Endlich kam es über mich, und da nahm es mich wunder, wie ich mich je davor hatte fürchten können. Ich konnte jetzt unter die Leute gehen und mit ihnen lachen und johlen, so gut wie irgendeiner. Ich wußte, daß ich wahnsinnig war, aber sie hatten nicht die leiseste Ahnung davon. Wie jauchzte ich in meinem Innern über den Streich, den ich ihnen jetzt spielte, ihnen, die früher auf mich deuteten und mir nachblinzelten, als ich noch nicht irrsinnig war und nur in der Furcht lebte, ich könnte es eines Tages werden! Und wie bebte ich vor Freude, wenn ich allein war und dachte, wie gut ich mein Geheimnis zu bewahren verstand und wie rasch meine Freunde mich verlassen würden, wenn sie die Wahrheit erführen. Ich hätte vor Lust laut aufschreien mögen, wenn ein lärmender Zechbruder allein mit mir speiste und ich mir das Leichengesicht und die bebenden Beine des Burschen vorstellte, wenn er gewußt hätte, daß der liebe Freund, der neben ihm saß und sein Messer schärfte, ein Tollhäusler war, der die Macht und halb auch den Willen hatte, das gefährliche Werkzeug in sein Herz zu stoßen. Oh, es war ein lustiges Leben!
Reichtümer flössen mir zu, Schätze über Schätze, und ich schwelgte in Freuden, deren Genuß in dem Bewußtsein meines Geheimnisses einen tausendfältigen Wert für mich bekam. Ich erbte weitläufige Besitzungen. Das Gesetz, sogar das argusäugige Gesetz, ließ sich täuschen und spielte bestrittene Tausende in die Hand eines Wahnsinnigen. Wo war der Verstand der scharfsichtigen, der sogenannten vernünftigen Leute? Wo der Witz der Rechtsgelehrten, die doch sonst so leicht Nullitätsgründe aufzufinden wissen? Die Schlauheit des Tollen hatte sie alle überlistet.
Ich hatte Geld. Wie umschmeichelte man mich! Ich verschwendete. Wie wurde ich gepriesen! Wie sich jene drei stolzen, hochmütigen Brüder vor mir demütigten! Und auch der alte, grauköpfige Vater, welche Achtung, welche Ehrerbietigkeit, welche aufopfernde Freundschaft! – Ja, er betete mich an. Der alte Mann hatte eine Tochter, die Schwester der jungen Männer, und alle fünf waren arm. Ich war reich, und als ich das Mädchen heiratete, sah ich in dem triumphierenden Lächeln, das auf den Gesichtern ihrer dürftigen Verwandten spielte, daß sie sich des Gelingens ihres wohlangelegten Planes und der schönen Beute freuten. Es war nur an mir, zu lächeln. Zu lächeln? Nein, laut hinauszubrüllen, mir die Haare zu zerraufen und mich auf der Erde zu wälzen vor lauter Entzücken. Sie ließen sich's nicht träumen, die Tochter und Schwester an einen Wahnsinnigen verkuppelt zu haben.
Doch, halt! Wenn sie es auch gewußt hätten, würden sie sie geschont haben? Das Glück einer Schwester gegen das Gold ihres Gatten – ist es mehr als die leichteste Feder, die ich in die Luft blasen kann, gegenüber der glänzenden Kette, die meinen Körper schmückte? In einem Punkte wurde ich übrigens trotz meiner Schlauheit getäuscht. Wäre ich nicht wahnsinnig gewesen – merkwürdig, obgleich wir Irren doch sonst schlau genug sind, stellt sich doch hin und wieder eine Verwirrung bei uns ein –, so würde ich doch gewußt haben, daß das Mädchen weit lieber kalt und steif in einem bleiernen Sarge denn als beneidete Braut in meinen Prunkgemächern gelegen wäre. Ich würde gewußt haben, daß ihr Herz einem schwarzäugigen Knaben gehörte, dessen Namen ich sie einmal in dem Flüstern ihres unruhigen Schlafes nennen hörte, wobei sie zugleich Andeutungen fallenließ, sie sei mir geopfert worden, um den alten weißköpfigen Mann und die hochmütigen Brüder der Dürftigkeit zu entreißen.
Ich kann mich an Gestalten und Gesichter nicht mehr recht erinnern, aber ich weiß, daß das Mädchen schön war. Ich weiß das ganz gewiß, denn in hellen Mondnächten, wenn ich aus dem Schlafe auffahre, sehe ich still und regungslos in einem Winkel meiner Zelle eine abgezehrte Gestalt mit langen schwarzen, über die Schultern fallenden Locken stehen, die sich von keinem irdischen Lufthauch bewegen, die Augen starr auf mich geheftet, ohne je damit zu zucken oder sie zu schließen. Pst! Das Blut strömt mir eiskalt zum Herzen, während ich dies niederschreibe; die Gestalt ist die ihrige; ihr Gesicht ist sehr blaß, und die Augen glänzen wie Glas; aber ich kenne sie wohl. Sie bewegt sich nie, verzieht nie die Stirn und den Mund, wie es die andern tun, die bisweilen diesen Ort erfüllen, aber sie ist mir sogar noch schrecklicher als die Gespenster, die mich vor Jahren zum Wahnsinn verlockten, sie kommt frisch aus dem Grabe und hat ganz das Aussehen einer Leiche.
Fast ein Jahr lang sah ich dieses Gesicht immer blasser werden; fast ein Jahr lang sah ich Tränen über die vergrämten Wangen rinnen, ohne daß ich den Grund kannte. Aber endlich kam ich doch dahinter. Man konnte es mir nicht länger verbergen. Sie hatte mich nie geliebt, und ich habe auch nie geglaubt, daß sie mich liebte. Sie verachtete meinen Reichtum und haßte den Glanz, der sie umgab. Das hatte ich nicht erwartet. Sie liebte einen andern. An eine solche Möglichkeit hatte ich nie gedacht. Seltsame Gefühle bemächtigten sich meiner, und irgendeine geheimnisvolle Macht flüsterte mir Gedanken zu, die in meinem Hirne wirbelten und tobten. Sie haßte ich nicht, wohl aber den Menschen, um den sie immer weinte. Ich beklagte ja, ich beklagte das elende Leben, zu dem sie von ihren kaltherzigen und selbstsüchtigen Verwandten verdammt worden war. Ich wußte, daß sie nicht lange machen konnte, aber der Gedanke, sie könnte vor ihrem Tode einem unglücklichen Geschöpfe das Leben geben, das die Bestimmung trüge, den Wahnsinn auf seine Sprößlinge fortzupflanzen, gab den Ausschlag. Ich faßte den Entschluß, sie zu ermorden.
Viele Wochen trug ich mich mit dem Gedanken, sie zu vergiften, dann, sie zu ertränken, und dann, sie zu verbrennen. Ein herrliches Schauspiel, das große Haus in Flammen, in denen das Weib des Wahnsinnigen zu Asche verbrannte. Dann auch noch der Spaß, eine große Belohnung für die Entdeckung des Täters auszusetzen und einen vernünftigen Menschen für eine Tat, die er nie begangen, im Winde baumeln zu sehen – und all dies durch die Schlauheit eines Wahnsinnigen! Ich dachte oft an diesen Plan, aber endlich gab ich ihn wieder auf. Oh, welch eine Lust, Tag für Tag das Rasiermesser zu streichen, die Schärfe der Schneide zu befühlen und an das Klaffen zu denken, das ein Schnitt mit diesem dünnen, glänzenden Stahl hervorbringen würde!
Endlich flüsterten mir die Geister, die mich früher sooft besucht hatten, ins Ohr, daß die Zeit gekommen war, und drückten mir dabei das offene Rasiermesser in die Hand. Ich faßte es mit festem Griff, stand leise vom Bett auf und beugte mich, über mein schlafendes Weib. Sie hatte ihr Gesicht mit den Händen bedeckt. Ich entfernte sie sachte, und sie sanken auf ihre Brust. Sie hatte geweint, denn ihre Wangen trugen noch die feuchten Spuren von Tränen. Ihr Gesicht war sanft und ruhig, und in dem Augenblick, als ich sie so betrachtete, überflog ein leichtes Lächeln ihre blassen Züge. Ich legte leise meine Hand auf ihre Schulter. Sie fuhr auf, aber nur wie in einem vorübergehenden Traum. Ich beugte mich abermals vorwärts. Sie schrie auf und erwachte.
Eine einzige Bewegung meiner Hand würde für immer jeden Laut aus ihrer Kehle erstickt haben. Aber ich war erschreckt und trat zurück. Ihre Augen waren fest auf die meinigen geheftet. Ich weiß nicht, wie es zuging, aber sie schüchterten mich ein und nahmen mir allen Mut. Sie erhob sich aus dem Bett, unverwandt ihre Blicke auf mich gerichtet. Ich zitterte, hielt das Rasiermesser in der Hand, konnte mich aber nicht von der Stelle bewegen. Sie ging auf die Tür zu. Kurz davor drehte sie sich um und wandte die Augen von meinem Gesicht ab. Der Zauber war zerstört. Ich sprang auf sie zu und faßte sie am Arm. Schrei folgte auf Schrei, und sie sank zu Boden.
Jetzt hätte ich sie, ohne ein Widerstreben befürchten zu müssen, ermorden können, aber der Lärm hatte alle im Hause auf die Beine gebracht. Ich hörte Fußtritte auf den Treppen, versteckte das Rasiermesser wieder an seinem Ort, öffnete die Tür und rief laut um Hilfe. Man kam, hob sie auf und legte sie wieder auf ihr Bett. So lag sie einige Stunden besinnungslos da; aber mit dem Leben und der Sprache kehrte nicht auch die Vernunft wieder; sie tobte in wilden und wütenden Delirien.
Man rief Ärzte herbei, große und berühmte Gelehrte, die in prächtigen Equipagen mit wunderschönen Pferden und prunkenden Lakaien, vorfuhren.