Die Pickwickier. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183319
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dieses Ortes. Sie darf nicht verlorengehen."

      Er klopfte an die Tür des Bauernhauses. Der Besitzer öffnete.

      "Wissen Sie nicht, wie dieser Stein hierherkam, mein Freund?" fragte wohlwollend Mr. Pickwick.

      "Nein, Sir", antwortete der Mann höflich. "Er lag schon hier, lange, ehe ich oder einer von uns geboren wurde."

      Mr. Pickwick warf einen triumphierenden Blick auf seinen Gefährten.

      "Sie – Sie – hängen vermutlich nicht allzusehr an ihm?" fragte er, zitternd vor innerer Erregung. "Würden Sie ihn nicht verkaufen?"

      "Na, wer möcht denn den kaufen?" fragte der Mann mit einer Miene, die wahrscheinlich sehr pfiffig sein sollte.

      "Kurz und gut, ich gebe Ihnen zehn Schilling, wenn Sie mir ihn dafür herausgraben wollen", entgegnete Mr. Pickwick.

      Man kann sich das Erstaunen des ganzen Dorfes vorstellen, als Mr. Pickwick den Stein, der mit einem einzigen Spatenstich herausgehoben war, mit nicht geringer körperlicher Anstrengung eigenhändig nach dem Wirtshaus trug und ihn, nachdem er ihn zuvor sorgfältig gewaschen, auf den Tisch legte.

      Das Frohlocken und die Freude der Pickwickier kannten keine Grenzen, als endlich ihre Geduld und ihre Emsigkeit im Waschen und Abkratzen von Erfolg gekrönt war. Der Stein war uneben und zerbrochen, die Buchstaben standen schief und unregelmäßig, dessenungeachtet aber ließ sich das folgende Bruchstück einer Inschrift deutlich entziffern:

      †

       BILST

       UM

       PSSEIN

       NGRAE

       NZZ

       EICH

       EN.

      Mr. Pickwicks Augen leuchteten vor Entzücken, als er sich niedersetzte und den aufgefundenen Schatz von allen Seiten betrachtete. Er hatte eins der höchsten Ziele seines Ehrgeizes erreicht. In einer wegen der Überreste aus früheren Jahrhunderten berühmten Grafschaft, in einem Dorfe, in dem sich gegenwärtig noch einige Denkwürdigkeiten älterer Zeiten vorfanden, hatte er, er, der Präsident des Pickwick-Klubs, eine seltsame und merkwürdige Inschrift von unzweifelhaft antikem Charakter entdeckt, die den Blicken so vieler gelehrter Forscher vor ihm entgangen war. Kaum wollte er seinen Augen trauen.

      "Dies – dies", sagte er, "ist bestimmend für mich. Wir kehren morgen nach London zurück."

      "Morgen?" riefen seine verwunderten Begleiter.

      "Ja, morgen. Dieser Schatz muß rasch nach einem Orte gebracht werden, wo er mit Muße gründlich untersucht und gehörig gewürdigt werden kann. Auch habe ich noch einen andern Grund für diesen Schritt. In einigen Tagen findet eine Parlamentswahl in dem Flecken Eatanswill statt, wo Mr. Perker, ein Herr, den ich kürzlich kennenlernte, als Agent für einen der Kandidaten auftreten wird. Wir wollen Zeugen davon sein und eine Szene, die für jeden Engländer von so hoher Wichtigkeit ist, aufs sorgfältigste beobachten."

      "Ja, das wollen wir", stimmten die drei Freunde aufs lebhafteste ein.

      Mr. Pickwick blickte um sich. Die Wärme und Anhänglichkeit seiner Jünger entzündeten die Glut seiner Begeisterung. Er war ihr Führer, und er fühlte es.

      "Wir wollen dieses glückliche Zusammentreffen mit einem Gläschen feiern", sagte er.

      Auch dieser Vorschlag wurde mit einstimmigem Beifall aufgenommen, und nachdem Mr. Pickwick den wichtigen Stein in einem von der Wirtin erstandenen Bretterkistchen geborgen, setzte er sich an das Kopfende des Tisches in einen Armstuhl. Dann verbrachten die Herren den Abend bei Wein und fröhlicher Unterhaltung.

      Es war elf Uhr vorbei – eine späte Stunde für das kleine Dorf Cobham –, als sich Mr. Pickwick nach dem Schlafgemach begab, das zu seiner Aufnahme hergerichtet worden war. Er öffnete das Gitterfenster, stellte das Licht auf den Tisch und erging sich in einer Reihe von Betrachtungen über die inhaltvollen Begebnisse der letzten zwei Tage.

      Ort wie Stunde waren so recht zu dieser Stimmung geeignet, und Mr. Pickwick erwachte erst aus seinem Grübeln, als die Turmuhr die zwölfte Stunde verkündete. Der erste Glockenton schlug feierlich an sein Ohr; als aber der letzte ausgeklungen hatte, wurde ihm die tiefe Stille unerträglich; es war ihm fast, als hätte er einen Freund verloren. Er war nervös und aufgeregt, entkleidete sich hastig, stellte das Licht auf den Kamin und ging zu Bett.

      Jeder hat wohl schon den unbehaglichen Gemütszustand erfahren, in dem das Gefühl körperlicher Ermattung vergebens gegen die Schlaflosigkeit ankämpft. Auch bei Mr. Pickwick war dies gegenwärtig der Fall. Er wälzte sich von der einen Seite auf die andere und schloß beharrlich die Augen, um mit Gewalt einzuschlummern; aber vergeblich. Lag nun der Grund in der ungewohnten Anstrengung des Tages, an dem genossenen Getränk oder an dem fremden Bett – wie dem auch sein mag, seine Gedanken kehrten ohne Unterlaß zu den grimmigen Bildern in der Gaststube und zu den alten Legenden zurück, von denen im Verlaufe des Abends die Rede gewesen. Nachdem er sich in dieser Weise eine Stunde ruhelos umhergewälzt hatte, kam er zu der unbehaglichen Überzeugung, daß er vergeblich einzuschlafen versuche, weshalb er aufstand und sich teilweise ankleidete. Alles, dachte er, ist besser als das Daliegen in Phantasien der allerschrecklichsten Art. Er sah zum Fenster hinaus. Tiefste Dunkelheit. Er ging im Zimmer auf und ab und fühlte sich höchst einsam.

      Er war etliche Male vom Fenster zur Tür und von der Tür zum Fenster spaziert, als ihm plötzlich das Manuskript des alten Geistlichen wieder ins Gedächtnis kam. Ein guter Einfall! War es vielleicht auch uninteressant, so konnte es ihn möglicherweise in Schlaf wiegen. Er holte es daher aus seiner Rocktasche, rückte einen kleinen Tisch an die Seite seines Bettes, schneuzte das Licht, setzte seine Brille auf und schickte sich zum Lesen an. Es waren wunderliche Schriftzüge; die Blätter bekleckst und beschmutzt.

      Auch der Titel hatte etwas Unheimliches, und Mr. Pickwick konnte es sich nicht versagen, ängstliche Blicke im Zimmer umherzuwerfen. Nach einiger Überlegung fühlte er jedoch die Albernheit, solchen Gefühlen Raum zu geben; er putzte das Licht abermals und las, wie folgt:

      MANUSKRIPT EINES IRREN

      "Ja! Eines Irren! Wie mir dieses Wort vor vielen Jahren ins Herz geschnitten hätte! Wie es das Entsetzen, das mich zuweilen anzuwandeln pflegte, geweckt und das Blut glühend und zischend durch meine Adern gejagt haben würde, bis der kalte Tau der Angst in großen Tropfen auf meine Stirn getreten wäre und meine Knie vor Furcht geschlottert hätten! Aber jetzt liebe ich es. Es ist ein schönes Wort. Zeigt mir den Monarchen, dessen finsterer Groll je so gefürchtet worden wäre wie der starre Blick des Wahnsinns, dessen Stricke und Beile nur halb so sicher wären wie der Griff eines Tobsüchtigen. Haha! Es ist etwas Großes, wahnsinnig zu sein, angesehen zu werden wie ein wilder Löwe durch die Stäbe des Eisengitters, die lange, stille Nacht durch zu heulen und mit den Zähnen zu knirschen und lustig mit den Ketten dareinzuklirren und dann, im Entzücken über diese köstliche Musik, sich im Stroh zu wälzen und zu wühlen. Es lebe das Tollhaus! Oh, es ist ein herrlicher Ort!

      Ich erinnere mich der Zeit, wo mich der Gedanke, wahnsinnig zu werden, mit einem solchen Entsetzen erfüllte, daß ich oft, wenn ich aus dem Schlafe auffuhr, auf die Knie niederfiel und inbrünstig zu Gott flehte, er möchte den Fluch meiner Familie von mir nehmen; daß ich den Anblick der Heiterkeit und des Glückes floh, um mich an einsamen Orten zu verbergen, und manche langsam sich schleppende Stunde verbrachte, um die Fortschritte des Fiebers zu beobachten, das mein Gehirn verzehrte. Ich wußte, daß der Wahnsinn in meinem Blute kreiste und tief im Mark meiner Knochen steckte, daß zwar eine Generation von dieser Pest bewahrt geblieben war, aber daß ich der erste sein werde, bei dem sie wieder ins Leben treten müßte. Ich wußte, daß es so sein mußte, daß es immer so gewesen war und immer so sein würde, und wenn ich mich in einem belebten Saal in irgendeine dunkle Ecke zurückzog und die Leute flüstern, sich zuwinken und die Augen auf mich richten sah, da wußte ich, daß sie über den zum Wahnsinn Verdammten sprachen, und schlich mich hinweg, um in der Einsamkeit meinen Grübeleien nachzuhängen. So währte es Jahre, lange, lange Jahre. Die Nächte hier sind hin und wieder auch lang, sehr lang; aber sie sind nichts gegen die qualvollen, ruhelosen Nächte und die schrecklichen Träume,