Codename Brooklyn.. Peter Pirker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Pirker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783702237578
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werden, aber auch ihr Einfluss auf die Entscheidungen, die zur Durchführung oder Beteiligung an der Operation Greenup geführt haben – einem Unternehmen, in dem die Fäden der jeweiligen Erfahrungen und Lernprozesse durch konkrete Entscheidungen und zufällige Fügungen verknüpft wurden. Der reiche Erfahrungsschatz durch hohe Mobilität traf auch auf die Gegner der Operation Greenup zu. Manche Beamte der Gestapostelle Innsbruck hatten nicht nur in Tirol Gegner bekämpft und Juden verfolgt, sie taten es vorher oder phasenweise auch woanders in Europa, in der Sowjetunion, in Italien, in Frankreich. Die meisten der überwiegend jungen Akteure dieser Geschichte waren in den Jahren zwischen 1938 und 1945 in vielen Ländern und zum Teil Kontinenten unterwegs. Im April und Mai 1945 befanden sie sich nicht zufällig in den Alpen: Hier dauerte der Krieg in Europa am längsten und auf diese wenigen Hundert Quadratkilometer hatten die alliierten Armeen den ehemals kontinentalen Raum der NS-Herrschaft zusammengezogen.

      Im Fokus steht also das Handeln der Protagonisten vor dem Hintergrund ihrer erzwungenen, befohlenen oder freiwilligen Bewegungen durch Europa und Nordamerika, konkret: wie sich Fred Mayer und Hans Wijnberg aus der Ohnmacht der Bedrohung ihres Lebens durch den Antisemitismus lösten, wie Franz Weber zur Desertion fand und, stärker lokal verankert, wie die Frauen von Oberperfuss, allen voran die charismatische Wirtin Anna Niederkircher, dem totalen Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus trotzten oder ihm ein Schnippchen schlugen. Gezeigt werden soll aber auch, welche Handlungsweisen lang Angepasste und Herrschaftsträger des Regimes fanden, um sich aus der totalen Niederlage zu winden. Es handelt sich in vielerlei Hinsicht um Flüchtlings- und Fluchtgeschichten, die in der Operation Greenup aufeinandertrafen, sie aber auch generierten, weil das Auftreten der OSS-Agenten die Handlungsmöglichkeiten lokaler Akteure in den letzten Wochen und in den letzten Bastionen des Deutschen Reichs stark veränderte. Transnational bedeutet aber nicht unbedingt das Gegenteil von national. Gerade ein transnational durchgeführtes Unternehmen wie die Operation Greenup wurde von Politikern, Publizisten und Historikern, den wesentlichen Akteuren der Geschichtspolitik, wie oben skizziert, in nationale Geschichten zurückverwandelt.31

      Die Operation Greenup gehört aus meiner Sicht zum jüdischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Rahmen alliierter Kriegsinstitutionen. Die Motive der Schlüsselakteure wurzeln im Kampf gegen den Antisemitismus in Europa und im Widerstand von Jüdinnen und Juden gegen die Verfolgungsund Vernichtungspolitik des NS-Regimes. Bereits ihre Flucht vor dem Zugriff der Nazis kann als ein Aspekt von widerständigem Verhalten gelten. Wie in diesem Buch gezeigt werden soll, war sie nicht nur Voraussetzung für das Entwickeln offensiver Formen von Widerstand, für das Zurückschlagen, sondern eine Erfahrung, in der kämpferische Emotionen entstanden und subversive Techniken erlernt wurden.32 Die Operation Greenup fand im Feindesland statt, dort, wo die Verfolgung der Familien stattgefunden hatte, wo die Täter hausten, wo sich kaum Widerstand gegen sie regte. Hier aber trafen Fred Mayer und Hans Wijnberg auf Menschen, die ihre eigenen Motive und ethischen Orientierungen hatten, um sie zu unterstützten, die zum Teil ebenfalls mit der Bedrohung des Antisemitismus konfrontiert waren, sei es, weil sie nach den Gesetzen der Nationalsozialisten ›Halbjuden‹ waren, sei es, weil sie jüdische Angehörige schützten oder Flüchtlingen halfen. Feindesland traf hier im doppelten Sinn zu, was Mayer damals wahrscheinlich nicht wusste – zumindest geht es aus den überlieferten Quellen nicht hervor. Robert Mosers Frau Margot war ›Halbjüdin‹ und ihre Mutter Helene Barbolani eine ›Volljüdin‹, die jahrelang als ›U-Boot‹ in Innsbruck, geschützt von ihrem Schwiegersohn, lebte. Einer der engsten Partner Fred Mayers, Fritz Moser, war in der NS-Terminologie ebenfalls ›Halbjude‹. Dieser Aspekt des Milieus, an das Mayer anknüpfte, wurde bisher in keiner Darstellung erörtert.33

      Ein unrühmliches Kapitel der Nachgeschichte der Operation Greenup, das in der amerikanischen Literatur nicht analysiert wurde, ist die alliierte, deutsche und österreichische Nachkriegsjustiz, der juristische Umgang mit den involvierten Nationalsozialisten aus den politischen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Apparaten des Regimes. Was für bekannte OSS-Operationen wie die Operation ›Sunrise‹ – die Verhandlungen der OSS-Stelle in der Schweiz unter der Leitung von Alan Dulles mit SS- und Wehrmachtsführern über eine vorzeitige deutsche Teilkapitulation in Norditalien – mittlerweile gut nachgewiesen ist, gilt auch für die Operation Greenup: Involvierte Nationalsozialisten, vom hochrangigen Funktionär bis zum Gestapobeamten, wurden hinsichtlich ihrer Verantwortung für und ihrer Beteiligung an politischer Gewalt, wenn überhaupt, nur in geringem Ausmaß zur Rechenschaft gezogen. Ein wesentlicher, wenn auch nicht der einzige Grund dafür war eine zunächst verdeckte, dann immer offener zutage tretende Koalition westlicher Geheimdienste mit den ehemaligen deutschen Gegnern im Kalten Krieg gegen den Kommunismus und die Sowjetunion. Westliche Geheimdienste intervenierten gegen Strafverfolgung oder leisteten Fluchthilfe.34 Gerade im Alpen-Adria-Raum mit seinen umstrittenen Grenzen waren bereits 1944 im antifaschistischen Bündnis zwischen dem Westen, der Sowjetunion und kommunistischen Widerstandsbewegungen aufgrund konträrer Nachkriegsziele deutliche Risse entstanden.35 Die Operation Sunrise ist daher ein militärisch-politischer Kontext, der für die Analyse der Operation Greenup von eminenter Bedeutung ist. Gauleiter Franz Hofer war in diese Verhandlungen auf deutscher Seite involviert, sein Lavieren und schließliches Aussteigen beeinflusste Ende April und Anfang Mai 1945 seine Handlungen gegenüber Fred Mayer, der zu diesem Zeitpunkt in der Gewalt der Gestapo war. Schließlich war der Handlungsspielraum der Gauleiter und lokalen Befehlshaber in den Ruinen des Reiches beträchtlich und es oblag ihrem Gutdünken, ob sie als Desperados Hitler in den Untergang folgen oder einen anderen Ausweg suchen wollten – unter diesen Bedingungen konnte die Operation Greenup entscheidend in das Geschehen eingreifen.

      Ohne die Leistungen eines und einer jeden, die sich – früher oder später – gegen das NS-Regime gestellt haben, geringzuschätzen, werde ich im Verlauf der Darstellung gelegentlich an den Nachkriegsbereinigungen der Operation Greenup und des Widerstands kratzen, um den Übergängen und Vermischungen, dem Bastardischen und damit dem Menschlichen mehr Platz zu geben. Wichtige Quellen dieser Arbeit werden im Verlauf der Darstellung kurz vorgestellt und ihre Problematik angesprochen. Anstelle einer akademischen Abhandlung in der Einleitung wurde der Ansatz gewählt, die Dokumente und Interviews im Kontext ihrer Verwendung zu beleuchten.

      Auch die Erinnerung wandert durch Transfers und verändert die Vermittlung vergangener Ereignisse. Mit den Dreharbeiten zum Dokumentarfilm The Real Inglorious Bastards 2011 kehrte die Erinnerung an die Operation Greenup in Person von Fred Mayer wieder an die Schauplätze in Europa zurück. Gezeigt auf vielen internationalen Festivals und in bearbeiteten Fassungen auf europäischen TV-Kanälen, blieb der Film dem Schauplatz Tirol über einige Jahre seltsam fern. Der Artikel von Joachim Riedl auf den Österreich-Seiten der deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit regte die Mitarbeiter des Gemeindemuseums Absam an, im Jahr 2015 das erste Screening in Tirol zu veranstalten und eine global-lokale Betrachtung der Operation Greenup zu initiieren. Das vorliegende Buch entstand aus dieser Initiative.

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       Das Nest der Agenten

      Die Kunde von der Festnahme Fred Mayers erreichte Oberperfuss in den frühen Morgenstunden des 21. April 1945, wenige Stunden nachdem auf dem Innsbrucker Adolf-Hitler-Platz (heute ein Teil des Rennwegs) eine Kundgebung der NSDAP zum Geburtstag des Führers geendet und sich die anschließende Parade von Hitlerjugend, Wehrmachts- und Polizeieinheiten sowie der Tiroler Standschützen in der Maria-Theresien-Straße in Explosionen und Tumulten aufgelöst hatte. Luise Weber brachte die Nachricht zu Fuß aus Innsbruck in das kleine Bauerndorf, das wie ein Nest auf einer Terrasse 250 Höhenmeter über dem Inntal liegt. Um Mitternacht war ihre Schwester Margarethe Kelderer hastig in ihrem Dienstzimmer im Krankenhaus Innsbruck aufgetaucht mit dem Ersuchen, die Agenten in Oberperfuss sofort zu warnen: ihren Bruder, den Wehrmachtsdeserteur Franz Weber, und den Funker Hans Wijnberg. Mit einigen Worten erklärte sie ihrer Schwester, dass kurz zuvor Gestapomänner in ihre Wohnung eingedrungen waren und Fred und Eva, eine weitere Schwester, in Handschellen abgeführt hatten. Sie selbst war unter dem Vorwand, sich von ihren kleinen Kindern verabschieden zu wollen, der Festnahme durch einen Aufschub von 24 Stunden entgangen. Dann verschwand Margarethe.

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