Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raik Thorstad
Издательство: Bookwire
Серия: Zenja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238329
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bei Nadis mit Syvs Hilfe gestellt hatte, hatte er gewusst, dass er in Schwierigkeiten war. Dabei war er sich nach Colthan sicher gewesen, dass er keinen Gefährten mehr brauchte oder wollte. Und ein Teil von ihm wollte bis heute nicht.

      Aber dann hatte Sothorn vor ihm im Moos gelegen, selbst in seiner Ohnmacht mit verärgert verkniffenem Mund, und Geryim hatte ihn nicht länger zur Bruderschaft bringen müssen, sondern es aus tiefster Seele gewollt. Es ging nicht nur darum, dass Sothorn mit seinen weinroten Haaren wie ein Leuchtfeuer und auf Geryim damit wie ein Licht in der Dunkelheit wirkte. Oder darum, dass er vom ersten Augenblick an das Bedürfnis gehabt hatte, Sothorn aus seiner ledernen Hose zu zerren. Oder dass er sich nicht an der glatten Stirn mit den hoch angesetzten Augenbrauen sattsehen konnte, die dafür sorgten, dass Sothorn stets leicht überrascht oder wenigstens amüsiert wirkte.

      Es war sein Kampfgeist, der zu Geryim gesprochen hatte – und etwas in ihm hatte geantwortet. Vielleicht hatte er bereits damals gewusst, dass es nur ein Mann mit Sothorns Beharrlichkeit an seiner Seite aushalten konnte. Ein Mann, der sich nicht allzu leicht abschrecken ließ und ihm im passenden Moment sogar eine Maulschelle verpasste. Jemand, der…

      »Bist du im Sitzen eingeschlafen?«, riss Sothorn ihn aus seinen Gedanken.

      »Was? Unsinn«, antwortete Geryim hastig. Manchmal – sehr selten zugegebenermaßen – war er froh, dass niemand seine Gedanken lesen konnte. Es reichte schließlich, dass Syv in seinem Kopf herumspukte und sich immer öfter zu Eigenmächtigkeiten hinreißen ließ, wenn es um Sothorn ging.

      »Das will ich dir auch nicht geraten haben.« Sothorn umrundete das Feuer und setzte sich neben ihn auf die Decken. »Ich möchte nicht den ganzen Abend lang auf die nackte Wand starren und mir in den schlimmsten Farben den morgigen Tag ausmalen, während Gwanja in meinem Kopf faucht und brüllt.«

      Geryim spürte einen kurzen Stich in der Brustgegend, halb Eifersucht, dass sich die Brandlöwin gegen ihn entschieden hatte, halb Dankbarkeit, dass Sothorn und er diese besondere Erfahrung miteinander teilen durften. Man konnte niemandem erklären, was es bedeutete, von einem Gefährtentier erwählt zu werden. Man musste es erleben.

      »Leidet sie sehr?«, erkundigte er sich und stellte zufrieden fest, dass seine Stimme nicht zitterte. Von seinem Körper konnte er das nicht behaupten.

      »So kann man es auch nennen.« Sothorn lehnte sich nach vorn und schob mit einem Ast die Glut dichter zusammen. »Lach nicht, aber sie ist so wütend, dass ich mich allmählich frage, ob sie mich ausweiden wird, wenn wir zurückkommen.«

      Geryim lachte nicht. Es war nichts Belustigendes an einem leidenden Gefährtentier. Trotz der engen Verbindung konnte man einem Tier nur bedingt erklären, warum es manchmal zurückbleiben musste. Gründe, die für einen Menschen höchst verständlich und sinnvoll waren, waren in einem von der Wildnis beseelten Geist nicht nachvollziehbar. Wenn das betroffene Tier dann auch noch so jung war wie Gwanja und die Verbindung zu ihrem Jäger so neu, führte eine räumliche Trennung zu großer Verwirrung, die je nach Gattung mit Kummer, der Weigerung zu fressen oder eben Wut einherging. Brandlöwen waren nicht für ihre Duldsamkeit bekannt.

      »Das wird sie nicht. Sie wird so froh sein, deine Witterung aufzunehmen, dass sie dir das Gesicht wundleckt. Aber angreifen wird sie dich nicht.« Er hatte tatsächlich nie von einem Fall gehört, in dem ein Gefährtentier seinen Begleiter angegriffen hatte.

      »Falls sie meine Witterung aufnimmt, meinst du wohl.« Sothorn hob die Oberlippe. »Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es dazu kommen wird. Theasas Plan ist…«

      Geryim beendete den Satz für ihn. »… gewagt, aber gut durchdacht. Das lässt sich nicht leugnen.«

      Sothorn stieß die Luft aus. »Gut durchdacht, hm? Ich hätte es eher grausam genannt.«

      »Aber du warst dennoch dafür. Du warst doch derjenige, der ihr den nötigen Schubs versetzt hat. Aily hat euch miteinander reden sehen.«

      Sothorn spielte mit den Lederriemen an seinem Handgelenk. Sie hielten die Scheide für seine Unterarmklinge an ihrem Platz. »Natürlich war ich dafür. Bin ich immer noch. Aber es muss mir nicht gefallen, dass wir so tief sinken.«

      In Geryims Ohren klang diese Bemerkung falsch. Jeder Einzelne von ihnen war ein mehrfacher Mörder und keiner hatte einen höheren Blutzoll aufzuweisen als Sothorn. Und doch hatten sie sich inzwischen weitestgehend davon abgewandt, gegen Silber zu töten. Mancher würde behaupten, dass sie Fortschritte gemacht und sich dem bürgerlichen Leben, aus dem man sie einst herausgerissen hatte, wieder angenähert hatten.

      »Tun wir das denn? Und falls ja, was bleibt uns anderes übrig?«, konterte er. Das Tier in ihm regte sich – jenes, das nichts mit Syv zu tun hatte – und überfiel ihn mit Bildern aus der Vergangenheit. Bilder, die so kalt waren, dass man sich an ihnen Erfrierungen holen konnte.

      Niemand hatte ihn damals gefragt, ob er bereit war, sich für seinen Stamm zu opfern. Er hatte ihnen vertraut und sie hatten ihn für einen Funken Hoffnung und einen Heiltrank verschachert, der wahrscheinlich nicht einmal gewirkt hatte. Als wäre er nicht mehr als ein Pferd oder ein Schafsbock. Er war alt genug gewesen, um sich jeden Augenblick dieser dunklen Stunde einzuprägen, jeden verlegenen Blick und jedes Wort, das nicht gesprochen worden war. Bis heute sah er nachts in seinen Träumen das Lager hinter sich verschwinden, während er auf einem holprigen Karren gen Süden schaukelte. Wenn er danach morgens erwachte, war das Tier jedes Mal ganz nah, zeigte seine Reißzähne und schrie nach Blut, ohne sich darum zu scheren, aus wessen Adern es stammte.

      »Einen Ausweg gäbe es: Wir könnten es beenden«, sagte Sothorn leichthin. Er lehnte sich nach hinten auf die Ellbogen und streckte die Beine dem Feuer entgegen. »Die Klippen dort draußen sehen ganz verlockend aus. Mancher würde behaupten, dass das der ehrenvollere Weg wäre.«

      In Geryim verkrampfte sich etwas. Uda hatte ihrem Elend ein Ende bereitet, indem sie sich dem Meer überantwortet hatte. »Wohl eher der bequemste. Einfach über die Klippen gehen und alles abstreifen«, gab er bissig zurück. »Damit sich diejenigen, die uns an diesen Punkt geführt haben, niemals Gedanken darüber machen müssen, welches Gift sie in der Welt verbreiten.«

      Sothorn zuckte angesichts seines barschen Tons nicht einmal zusammen. »Darum geht es dir also? Du glaubst, dass sie verdienen, was morgen geschehen wird, weil sie eine Mitschuld daran tragen, dass Land auf Land ab Assassinen versklavt werden?«

      Geryim wollte ein lächerlich lautes Verdammt noch mal, ja! in die Höhle schreien. Aber damit würde er nur sein inneres Stachelschwein wecken. Es regte sich bereits und stellte die spitzen Stacheln auf. Wenn diese ihn erst von innen an Stellen stachen, die er weder mit Händen noch beruhigenden Gedanken erreichen konnte, würde sein Jähzorn mit ihm durchgehen. Etwas, das er ohnehin hasste, aber am meisten, wenn er mit Sothorn allein war und sich kein anderes Opfer für seine Wut fand.

      »Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich bewusst beherrscht. »Und ich weiß nicht, warum du dir überhaupt Gedanken darüber machst. Es sei denn, du möchtest wirklich lieber dein Glück mit dem Meer versuchen.«

      Sothorn packte ihn am Arm. »Natürlich nicht!« Ernst hatte sich in seine braunen Augen geschlichen. »Ich weiß um das Geschenk, das ich bekommen habe, und werde es sicher nicht wegwerfen. Ich frage mich nur manchmal, ob wir überhaupt noch in der Lage sind, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Der Sog, der Hunger, der Gedanke, dass das Fass irgendwann leer sein wird…« Seine Finger wanderten Geryims Arm hinauf und vergruben sich in seine Schulter. »Ich glaube nicht, dass ich es noch einmal ertragen könnte. Selbst dann nicht, wenn du die ganze Zeit über bei mir wärst. Du und Gwanja. Es ist… Die Vorstellung, dass wir scheitern… Dass wir den falschen Plan entworfen haben könnten…«

      Wieder entstand vor Geryims Auge ein geistiges Bild. Auch dieses war unangenehm anzusehen und vor Leid dunkel. Nur zeigte es nicht seine eigenen Qualen. Es war nicht lange her, dass Sothorn in einer Zelle am Boden gelegen und gebettelt hatte, erlöst zu werden. Das Entsetzen in seinem Blick, als er begriffen hatte, dass sie ihm nicht Lotus, sondern Kriechergift eingeflößt hatten, würde Geryim niemals vergessen. Oder die Stunden danach, in denen er Sothorns zunehmend an Wärme verlierenden Körper an sich gedrückt