Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raik Thorstad
Издательство: Bookwire
Серия: Zenja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238329
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auf.

      Das galt jedoch nicht für den jungen, pausbäckigen Mann, der an der Stirnseite des Zimmers stand und gerade einige Zahlen an eine Wandtafel geschrieben hatte. Verärgerung breitete sich auf seiner Miene aus. »Wer seid ihr?«, fuhr er sie an. »Und was habt ihr…« Er beendete den Satz nicht. Sein Blick war an den gezogenen Klingen hängen geblieben.

      »Kein Wort mehr.« Geryim drängte sich an Sothorn vorbei und näherte sich dem ersten Kind, das er erreichen konnte. Er packte den vielleicht neunjährigen Jungen am Handgelenk, riss ihn von seiner Schulbank hoch, legte ihm einen Arm um die dürre Brust und drückte ihm die flache Seite einer seiner Dolche an die Wange.

      Sothorn stieß die Tür hinter sich zu und versuchte, sich gegen das Entsetzen im Schulzimmer abzuschirmen. Versuchte, die weit aufgerissenen Augen der Kinder nicht zu sehen und auch nicht zu riechen, dass eines von ihnen die Beherrschung über seine Blase verloren hatte.

      Glück gehabt, kleiner Wurm, dachte er zynisch. Dich nehmen wir bestimmt nicht mit.

      Stattdessen näherte er sich zwei nebeneinandersitzenden Mädchen und bedeutete ihnen, auf die Beine zu kommen. Die beiden sahen sich in ihren schlichten Bauernkitteln und den langen Winterröcken so ähnlich, dass sie Zwillinge sein mochten. Der einzige Unterschied war, dass die eine leise weinte, während ihn die andere wutentbrannt anfunkelte. Damit bewies sie mehr Mut als der Lehrer, der zwar ein paarmal den Mund öffnete, um etwas zu sagen, aber letztendlich stumm blieb.

      Während Sothorn eine Reihe kurzer Seilstücke aus seinem Beutel zerrte, den Mädchen in Windeseile die Hände band und sie anschließend mit einem längeren Tau aneinanderfesselte, schubste Geryim sein Opfer ruppig Richtung Tafel.

      »Aufgepasst, Bübchen«, sagte er an den Lehrer gewandt. »Du hast genau zwei Möglichkeiten. Du kannst dir anhören, was wir zu sagen haben, oder du kannst schon einmal einen Eimer und einen Schrubber auftreiben. Denn wenn du uns nicht sehr genau zuhörst, wird Blut fließen, verstanden?«

      Selbst Sothorn nahm die Kälte in Geryims Stimme wahr und spürte, dass sie etwas mit ihm anstellte. Oder war es die Sorge, dass Geryim seine Drohung wahrmachen könnte? Sothorn wollte glauben, dass die Kinder vor ihnen sicher waren. Aber für die überforderte und zitternde Narrengestalt von einem Lehrer galt das nicht, auch wenn es für sie alle günstiger war, wenn er am Leben blieb.

      Geryim sah sich kurz im Raum um, richtete seine Aufmerksamkeit jedoch rasch wieder auf den an die Tafel zurückgewichenen Lehrer. »Gut«, sagte er barsch. »Wir werden jetzt ein paar von deinen Schützlingen mitnehmen. Und du, mein Freund, wirst dir ein Pferd besorgen und so schnell wie möglich zum Hafen reiten. Wie vielen deiner Nachbarn du unterwegs zubrüllst, was vorgefallen ist, schert mich nicht. Aber sobald du angekommen bist, wirst du den Stadtvätern bestätigen, dass wir eure Kinder haben. Hast du das verstanden?«

      Der Lehrer reagierte nicht sofort. Sein Blick schien durch Geryim hindurchzugehen und kurz befürchtete Sothorn, dass er das Bewusstsein verlieren könnte.

      »Hast du mich verstanden?«, zischte Geryim erneut und drehte langsam die Klinge an der Wange des Jungen, bis die Schneide nach innen gerichtet war.

      In Sothorns Rücken erklang ein leiser Aufschrei, der in ein erstickt klingendes Schluchzen überging. Am liebsten hätte er Geryim den Jungen abgenommen, ihn mit den Mädchen zusammengebunden und es damit bewenden lassen. Aber es war weiser, mehr von ihnen mitzunehmen. Je mehr Familien in Angst waren, desto mehr Druck wurde auf die Stadtväter ausgeübt und eben diesen Druck brauchten sie. Er war die einzige Münze, in der sie zahlen konnten.

      Schweren Herzens scheuchte er zwei weitere Kinder auf und fesselte sie. Das Schauspiel vor der Tafel ließ er dabei nicht aus den Augen.

      Der sichtlich bebende Lehrer schien endlich seine Stimme wiedergefunden zu haben. »Aber was mache ich, wenn die Stadtväter gar nicht im Hafen sind?«

      Geryim stieß ein freudloses Lachen aus. »Glaub mir, sie werden da sein.«

      Sothorn erkannte genau, wann der Lehrer begriff, dass er es keineswegs mit zwei Einzelkämpfern zu tun hatte. Seltsamerweise schien ihm das schiere Entsetzen über einen Angriff auf Zenja etwas Mut einzuflößen. »Das werden sie euch nicht durchgehen lassen. Sie werden… Sie werden… Die Wachen werden…«

      »Eure Wachen werden gar nichts tun«, unterbrach Geryim ihn. »Bis sie hier ankommen, sind wir mit den Kindern längst in den Wäldern verschwunden.« Eine Finte. Sie wollten gar nicht in die Wälder, die sich jenseits der Siedlung erstreckten. Sie würden denselben Weg nehmen, den sie gekommen waren und der ihnen halbwegs vertraut war. »Das kommt davon, wenn man sich darauf verlässt, dass das Inland sicher ist.«

      Sothorn zerrte an dem Seil, das die Kinder zusammenhielt, und gesellte sich zu Geryim nach vorn. Dort schob er unzeremoniell dessen Klinge beiseite und übernahm seinen Gefangenen. Der Junge fuhr heftig zusammen, als er gepackt wurde, und sah so verängstigend drein, dass Sothorn ihm am liebsten ein paar beruhigende Worte zugeraunt hätte. Aber das musste warten, bis der Lehrer außer Hörweite war.

      Der schien inzwischen halbwegs zu sich gekommen zu sein und bewies, dass er genug Verstand besaß, um seine Anstellung zu verdienen. Wahrscheinlich hatte er innerlich seine Möglichkeiten abgewogen und war zu dem Schluss gekommen, dass sein Hauptaugenmerk auf der Sicherheit der Kinder liegen musste.

      Mit einem sauertöpfischen Blick auf Geryims wohlbestückten Waffengürtel nickte er. »Gut. Ich werde tun, was ihr verlangt. Aber glaubt nicht, dass ihr davonkommen werdet. Wenn wir euch nicht zu fassen bekommen, dann mit Sicherheit die Götter.« Er spuckte vor ihnen aus und drehte sich zu den verbliebenen Kindern um, die sich still in einer Ecke zusammengedrängt hatten. »Ihr werdet sie kaum alle mitnehmen können. Also lasst die anderen gehen.«

      Geryim wechselte einen kurzen Blick mit Sothorn, dann hob er unbeeindruckt die Schultern. »Mir soll es recht sein. Wir haben, was wir brauchen.«

      Sothorn nickte zustimmend und zerrte erneut am Seil. »Mitkommen«, sagte er scharf. »Und denkt nicht einmal daran, euch unterwegs absichtlich fallen zu lassen oder uns anderweitig Ärger zu machen. Wenn einer von euch etwas anstellt, zahlen alle.«

      Die Kinder schienen ihm jedes Wort zu glauben. Er war nicht sicher, ob er darüber froh oder entsetzt war. Mit langen Schritten ging er voran, wissend, dass Geryim ihm rückwärtsgehend folgte und so dafür sorgte, dass der Lehrer nicht doch noch auf dumme Gedanken kam und vielleicht ein schweres Buch als Waffe einsetzte.

      Sothorn öffnete die Tür und sammelte sich einen Herzschlag lang, bevor er mit seiner unwilligen, größtenteils weinenden Gefolgschaft aus dem Gebäude trat. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis jemand auf das befremdliche Treiben aufmerksam wurde.

      Er ließ einen seiner Dolche in der Scheide verschwinden. Den anderen hielt er warnend erhoben. Hinter sich hörte er Geryim eine letzte Drohung knurren, ehe er ein unmissverständliches Marsch! ausstieß.

      Zu siebt setzten sie sich in Bewegung. Sothorns lange Schritte zwangen die Kinder zu rennen. Er konnte nur hoffen, dass sie durchhielten, bis sie Deckung gefunden hatten. Über ihnen hörte er Syvs Raubvogelschrei. Er wagte nicht, Geryim zu fragen, was Syv sah. Sie würden es bald genug erfahren.

      Sie hatten kaum die Wegkreuzung erreicht, als hinter ihnen eine Stimme laut wurde. »Schnell! Ein Pferd! Bringt mir ein Pferd! Sie haben die Kinder!«

      Türenknallen. Schreie. Wehklagen. Und immer wieder das leise Weinen ihrer Opfer.

      Sothorn biss sich auf die Innenseite seiner Wange, bis er Blut schmeckte. Sie hatten es begonnen, sie würden es zu Ende bringen. Zum Wohl der Bruderschaft. Aber er hatte keinerlei Zweifel, dass ihm sein Gewissen in Zukunft manche schlaflose Nacht bescheren würde. Er konnte nicht behaupten, dass er es nicht verdiente.

      * * *

      Der Steilhang hatte die Kinder die letzten Kräfte gekostet. Geryim wäre es lieber gewesen, wenn sie weiter nach Süden vorgedrungen wären. Aber sie konnten die fünf unmöglich tragen. Es war klug von Sothorn gewesen, sich die Älteren als Geiseln herauszusuchen. Sie hatten gut mit ihnen Schritt gehalten. Doch nun wünschte Geryim,