Wächter der Runen (Band 3). J. K. Bloom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. K. Bloom
Издательство: Bookwire
Серия: Wächter der Runen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038961604
Скачать книгу

      »Lasst sie gehen! Ihr habt doch bereits, was ihr wolltet.«

      »Ich lasse Verbrecher nicht ungestraft davonkommen. Bringt sie weg!«, befiehlt er und die Soldaten setzen sich in Bewegung.

      Plötzlich überkommt mich Angst, die sich in alle meine Glieder frisst. Ich blicke zu Rave hinüber, die mit ihren graublauen Augen ebenfalls zu mir schaut. Reflexartig wehre ich mich gegen die Soldaten, die mich von diesem Ort wegzubringen versuchen. Meine Beine zittern und mich überkommt Panik.

      Es könnte das letzte Mal sein, dass ich sie sehe. Ein letztes Mal, dass ich ihre Stimme gehört habe. Ein letztes Mal, dass wir uns so nah sind.

      Ich muss etwas tun. Irgendetwas, ganz gleich, wie aussichtslos auch diese Situation sein mag. Mit all meiner Kraft stemme ich mich gegen die Griffe, ignoriere den Schmerz der Rune an meinem Hals und schöpfe alles in mir hervor, was mein Körper zu bieten hat. Unter meiner Haut spüre ich ein brennendes Reißen, als würden meine Sehnen entzweigerissen.

      »Rave!«, schreie ich, als noch mehr Soldaten in den Saal rücken, um mit anzupacken.

      »Finn!«, erwidert sie in einem angsterfüllten Ton.

      »Lass dich nicht unterkriegen«, keucht Ravass, den sie bereits auf die schwebende Fläche gezogen haben.

      »Nein!«, brüllt Rave und tritt den Soldaten zwischen die Beine. Einen trifft sie so hart, dass dieser trotz seiner metallischen Schutzvorrichtung in die Knie geht und von ihr ablässt.

      Das Blut rauscht in meinen Ohren und mir bleibt kaum Luft zum Atmen. Sie werden sie wegbringen, und ich weiß nicht, was sie dann mit ihr machen. Ich könnte es nicht ertragen, dass sie sie quälen oder ihr gar Schlimmeres antun. Erst letztens musste ich mit ansehen, was Reymond ihr zugefügt hat, als ich diesen dabei erwischte, wie er sie folterte.

      Was würde das Imperium mit ihr machen? Der Westflügel klang nicht gerade wie ein Gefängnis, doch diesem Mörder und Tyrannen würde ich alles zutrauen.

      »Schluss mit dem Theater«, gibt Kora in einem genervten Ton von sich und aktiviert die Rune an meinem Hals.

      Der beinahe unerträglich brennende Schmerz kehrt zurück, gräbt sich durch meinen gesamten Körper, sodass ich aus Leibeskraft schreie.

      Doch Kora lässt nicht locker. Sie verstärkt die Qual, kommt mir immer näher und hält dabei ihre Hand ausgestreckt vor sich, als führte sie eine Leine, an der sie immer fester zieht.

      »Hör auf!«, dringt Raves verzweifelte Stimme zu mir. »Bitte!« Ich kann ein Weinen darin erkennen, was mir beinahe das tote Herz aus der Brust reißt. »Finn!«

      Mir wird schwindelig und ich bemerke, wie mir durch den Schmerz Tränen über die Wangen laufen. Die Pein zwingt mich in die Knie und raubt mir jegliche Möglichkeit, einen Atemzug zu tun.

      Ich will nicht sterben.

      Nicht weil ich schon einmal über diese Schwelle getreten bin, sondern weil ich erneut versagt habe. Ich habe Rave nicht in Sicherheit gebracht und musste sie wider Willen dem Imperium überlassen. Es kann doch nicht sein, dass unsere Reise umsonst gewesen ist.

      Nein, es darf nicht hier enden …

      Nicht hier …

      Schwärze umfängt mich, dann wird alles in eine endlose Stille getaucht.

      Meine Beine zittern, meine Arme sind angeschwollen und blau, weil ich nicht aufgehört habe, mich gegen die Umklammerung der Soldaten zu wehren. Irgendwann beendet Kora alles, indem sie nicht nur Finn quält, sondern auch mir Schmerzen zufügt, die mich an den Rand der Bewusstlosigkeit führen.

      Als mich die Benommenheit verstummen lässt, höre ich auch Finns Schreie nicht mehr, die mir noch immer durch Mark und Bein gehen.

      Er wollte für mich kämpfen. Für mich meine Freiheit zurückgewinnen.

      Tränen laufen mir ununterbrochen über die Wangen und ich kann einfach nicht glauben, was geschehen ist. Seine Schreie hallen wie ein nie endendes Echo durch meinen Kopf und reißen mein Herz Stück für Stück auseinander.

      Kora wird ihm langsam den Tod bringen, seine Seele zerfetzen, um nichts mehr von ihm übrig zu lassen. Ich ertrage den Gedanken daran nicht, genauso wenig, wie meinen Bruder zurückgelassen zu haben. Warum ist dieser Dickschädel auch mitgekommen? Er wusste, wie hoch das Risiko sein würde, und trotzdem hat er sich auf den Weg zu mir gemacht.

      Das werde ich ihm nie vergessen.

      Ravass … die einzige Familie, die ich noch habe.

      ›Verzage nicht, Rave. Wir finden einen Weg. Es gibt immer einen‹, höre ich Danev sagen, deren Worte mir allerdings leer erscheinen.

      Finn und Ravass sind meinetwegen hier, ich allein bin der Grund, weshalb sie überhaupt gefasst wurden. Gäbe es mich nicht, wäre Finn nun ein erfolgreicher Kopfgeldjäger, besäße ein Anwesen in Baltora und könnte wohlhabend mit seiner Familie leben.

      Ravass wäre mit Mutter und Vater glücklich geworden.

      Aber nur durch mich wurde ihr Glück vernichtet.

      ›Rave, bitte. Schüre nicht deinen Hass gegen dich selbst. Wende ihn gegen mich. Ich habe mir deinen Körper ausgesucht, deinem Leben Kummer bereitet, dir ein Schicksal voller Albträume beschert.‹

      Ja, das hat sie. Trotzdem hätte ich all dem längst ein Ende setzen können, wenn ich den Mut gehabt hätte, mich dafür zu opfern. Ich habe die Hoffnung gehegt, nie wieder nach Baltora zurückkehren zu müssen, und geglaubt, die Macht von portes tenebra umgehen zu können.

      Jetzt bin ich hier.

      Finn und Ravass müssen dafür sterben.

      Der Westflügel ist alles andere als ein Gefängnis, denn er ist das Zuhause des Imperators. Überall hängen beeindruckende Wandgemälde, ich laufe auf einem weichen goldenen Teppich, und blendende Kristallleuchten erhellen die Korridore mit warmen Farben. Dieser Anblick überragt sogar den Reichtum von Taseds damaligem Haus in Silvereast, als Finn und ich dort Zuflucht fanden.

      Warum bringt mich der Imperator hierher? Wieso lande ich nicht wie letztes Mal in der Folterkammer?

      ›Er fürchtet sich davor, dass du erneut in den Rausch verfällst und ich dich befreie‹, beantwortet Danev meine Gedankenfrage.

      Sie fühlt und hört alles, was in mir vorgeht, was einerseits unheimlich ist, andererseits aber auch hilfreich. So kann sie mich besser verstehen.

      Damals bin ich dem Imperium entkommen, weil ich mich nach all der Folter und dem Schmerz aufgeben wollte. Danev hoffte dies zu verhindern, indem sie mir eine Macht verlieh, mit der ich aus den Gewölben fliehen konnte.

      ›Aber ihre Runen sind doch mittlerweile viel mächtiger‹, argumentiere ich, als ich um eine weitere Ecke biege, begleitet von mindestens zehn Soldaten. Der Imperator geht nur wenige Schritte vor mir.

      ›Das ist richtig. Aber es gibt eine Macht, gegen die selbst portes tenebra nichts ausrichten kann‹, erklärt sie.

      ›Welche?‹

      Daraufhin schweigt Danev nur und als ich gerade wieder nachhaken will, machen wir vor einer der Türen halt.

      »Das wird dein zukünftiges Gemach sein.« Der Imperator deutet auf das veredelte Holz, um dessen Rundbogen Runen eingemeißelt sind.

      Ein Soldat öffnet die Tür und ich werde ungalant hineingestoßen. Beinahe wäre ich gestolpert, doch im letzten Moment kann ich mich mit meinen Beinen auffangen.

      »Versuche erst gar nicht zu fliehen. Du wirst hier so lange leben, bis wir die Tafel haben. Wenn du irgendwann auf Geheiß dieses Zimmer verlässt, wird die Kommandantin an deiner Seite sein. Solltest du auch nur einen falschen Schritt tun, wendet sie die Rune so lange an, bis du wie dein Kopfgeldjägerfreund bewusstlos umfällst.« Er macht eine Pause und ich werfe ihm dabei einen finsteren Blick zu. »Du könntest