Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raik Thorstad
Издательство: Bookwire
Серия: Zenja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238329
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Sie schufen eine abgeschiedene kleine Welt jenseits der Herrschaft der Handelsherren mit ihren Intrigen und ständig wechselnden Bündnissen.

      Ja, Sothorn hätte diesen Ort und seinen Frieden auch bis aufs Blut verteidigt.

      Geryim, der neben ihm auf dem Bauch lag und seinerseits in die Ferne spähte, regte sich. »Wir sollten uns auf den Weg machen. Laut Theasa müsste unser Ziel dort drüben liegen…« Er deutete auf eine Ansammlung Wohnstallhäuser jenseits des Sees. »In zwei Stunden sollten wir dort sein, aber wir müssen uns beeilen. Heute Nachmittag zum vierten Stundenschlag will Theasa ihre Absichten verkünden.«

      Sothorn musterte die fernen Häuser mit verengten Augen. »Woher wissen wir, dass das der richtige Ort ist?«

      »Weil die Zenjaner so dumm waren, Janis und Theasa bei ihrem letzten Besuch ins Kernland zu lassen.« Geryim schob sich rückwärts und kam im Schutz einer schief gewachsenen Kiefer auf die Beine. »Außerdem nimmt Syv entsprechende Bewegung in dem hellen Gebäude an der Kreuzung wahr. Komm, es wird Zeit.«

      Sothorn warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das erwachende Tal, dann folgte er Geryim.

      Sie waren noch vor Sonnenaufgang aufgebrochen. Den Abstieg ohne Lichtquelle zu wagen, war ein Risiko gewesen, das sie mehr als einmal in gefährliche Situationen gebracht hatte. Doch von nun an würden sie besser vorankommen, auch wenn sie sich von der staubigen Straße fernhalten wollten, die sich am Flusslauf entlangschlängelte. Je länger sie unentdeckt blieben, desto besser.

      Während sie schräg zum Hang den letzten Bergkamm hinter sich ließen, hielt Sothorn den Blick auf Geryims breiten Rücken gerichtet. Ihr gemeinsamer Abend in der Höhle war anders verlaufen, als Sothorn erwartet hatte. Nach dem schwierigen Aufstieg über den Wasserfall und zwei Beinah-Abstürzen war er fest davon ausgegangen, dass Geryims Laune auf dem Tiefpunkt sein würde. Stattdessen war er abgesehen von einigen wenigen bissigen Bemerkungen so ruhig gewesen, wie Sothorn es selten erlebt hatte.

      Ob das eine Folge des Rituals war? Doch wenn ja, warum hatte sich Geryim dann während der Überfahrt nach Zenja oftmals genauso kurz angebunden und zornig gezeigt wie früher? Nicht, dass Sothorn nicht für jede gemeinsame Stunde dankbar gewesen wäre. Nur gab es tief in ihm einen kaum greifbaren Teil, der enttäuscht war. Und obwohl es sich nur um einen winzigen Funken seines Selbsts handelte, schämte er sich für ihn.

      Was hatte er sich denn erhofft? Ein bürgerliches Leben vielleicht, in dem es zu seinen täglichen Verrichtungen gehörte, mit Geryim Hand in Hand über blühende Wiesen zu tanzen? Kaum. Es ging eher darum, Geryim zu berühren – nicht nur seinen Körper –, und…

      Ein paar lose Steine gerieten unter Sothorns Stiefelsohlen ins Rutschen. Stumm verfluchte er sich, als er sich mit rudernden Armen vor einem Sturz retten musste. Kaum, dass er sein Gleichgewicht zurückerobert hatte, schritt er umso schneller aus, um Geryim zu folgen.

      Sie waren auf dieser Insel, um der Bruderschaft ihre größte Sorge zu nehmen. Was würden die anderen wohl sagen, wenn er sich in seiner Grübelei ein Bein brach und seinen Teil der Aufgabe nicht erfüllen konnte? Was, wenn er Geryim in eine Lage brachte, in der er allein weitergehen musste?

      Das kam nicht infrage. Für jede Überlegung – mochte sie auch noch so wichtig sein –, die nichts mit einer Schiffsladung Zenjanischer Lotus zu tun hatte, war später Zeit.

      Im Verlauf der folgenden Stunde hielt Sothorn seine Gedanken im Zaum und seine Sinne geschärft. Selbst Gwanja verwies er mit dem mentalen Gegenstück einiger scharfer Worte auf ihren Platz, damit sie ihn nicht ablenkte. Ihr betroffener Rückzug tat ihm körperlich weh.

      Bald darauf erreichten sie den See und bewegten sich im Schutz des mannshohen Schilfs auf die nahe Siedlung zu. Mehr als einmal schreckten sie gewaltige Wasservögel auf, nur um genau wie die Tiere zusammenzufahren.

      Man konnte über den Lotus sagen, was man wollte, aber solange er einen in sein eigentümliches Gespinst aus Ruhe und niemals versiegender Kraft spann, war man eindeutig weniger schreckhaft. Besonders, als Sothorn auf einem feuchten Uferabschnitt das erste Wasser in die Stiefel zu sickern begann, vermisste er die kalte Gelassenheit, die ihm lange bester Freund und ärgster Feind gewesen war.

      Sie erreichten die kleine Siedlung zu einem günstigen Zeitpunkt. Einsetzender Regen hatte dafür gesorgt, dass sich die meisten Bewohner eine Arbeit in Häusern und Stallungen gesucht hatten, statt sich draußen nützlich zu machen. Kurz bevor sie sich dem niedrigen Gebäude mit dem Strohdach näherten, das Geryim und Syv aus der Ferne ausgemacht hatten, blieben sie stehen.

      Genau genommen war es Geryim, der auf einmal leise pfiff und Sothorn mit gekrümmtem Zeigefinger hinter eine Dornenhecke lockte. Sobald sie sich beide dahintergekauert hatten, sah Geryim hinauf in den Himmel. Als Sothorn seinem Blick folgte, entdeckte er Syv, der hoch über ihnen seine Kreise zog.

      Einen Augenblick später ging ein Ruck durch Sothorn. Geryims Hand war so rasch in seinem Nacken aufgetaucht, dass er im ersten Moment befürchtete, es nähere sich jemand und Geryim wollte ihn ins feuchte Gras drücken. Doch dann fand er sich in einer im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Umarmung wieder.

      »Gors Schutz für dich. Für uns beide«, raunte ihm Geryim ins Ohr, küsste ihn hastig auf die Schläfe und zog sich zurück, bevor Sothorn wusste, wie er mit diesem plötzlichen Übergriff umgehen sollte. Sie waren bei Weitem nicht zum ersten Mal miteinander unterwegs, waren gemeinsam in Häuser eingestiegen und hatten zusammen halb Auralis bestohlen. Doch nie hatte Geryim sich zu einer solchen Geste hinreißen lassen.

      Damals wart ihr aber auch keine… was auch immer ihr jetzt seid, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf. So verschwommen der Gedanke auch war, er ließ eine unerwartete Leichtherzigkeit in Sothorn aufsteigen und ihn im besten Sinne unruhig werden. Er konnte weder das eine noch das andere gebrauchen, während er sich darauf vorbereitete, eine der größten Schandtaten seines ehrlosen Lebens zu begehen. Dennoch sandte er ebenfalls zögernd eine stumme Bitte an Gor: Wer immer du bist, nimm uns das hier nicht weg. Trenn uns nicht. Wir haben noch so viel gemeinsam zu erleben.

      Danach fühlte er sich seltsamerweise besser.

      Geryim kroch zum Rand des Gestrüpps. Seine glasigen Augen verrieten Sothorn, dass er einmal mehr mit Syv in Verbindung getreten war. Der alltägliche Austausch war Geryim so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man ihn als Außenstehender nicht bemerkte. Anders war es, wenn er tatsächlich mit Syvs Augen sah und gleichzeitig von seinen eigenen Eindrücken überschwemmt wurde.

      »Wir haben Glück«, flüsterte er nach einer Weile so leise, dass Sothorn sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen. »Es ist niemand unterwegs. Nicht auf der Straße in Richtung Minen, nicht hier in der Siedlung. Aber wir sollten uns beeilen. Aus der Stadt sind gerade ein paar Karren aufgebrochen. Sie werden bald hier sein.«

      Mit einem knappen Nicken streifte Sothorn den Umhang ab und band ihn an sein Bündel. Er hasste es, mit Waffen zu hantieren, während ihm Stoff um die Schultern wallte und beim ersten Windstoß ein widerwilliges Eigenleben entwickelte, das ihm zum Verhängnis werden könnte.

      »Gehen wir«, murmelte er. »Schnell rein, genauso schnell wieder raus und…« Er sprach nicht aus, dass er möglichst kein Blut vergießen wollte. Er wusste, dass Geryim ihn verstand.

      Seite an Seite lösten sie sich aus dem Schutz der Hecke. Sothorn verzichtete auf sichernde Blicke und vertraute sich seinen beiden Begleitern an.

      Ihr Zielgebäude verfügte auf allen Seiten über winzige Fenster, die jedoch mit dichtem Leder bespannt worden waren, um die Winterluft fernzuhalten. Nur an der Vorderseite befanden sich zwei verglaste, die den zusätzlichen Schutz nicht nötig hatten. Es gab nur eine einzige Tür, was Sothorn als weiteren Fingerzeig des Glücks für sie verbuchte.

      Stumm bedeutete er Geryim, dass sie sich dem Eingang von hinten nähern würden, bevor er hastig die letzten Schritte hinter sich brachte. Er hörte, dass Geryim ihm folgte, und auch, dass er seine Waffen aus den Scheiden zog. Mit zusammengebissenen Zähnen tat Sothorn es ihm nach; der Widerwillen in seinem Innern beißender als je zuvor.

      Dann barst er durch die schwere Holztür. Sie