir, mir, dem Wahnsinnigen, daß mein Weib irrsinnig sei. Er stand mit mir an einem offenen Fenster, blickte mir ins Gesicht, und seine Hand ruhte dabei auf meinem Arm. Mit einem Ruck hätte ich ihn auf die Straße hinunterschleudern können. Es wäre ein köstlicher Spaß gewesen, wenn ich es getan hätte; aber mein Geheimnis stand auf dem Spiel, und so ließ ich ihn gehen. Ein paar Tage nachher sagten sie mir, ich müßte meine Frau aufs strengste beaufsichtigen lassen und ihr einen Wärter bestellen. – Ich! – Ich ging ins Freie, wo mich niemand hören konnte, und lachte, daß die Luft von meinem Jauchzen widerhallte.

      Sie starb den Tag darauf. Der weißköpfige alte Mann folgte ihr zum Grabe, und die stolzen Brüder ließen eine Träne auf die starre Leiche der Unglücklichen fallen, deren Leid sie, als sie noch lebte, ohne mit der Wimper zu zucken, mit angesehen hatten. Alles dies war Nahrung für meine innere Lust, und ich lachte beim Heimfahren von dem Leichenbegängnis hinter dem weißen Taschentuch, daß mir die Tränen in die Augen traten.

      Aber obgleich ich meinen Plan durchgeführt und sie unter die Erde gebracht hatte, so war ich doch unruhig und verstört und fühlte, daß mein Geheimnis nicht lange mehr verborgen bleiben konnte. Ich vermochte nicht, die wilde Heiterkeit und Freude, die in meinem Innern kochte, zu verheimlichen; ich mußte ihr, wenn ich allein zu Hause war, durch Hüpfen, Tanzen, Zusammenschlagen der Hände und lautes Hinausbrüllen Luft machen. Ging ich aus und sah ich überall eine geschäftige Menge durch die Straßen oder nach dem Theater eilen oder hörte ich Musik" und sah tanzen, so fühlte ich eine so tobende Lust, daß ich in die Häuser hätte einbrechen, den Leuten Stück für Stück das Fleisch vom Leibe reißen und laut aufheulen mögen in tollem Entzücken. Aber ich knirschte mit den Zähnen, stampfte mit den Füßen auf die Erde und grub mir die Nägel in die Hände. So hielt ich mich gewaltsam zurück, und noch kein Mensch ahnte, daß ich wahnsinnig war.

      Ich erinnere mich noch, obgleich dies zu den letzten Dingen gehört, deren ich mich entsinnen kann, denn seit kurzem vermenge ich die Wirklichkeit mit meinen Träumen, und da ich so viel zu tun habe, daß ich trotz der größten Eile nicht fertig zu werden vermag, so gebricht es mir an Zeit, beide aus der wunderlichen Verwirrung, in der sie vor mir auftauchen, zu trennen, ich erinnere mich noch, wie ich endlich meinen Zustand merken ließ. Haha! Es ist mir, als sähe ich noch die entsetzten Blicke, als fühlte ich noch die Leichtigkeit, womit ich sie von mir schleuderte, ihnen die geballten Fäuste in die aschfahlen Gesichter schlug und dann auf den Flügeln des Windes dahineilte, die schreiende und tobende Menge weit hinter mir zurücklassend. Die Kraft "eines Riesen kehrt in meine Muskeln zurück, wenn ich nur daran denke. Da, wie diese Eisenstange sich unter meinem wütenden Griffe biegt! Ich könnte sie zerbrechen wie einen dürren Ast, wenn nur nicht die langen Gänge mit den vielen Türen wären, ich glaube nicht, daß ich mich zurechtfinden könnte, und wenn auch, ich weiß recht wohl, daß unten eiserne Tore sind, die man immer verriegelt und verschlossen hält. Sie wissen, mit was für einem schlauen Irren sie es zu tun haben, und sind stolz darauf, mich hier zu haben, um mich zeigen zu können.

      Wo war ich stehengeblieben? Ja, richtig. Ich hatte einen kleinen Ausflug gemacht. Es war spät in der Nacht, als ich nach Hause kam, und ich fand den hochmütigsten der drei stolzen Brüder auf mich warten, eines dringenden Geschäfts wegen, wie er sagte; ich erinnere mich noch recht gut. Ich haßte diesen Menschen mit dem ganzen Haß des Wahnsinns. Oft und oft hatte es mir schon in den Fingern gejuckt, ihn zu zerreißen. Man sagte mir, daß er da wäre. Ich eilte rasch die Treppe hinauf. Er hatte mir etwas mitzuteilen. Ich schickte die Dienerschaft fort. Es war spät, und wir befanden uns allein, zum erstenmal.

      Anfangs hielt ich meine Augen sorgfältig von ihm abgewandt, denn ich wußte, wovon er keine Ahnung hatte, ja, ich freute mich dessen, daß die Glut des Wahnsinns wie strahlendes Feuer aus meinen Blicken leuchtete. Endlich fing er an zu sprechen. Meine täglichen Ausschweifungen und die sonderbaren Reden, so bald nach dem Tode seiner Schwester, seien eine Kränkung ihres Andenkens. Wenn er dies mit vielen Umständen, die anfänglich seiner Beobachtung entgangen seien, zusammenhalte, so müsse er glauben, daß ich sie nicht gut behandelt hätte. Er wollte wissen, ob seine Annahme, ich beabsichtige, einen Schatten auf ihr Andenken zu werfen und ihre Familie zu kränken, richtig sei. Er sei es der Uniform, die er trage, schuldig, diese Erklärung zu fordern.

      Dieser Mensch hatte ein Offizierspatent bei der Armee, ein Patent, das mit meinem Gelde und mit dem Elend seiner Schwester erkauft war. Er war der Rädelsführer eines Komplottes, das mich in eine Enge treiben und ihm Griffe in meine Kasse ermöglichen sollte. Er hauptsächlich hatte seine Schwester gezwungen, mich zu heiraten, trotzdem er wußte, daß ihr Herz jenem piepsenden Bürschlein gehörte. Seiner Uniform schuldig! Er! Der Livree seiner Schande! Ich wandte ihm meine Augen zu, ich konnte nicht anders, aber ich sprach kein Wort. Ich sah die plötzliche Veränderung, die unter dem Glutstrahl meiner Blicke in ihm vorging. Er war ein mutiger Mensch, aber die Farbe wich aus seinem Gesicht; er rückte den Stuhl zurück. Ich rückte ihm mit dem meinigen nach, und als ich lachte – ich war damals sehr lustig –, sah ich, daß er schauderte. Ich fühlte, wie der Wahnsinn in mir aufbrauste. Er fürchtete sich vor mir.

      ,Sie haben Ihre Schwester sehr geliebt, als sie noch am Leben war', sagte ich, ,natürlich, sehr geliebt.'

      Er sah unruhig im Zimmer umher, und ich gewahrte, wie seine Hand die Lehne seines Stuhles ergriff; aber er antwortete nicht.

      ,Du Schuft', sagte ich. ,Ich habe dich durchschaut; ich bin dem höllischen Komplott, das ihr gegen mich schmiedet, auf die Spur gekommen und weiß, daß ihr Herz an einem andern hing, ehe ihr sie zwangt, mein Weib zu werden. Ich weiß es, ich weiß es.'

      Er sprang von seinem Stuhl auf, schwang ihn in der Luft und rief mir zu, zurückzuweichen, denn ich war ihm, während ich sprach, immer näher gerückt.

      Ich schrie mehr, als ich sprach, denn ich fühlte, wie die Raserei über mich kam, und die alten Geister flüsterten mir ins Ohr und hetzten mich, ich solle ihm das Herz aus dem Leibe reißen.

      ,Gott verdamm dich', fuhr ich plötzlich auf und stürzte auf ihn los, ,ich habe sie getötet. Ich bin ein Wahnsinniger. Nieder, du Hund. Blut – Blut muß ich sehen.'

      Ich warf den Stuhl, den er in seinem Entsetzen nach mir schleuderte, mit einem Schlage beiseite, packte ihn, und wir stürzten beide mit einem dumpfen Krachen zu Boden.

      Ein herrlicher Kampf, denn er war ein großer, starker Mann, der sich um sein Leben wehrte, und ich ein Toller, der mit der Kraft des Wahnsinns rang und nach seinem Blute dürstete.

      Keine Kraft auf Erden hätte mir die Spitze bieten können, und ich behielt recht. Abermals recht, obgleich ich wahnsinnig war! Sein Kämpfen wurde immer schwächer. Ich kniete auf seiner Brust und umkrallte seine Gurgel mit ehernen Griffen. Sein Gesicht wurde purpurrot, die Augen quollen ihm aus dem Kopf, und er schien mich mit der herausgestreckten Zunge zu verhöhnen. Ich drückte immer fester zu.

      Da flog die Tür plötzlich krachend auf, und eine Menge Leute drang herein und rief sich gegenseitig zu, mich, den Wahnsinnigen, zu ergreifen. Mein Geheimnis war verraten, und mein Kampf galt jetzt nur noch meiner Freiheit. Ich war, ehe mich noch eine Hand berührte, wieder auf den Beinen, stürzte mich auf die Angreifer und bahnte mir mit den Armen, als hätte ich ein Beil in der Hand, mit dem ich alles niederschmetterte, einen Weg. Ich erreichte die Tür, schwang mich über das Treppengeländer und war im Nu auf der Straße.

      Ich lief immer geradeaus, aber niemand wagte es, mich aufzuhalten. Ich hört" das Geräusch der laufenden Füße hinter mir und verdoppelte meine Eile. Immer schwächer und schwächer wurde das Getöse und erstarb endlich ganz und gar. Aber immer noch jagte ich weiter über Sumpfgründe und Gräben, über Hecken und Zäune, unter wildem Jubelgeschrei, und die seltsamen Wesen, die mich von allen Seiten umgaben, stimmten mit ein, daß die ganze Luft von dem Geheul erfüllt war. Ich wurde von den Armen der Dämonen getragen, die im Winde dahinfegten und alle Hindernisse vor sich niederwarfen. Das Getümmel und die Eile, womit sie midi fortzogen, machten mich schwindlig, bis sie mich endlich gewaltsam von sich schleuderten und ich schwer auf die Erde niederstürzte. Als ich wieder erwachte, befand ich mich hier, hier, in dieser lustigen Zelle, wo mich die Sonne selten besucht und ihre Strahlen nur dazu dienen,