Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raik Thorstad
Издательство: Bookwire
Серия: Zenja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238329
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Wir werden nicht an den Punkt gelangen, an dem wir den letzten Tropfen aufgebraucht haben.« Geryim zögerte kurz, überwand einen inneren Widerstand und legte dann eine Hand auf Sothorns. »Der Irrsinn endet morgen und dann werden wir uns sehr lange Zeit keine Sorgen mehr machen müssen.«

      Aber was kommt danach? Die Frage stieg nur kurz in Geryim auf, dann verscheuchte er sie eilig. An die ferne Zukunft brauchten sie keine Gedanken zu verschwenden, solange die nähere nicht gerettet war.

      »Hoffen wir, dass du recht behältst und ich mich nur als Schwarzseher erweise.« Sothorns Finger bewegten sich unter seinen. »Bei Insa, du bist eiskalt. Wir sollten uns hinlegen und zusehen, dass wir uns gegenseitig warm halten. Sonst scheitern wir morgen an deinen steifen Knochen.«

      An einem anderen Tag und in anderer Stimmung hätte Geryim wahrscheinlich leise gegrollt und Sothorn gezeigt, wie viel er von der Idee des gegenseitigen Aufwärmens hielt. Dummerweise war ihm wirklich kalt. Anscheinend steckte ihm die Jagd im Schnee noch im Leib, denn Sothorns Hand war deutlich wärmer als seine eigene. Er konnte nur hoffen, dass dies kein Anzeichen dafür war, dass er krank wurde. Normalerweise hätte er sich gefragt, ob Sothorn fieberte, aber das war ausgeschlossen. Herjiten – die Bewohner der Sümpfe von Herjos – waren dafür bekannt, dass sie sämtlichen Krankheiten widerstanden und ihnen selbst der gefürchtete Wundstarrkrampf nichts anhaben konnte.

      Also durfte Geryim sich sicher sein, dass er nur ausgekühlt und Sothorn nicht erhitzt war. Umso dankbarer war er, dass sie sich gemeinsam unter die Decken legen konnten, nachdem sie ein paar Bissen Proviant verzehrt und das Feuer aufgestockt hatten. Die Kleidung behielten sie sicherheitshalber an, aber er spürte dennoch, wie Sothorns Wärme auf ihn überging.

      Nach ihm zu greifen und ihn an sich zu ziehen, fühlte sich für Geryim immer noch neu an. Das Ritual mochte mehr als eine Woche her sein, doch er hatte sich über einen allzu langen Zeitraum eingeschärft, dass er keine Bindung eingehen durfte. Genau genommen seit seinem Eintritt in die Bruderschaft und der Rückkehr seiner menschlichen Gefühle. Es hatte ihm schlicht nicht zugestanden, seine Nächte mit Sothorn zu verbringen. Mit ihm zu schlafen, war eines gewesen. Bei ihm zu schlafen und zuzulassen, dass sie zu Gefährten heranwuchsen, etwas ganz anderes.

      Jetzt stand ihm dieser Weg offen und er merkte, dass er ihm nicht nur etwas Erleichterung verschaffte, sondern auch ahnen ließ, wie sich Frieden anfühlen mochte. Eine wahrhaftige Verbindung, die Ruhe und Gelassenheit mit sich brachte. Von diesem Traum hatte er sich vor Jahren verabschiedet. Aber was, wenn es auch in dieser Hinsicht einen Weg gab, den er nur nicht sehen konnte?

      »Ich werde morgen einiges tun, um den Schaden in Grenzen zu halten«, sagte Sothorn auf einmal. Er richtete sich halb auf, um Geryim in die Augen zu sehen. »Aber ich werde nicht aufs Spiel setzen, was ich habe. Mag sein, dass ich es nicht verdiene, doch hergeben werde ich es nicht«, fuhr er eindringlich fort.

      »Wer was verdient oder nicht, liegt in Gors Hand, nicht in unserer.«

      Sothorn strich ihm mit dem Daumen über das Kinn. »Meinst du wirklich, dass Gor sich um mich schert?«, fragte er skeptisch. »Du weißt, dass ich nie viel auf Götter gegeben habe…« Er dachte kurz nach. »Nun gut, von Redensarten abgesehen.«

      »Das ist nicht wichtig. Gor allein entscheidet, wen er unter seinen Schutz stellt. Und für jemanden, der sich vorhin erst beschwert hat, dass er eine Löwin in seinem Kopf krakeelen hört, solltest du vielleicht etwas offener für seine Geschenke sein.«

      Geryim wusste, dass Sothorn noch lange nicht erfasst hatte, was mit ihm geschehen war oder welche Bedeutung es hatte, dass Gwanja sich ihm angeschlossen hatte. Er verstand Sothorns Zweifel. Er hätte genauso reagiert, wenn ihm jemand erzählt hätte, dass Ikir, Adelis oder eine der anderen Gottheiten auf einmal die Hand über ihn hielt. Aber eines Tages würde Sothorn begreifen, dass Gor keine ferne Lichtgestalt aus den Geschichten der Priester war, sondern ein wahrhaftiges Wesen, das auf Sunda wandelte.

      »Um eben diese Löwin geht es mir. Ich kann sie schließlich nicht im Stich lassen, nicht wahr?«

      Sothorns Daumen war zu Geryims Wangenknochen gewandert und strich über die Stelle, an der Gors Rune in seine Haut gestochen war. Die Geste war so behutsam, dass Geryim sie gleichzeitig abwehren und genießen wollte. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bevor ihm in solchen Augenblicken kein lautloses Nein! mehr durch den Kopf peitschte.

      Für den Moment zählte nur, was Sothorn gesagt hatte – oder auch nicht. Nicht nur Gwanja würde ihn vermissen, wenn ihm durch eine Unbedachtsamkeit oder falsches Heldentum etwas zustieß. Nicht nur sie wollte er nicht allein lassen.

      Sobald sich Sothorns Mund auf seinen legte, schloss Geryim die Augen. Er nahm das Zögern wahr, sein Abwarten, ob er sich sträubte. Geryim hatte ihn zu oft wegstoßen müssen und durch sein widersprüchliches Verhalten oft verwirrt. Aber heute Abend, während sie darauf warteten, dass sie ihren Auftrag erfüllen konnten, blieb es in ihm still, sodass es keinen Grund gab, auf Abstand zu bestehen.

      Er nestelte eine Hand aus den Decken und legte sie auf Sothorns Hinterkopf, drückte ihn fester an sich und öffnete die Lippen. Ihre Zungenspitzen stießen gegeneinander und lösten zuverlässig ein heißes Ziehen in Geryims Unterleib aus. Offenbar konnte er gar nicht so sehr frieren, als dass ihn Sothorns Mund nicht gierig gemacht hätte.

      Die warmen Hände, die sich kurz darauf unter sein Wams schoben, waren ein Geschenk. Wo immer sie auf seine Haut trafen, hinterließen sie leise Schauer und dasselbe Gefühl wie Sonnenstrahlen, die nach einem langen Winter erstmals auf blasse Haut trafen.

      Geryim machte Anstalten, sich auf seinen Liebhaber zu rollen. Doch Sothorn wehrte sich mit einer Leichtigkeit, die Geryim jedes Mal von Neuem überraschte und erregte, und drückte ihn zurück in die Decken. »Lass mich«, murmelte er mit den Lippen an Geryims Ohr. »Es könnte das letzte Mal sein«, fügte er schließlich deutlich leiser hinzu.

      Das war eine gefährliche Geisteshaltung vor einem Kampf und Geryim wollte nicht, dass sie sich zwischen ihnen ausbreitete und ihnen zum Grabtuch würde. »Gilt das für Halunken wie uns nicht immer? Darf ich daran erinnern, wie kurz du mal davor warst, den Kopf zu verlieren, weil du ohne Anmeldung in Szapreys Hexenküche marschiert bist?«

      Die Ablenkung tat ihre Wirkung. Sothorns leises Gelächter strich über ihn hinweg. »Oder an dem Tag, an dem wir uns für Gwanja rechtfertigen mussten. Ich dachte, Theasa geht dir an die Kehle.«

      »Soll sie nur versuchen.«

      Sothorn biss ihm spielerisch in die Wange. »Du ärgerst sie gern, hm?«

      »Nicht so gern wie dich.«

      Obwohl es kaum eine Bemerkung war, die von Zuneigung sprach, schien Sothorn zu verstehen. Er küsste Geryim so innig, so vielsagend, dass ihnen alle Worte verloren gingen.

      Später, nachdem er seine Lippen über Geryims Hals und immer weiter nach unten geführt hatte, wünschte Geryim aller Kälte zum Trotz, dass dieser Abend ewig dauern würde.

      Kapitel 5

      Die Unbesiegbaren

      Sobald die Sonne aufging, wusste Sothorn, warum die Zenjaner ihre Insel so verbissen gegen Eindringlinge verteidigten. Er hatte im Dienst vom alten Meerenburg beinahe den gesamten Kontinent bereist und doch nie einen Ort gesehen, der ihm friedlicher oder einladender erschienen war.

      Von ihrem Standort auf einem Felsvorsprung aus konnten sie beinahe das ganze Kernland überblicken und in der Ferne sogar das Küstenstädtchen erkennen, das sich einen Namen mit der Insel teilte und neben dem einzigen Hafen auch einen Großteil der Werkstätten Zenjas beheimatete. Das Inland dagegen war Landwirtschaft und Viehzucht vorbehalten.

      Sothorn erkannte Wiesen, auf denen selbst im Winter Vieh weidete, dazu endlose, von Buschwerk umrandete Äcker; manche unter dem Raureif kahl, andere von einem dichten grünen Teppich bedeckt, hinter dem er Kohl vermutete. Auf dem See im Süden entdeckte er Fischerboote, die mit der Dämmerung hinausgefahren waren, und über dem Wasser kreisten die ersten Vögel. Von den Minen in den Bergen sah und hörte er nichts, aber er wusste, dass sie dort waren, und ihrerseits dafür sorgten, dass es den Bewohnern