EQUALIZER. Michael Sloan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Sloan
Издательство: Bookwire
Серия: Equalizer
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958354616
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mit einem seiner eigenen verbunden. Unglaublich!

      Sie sah hinüber auf die Statue von Garibaldi auf dem Platz. Sie wusste nicht, wer das war; irgendein italienischer Soldat. Der große Springbrunnen war ausgeschaltet. Es war niemand auf dem Platz, nur ein paar Passanten eilten vorbei. So spät am Abend kam er ihr völlig anders vor. Wie eine mondbeschienene Oase inmitten des Grand Canyon. Sie liebte ihn während des Tages. Oft ging sie von der Schule zum Washington Square Park und suchte sich einen schönen Platz auf einer der Banken. Der Springbrunnen spritzte Wasser hoch in den Himmel und Regenbogen tanzten durch den Wassernebel. Wenn die Touristen den Platz bevölkerten, dann hatte er eine Art Karnevalsatmosphäre. Sie dachte an einen Nachmittag, etwa einen Monat, nachdem sie und ihre Mutter in New York angekommen waren – vor der schlimmen Sache, die ihr passiert war –, als sie einen Straßenkünstler gesehen hatten. Er war auf einem Einrad gefahren und hatte es geschickt durch die Menge gesteuert. An der Bank direkt vor ihr hatte er angehalten und ihr zu verstehen gegeben, sie solle »aufspringen«. Sie hatte den Kopf geschüttelt, aber er hatte ihre Hand genommen, war sehr nett gewesen und hatte ihr versichert, dass er sie nicht runterfallen lassen würde. Sie war auf seine Schultern geklettert und er hatte sie mit den Händen festgehalten und war mit ihr auf dem Einrad über den ganzen Platz gefahren, sehr zur Freude der Touristen und der New Yorker, die applaudierten. Dann war er mit ihr wieder zu der Bank gerollt, und als sie runtergeklettert war, hatte sie gelacht, daran erinnerte sie sich.

      Das tat sie nicht mehr.

      Sie sollte nicht so spät auf dem Platz sitzen, aber sie hatte sich in dem winzigen Apartment ruhelos gefühlt. Ihre Mutter kam normalerweise nicht vor drei Uhr heim und sie hatte ihr gesagt, dass es heute Nacht eher vier werden würde. Etwas hatte sich im Klub für sie geändert. Natalya wusste nicht, was es war. Ihre Mutter war verstört deswegen, aber ihrer Tochter sagte sie ja sowieso nichts. Sie wollte sie schützen, das verstand Natalya, aber sie hatte sie nicht beschützt, oder? Wie auch immer, sie wollte gar nicht beschützt werden. Sie wollte in die Gedanken, Ängste und Träume ihrer Mutter miteinbezogen werden. Aber das wurde sie nicht. Sie war eingeschlossen in ihrer eigenen Welt.

      Er näherte sich ihr von hinten, von den Schachtischen. Er war immer leise, wenn er sich bewegte, aber sie war in ihrer eigenen Welt. Sie bemerkte nicht einmal seine Anwesenheit. Er ließ den Blick über den Platz schweifen. Um diese Uhrzeit war er komplett verlassen.

      Er nahm den Ziploc-Beutel aus der Jackentasche, öffnete ihn und holte das feuchte Tuch heraus. Es roch stechend, und das führte dazu, dass sie ruckartig den Kopf drehte, aber es war zu spät. Mit der linken Hand packte er sie im Genick und hielt ihr das chloroformierte Tuch über Nase und Mund. Sie wehrte sich etwa vier Sekunden lang heftig und sackte dann bewusstlos auf den Schachtisch. Rachid erschien neben ihm. Er hob das betäubte Mädchen auf und wuchtete sie über die Schulter. Er rannte von Platz und trug sie an die Stelle, wo Salam an der West 4th Street mit laufendem Motor im Lexus auf ihn wartete.

      Bakar Daudov sog die Nachtluft tief ein. Zu blöd, dass Katia ihn dazu gezwungen hatte, so extreme Maßnahmen zu ergreifen. Aber es sollte effektiv sein.

      Wenn nicht, dann tötete er ihre Tochter.

      Kapitel 12

      Der Taxifahrer, der sie an der Greene Street aufgesammelt hatte, hätte prima abends im Gotham’s Comedy Club an der West-23rd-Street auftreten können. Er erzählte ihnen die ganze Strecke bis zum Broadway Witze. Es herrschte wenig Verkehr, aber McCall wünschte sich, er würde die Straße im Blick behalten, statt immer in den Spiegel zu gucken, um zu sehen, ob ihnen seine Aufführung gefiel. Er hielt Margarets Hand fest. Sie trug eine seiner Jacken und eine Mets-Baseballkappe, denn er hatte was übrig für Underdogs. Die Yankees brauchten seine Fürsprache nicht. Die Kappe warf einen Schatten auf ihr Gesicht. Die Blutergüsse von den Schlägen, die J. T. ihr verpasst hatte, waren noch mehr als deutlich zu sehen.

      »Sie sind kein New Yorker«, meinte der Taxifahrer mit einem Akzent, der besagte, dass er es war – geboren und aufgewachsen. »Vater und Tochter, schätze ich mal, richtig? Woher kommen Sie?«

      McCall sah das Mädchen an.

      »Golden Valley, außerhalb von Minneapolis. Maple Grove, wenn Sie es genau wissen wollen, in der Nähe von Medicine Lake.«

      »Wo ist noch mal Minneapolis?«, fragte der Taxifahrer.

      »Minnesota.«

      »Ja, stimmt. Ich war nie weiter als Brooklyn. Okay, also ein Tourist, so wie ihr beiden, versucht, das Empire State Building zu finden. Er hält einen New Yorker auf der Straße an und fragt ihn nach dem Weg. Dann hält er ein paar Blocks weiter einen anderen New Yorker an und fragt nach dem Weg. Schließlich fragt er einen Typen auf der East 44th: Können Sie mir den Weg zum Empire State Building sagen oder soll ich mich nur einfach wieder verpissen?«

      McCall lächelte, aber das war egal, denn der Taxifahrer lachte so laut über seinen eigenen Witz, dass er es sowieso nicht bemerkte. Neben ihm hörte Margaret nicht zu. Sie sah durchs Fenster auf den strömenden Regen, die hindurchleuchtenden Wolkenkratzer und die paar dickere Tropfen, die gegen die Glasscheibe klatschten. McCall blickte auf. Auf der linken Seite stand das beeindruckende Lincoln Center. Dann bog der Taxifahrer vom Broadway auf die West-66th-Street.

      »Es ist gleich hier auf der rechten Seite«, sagte McCall.

      »Oh ja, ich weiß, wo es ist«, meinte der Taxifahrer.

      Er blieb vor einem 20-stöckigen Gebäude stehen, das die verblichene Eleganz einer vergangenen Ära ausstrahlte. Die Fassade war einmal leuchtend weiß gewesen, aber nun war es ein dreckiges Beige. Die Vergoldung war stumpf und überall waren Steinstücke abgesplittert. Das Hotelschild zeigte ein Bild der Freiheitsglocke mit ihrem charakteristischen Sprung, was McCall nur angemessen vorkam. Auf dem schmalen Neonschild stand: LIBERTY BELLE HOTEL. Das Neonschild war neu. Früher war das Schild mit schwungvoller Schrift handgemalt gewesen. Das hatte ihm besser gefallen. Der Taxifahrer stellte den Taxameter ab und McCall lehnte sich nach vorne, um ihn zu bezahlen. Der Fahrer schüttelte den Kopf und sah die bröckelnde Fassade hinauf.

      »Ich kann Sie zu einem Hotel an der Ecke Amsterdam und 88th bringen, gar nicht teuer, Marmorboden, Türpage mit weißen Handschuhen, das volle Programm.«

      »Das war schon immer mein Lieblingshotel. Das war mal der angesagte Ort, an dem man in New York übernachtete.«

      »Ja, vielleicht, als die Dodgers nach Ebbets Field gegangen sind.«

      Margaret stieg aus dem Taxi. Der Taxifahrer drehte sich um.

      »Sie ist Ihre Tochter, richtig?«

      »Sie könnte es sein«, sagte McCall. »Es ist nicht, was Sie denken.«

      »Einen schönen Abend.«

      McCall stieg nach Margaret aus. Das Taxi fädelte sich wieder in den spärlichen Verkehr ein. McCall sah die Straße auf und ab, ohne wirklich damit zu rechnen, irgendwelche Feinde zu erspähen. Eine alte Angewohnheit. Es war buchstäblich niemand zu so später Stunde im Regen unterwegs. Er nahm Margaret am Arm und trat durch die Glastüren des Liberty Belle Hotels.

      Die Lobby enthielt noch die Echos der Vergangenheit, die wie ein Flüstern in den Ecken klangen, wo die schweren Lehnstühle standen mit den durchgesessenen Polstern. Es gab große verzierte Sofas, die dringend repariert werden mussten. An den Wänden hingen Aquarelle von New York, die mit den Jahren verblasst waren, als würden sie sich langsam in ihre Rahmen zurückziehen. Zahlreiche große Kübelpflanzen standen herum, die gesünder aussahen als die beiden alten Leute, die auf einer der Couchen saßen und Händchen hielten. Sie redeten leise miteinander, ihre Worte kaum hörbar. Es roch muffig nach Holzfeuer und Mottenkugeln. Ein Treppenhaus führte in einem schwungvollen Bogen in den ersten Stock. Die ganze Lobby sah aus, als stamme sie aus einem Möbelkatalog aus dem Jahr 1940. Aber die Holzvertäfelung glänzte, als würde sie regelmäßig poliert, und die Perserteppiche sahen aus, als hätte Aladdin sie hier abgeladen.

      McCall und Margaret gingen auf die Lobby zu. Die Aufzugtüre zu ihrer Linken öffnete sich mit einem Klingeln.