Wächter der Runen (Band 3). J. K. Bloom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. K. Bloom
Издательство: Bookwire
Серия: Wächter der Runen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038961604
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und Geschichten interessierte, wollte deine Mutter hinaus die Welt bereisen und das Kämpfen lernen. Wir waren von Grund auf verschieden.« Ihr Blick wandert zum Fenster und in ihren Augen erkenne ich, dass meine Anwesenheit ihre gesamten Erinnerungen an Mutter aufleben lässt. »Unsere Eltern sahen für deine Mutter nur den Ausweg, sie jung zu verheiraten, um ihr die Träumereien aus dem Kopf zu jagen. Als Toria sechzehn Jahre alt wurde, stellten sie ihr den Sohn einer Kaufmannsfamilie vor, der gewillt war, sie zur Frau zu nehmen.«

      »Mutter sollte heiraten? Wie konnten meine Großeltern das nur tun?«, möchte ich erbost wissen. Mir ist klar, dass so etwas in den Reihen des Adels üblich ist, aber sie haben meine Mutter eindeutig loswerden wollen.

      Torava zuckt nur mit den Schultern und seufzt schwer. »Als meine Schwester schließlich mit ihm nach Sudwell in sein Anwesen reisen sollte, floh sie und ich sah sie seitdem nie wieder.«

      Vermutlich lernte sie auf ihrer Flucht Vater kennen und gründete mit ihm eine Familie. Aber wie kam das Imperium ihr auf die Schliche? Und aus welchem Grund? Wussten sie etwa von meiner Rune? Oder begegnete Mutter ihnen wieder?

      Möglicherweise hat sie auch jemand erkannt, obwohl das niedere Volk kaum die Gesichter des Adels sieht. Sie kommen ja noch nicht einmal in die Nähe von ihnen. Ob es also jemand aus dem gehobenen Stand war?

      »Erst als sie dich aus den Gewölben befreien wollte – ich wusste nicht einmal selbst, dass du hier bist und der Imperator dich gefangen hält –, habe ich sie wiedergesehen. Aber auch nur kurz, denn danach wurde sie …« Sie hält inne und senkt betrübt den Kopf.

      Ich rümpfe die Nase. »Aber wie kannst du nur hier leben? Für mich ist der Imperator das grauenvollste Monster im gesamten Imperium! Keine hundert Runen würden mich an diesem Ort festhalten, wenn ich die Chance hätte, zu fliehen.«

      Torava erhebt sich vom Bett und geht ans Fenster, durch das sie in die Ferne blickt. »Ich bin nicht so mutig wie meine Schwester. Ihr war es gleich, ob sie verhungern oder jemand sie auf ihrer Flucht töten würde. Sie hätte sich sogar lieber dem Gesindel in Massott angeschlossen, als zurück in den Palast zu kommen. Doch ich war zu feige für solch einen Versuch. Ich blieb bei meinen Eltern, heiratete mit achtzehn Jahren einen dreißig Jahre älteren Adelsmann, der mein Vater hätte sein können, und ließ mich von ihm schwängern.«

      Mir klappt die Kinnlade herunter. »Was?«

      Sie beißt sich auf die Unterlippe und schließt nachdenklich die Lider. »Er starb jedoch kurz darauf. Er ließ mich und meinen Sohn zurück und vermachte uns ein großes Vermögen, doch das hielt nicht lange an. Der einzige Ausweg, um meinen Sohn und mich in diesem goldenen Palast weiterhin beschützen zu können, war, eine neue Ehe einzugehen.«

      Und sie heiratete erneut jemanden. Das muss ich nicht einmal erfragen. »Hast du jemals Baltora verlassen?«

      Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Meine Pflichten binden mich an dieses Adelsviertel. Mein Sohn – also dein Cousin – ist der Einzige, der das Recht hat, durch die Welt zu reisen. Aber diese Erlaubnis besitzt er auch nur, weil es seine Handelsbeziehungen zulassen. Der Imperator sieht es nicht gerne, wenn die Adelsleute in Baltora die Hauptstadt verlassen.«

      Aus Angst wovor? Tratsch? Gerüchten? Oder davor, dass sie beschließen, woanders zu wohnen?

      Mir wird mehr und mehr klar, dass der Herrscher Amateas egoistischer ist, als ich anfangs dachte. Er will alles für sich haben und kontrollieren können. Genau deswegen gibt er auch nicht den Krieg gegen Oceana auf, das einzige Land, das sich noch behaupten kann.

      Ich erhebe mich seufzend und stopfe meine Hände nervös in die Seitentaschen meiner Lederrüstung. »Weißt du, was der Imperator hier will? Ich meine, wieso steckt er mich in ein solches Zimmer?«

      Torava sieht mich genauso ahnungslos an. »Nachdem du vor zweieinhalb Jahren geflüchtet bist, machte ich mich bei den Soldaten des Imperators kundig. Ich wollte unbedingt wissen, was sie mit dir angestellt haben, und fand heraus, dass sie dich offensichtlich an seine Grenzen trieben und du beinahe gestorben wärst. Genau das – so denke ich – möchte der Imperator nun verhindern, weshalb er dich offensichtlich in einem Turm eingesperrt hat.«

      »Was will er damit erreichen? Darauf warten, bis er die Tafel gefunden hat, um meine Rune zu entsiegeln?«, platzt es wütend aus mir heraus. Finn muss im Gegensatz zu mir dort unten um sein Überleben kämpfen.

      Verzweifelt gleite ich, mit dem Rücken an den Bettpfosten gelehnt, hinab und lege das Gesicht in meine Hände. »Ich muss hier raus, Torava. Mein Bruder und Finn sind in den Gewölben eingesperrt und ich muss sie befreien.« Erwartungsvoll sehe ich sie an, in der Hoffnung, dass sie mir helfen wird.

      Sie seufzt frustriert. »Baltora ist eine Festung, eine unüberwindbare Mauer, aus der es bisher nur ganz wenige herausgeschafft haben. Der Imperator wird nun ein besonderes Auge auf dich werfen.«

      ›Damit hat sie gar nicht mal so unrecht‹, höre ich Danev plötzlich sagen.

      ›Offensichtlich scheinst du deine Stimme wiedergefunden zu haben‹, denke ich mir knurrend.

      ›Ich möchte damit nicht behaupten, dass eine Flucht unmöglich sei, aber es ist nah dran. Auch wenn du das nicht hören willst, Rave …‹ Mein Herz zieht sich zusammen, da mir klar ist, welche Worte nun folgen werden. ›Entweder du oder sie. Aber gemeinsam werdet ihr Baltora nicht verlassen können.‹

      Ihre Worte reißen mir den Boden unter den Füßen weg. Soll das bedeuten, nur ich oder mein Bruder und Finn werden fliehen können?

      Torava atmet deutlich ein. »Ich würde dir so gerne helfen, Rave. Wirklich. Aber selbst ich, die seit ihrer Geburt in Baltora lebt, weiß, dass ihr allein keinen Weg hinaus finden werdet. Außerdem habe ich einen Sohn und ich kann nicht einschätzen, was der Imperator mit ihm tun würde, wenn er herausfindet, dass ich dir zur Flucht verhelfe.«

      Meine Augen beginnen zu brennen und ich versuche trotz der Wut und Enttäuschung, die Tränen zurückzuhalten.

      Ich kann nicht zulassen, dass Finn und Ravass sterben, nur weil ich einen Fehler gemacht habe.

      »He!«, dringt es dumpf in meine Gedanken. »Finn! Wach auf!«

      Meine Kehle ist rau und trocken, als hätte ich mir die Seele aus dem Leib geschrien. Ich öffne die Augen und bemerke das fahle Licht am Ende des Raumes.

      Wehklagen, Wimmern und Schreie ertönen, die wohl von anderen Gefangenen durch die Gänge getragen werden. Mein Körper liegt auf einem kalten Steinboden, der mit verfaultem, feuchtem Heu bedeckt ist. In der Ecke meiner Zelle steht ein Holzeimer, in dem man offenbar seine Geschäfte erledigt. Der Geruch von Ausscheidungen, Blut und Schweiß liegt in der Luft, sodass dieser mich sofort an Massott zurückerinnert. Allerdings steht dieser Gestank schon eine Weile im Raum, was das Ganze noch intensiver werden lässt.

      Angewidert atme ich nur noch durch den Mund und versuche trotz der schlechten Lichtverhältnisse etwas zu sehen. Aufgrund der Rune kann ich nicht einmal meine geschärften Sinne als Todeskriecher anwenden.

      »Alles in Ordnung?«, sagt nun Ravass, der sich in meiner Nähe befinden muss.

      Obwohl sich mein Körper wie verprügelt anfühlt, wende ich mich mit ächzenden Lauten der Stimme zu.

      Er hockt in einer Ecke der Zelle und hat seinen Arm durch die Gitterstäbe gedrückt, sodass er mit einem Winken auf sich aufmerksam macht. Langsam gehe ich zu ihm hinüber und greife nach seiner Hand, die ich kurz drücke. »Es ging schon mal besser.«

      »Kora hat nach dir getreten, als du bewusstlos geworden bist. Ich dachte schon, die hätte dir den Schädel zertrümmert«, erklärt er.

      Als ich mein Gesicht untersuche, bemerke ich angeschwollene Stellen, die sich zu den weiteren Schmerzen am Oberschenkel, am Bauch und meinem Rücken gesellen. Kora muss wohl an mir ihre Wut ausgelassen haben, die sie noch immer für mich hegt, da ich ihre Schwester tötete.

      Doch noch viel schlimmer erdrückt mich das Gefühl, dass Rave