Wächter der Runen (Band 3). J. K. Bloom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. K. Bloom
Издательство: Bookwire
Серия: Wächter der Runen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038961604
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zu sehen ist. Hohe, schmale Türme schießen in den Himmel und wirken wie Eiszapfen. Schwarze und weiße Steine zieren die Fassade und lassen den Palast wie ein abstruses Bild wirken.

      Ich schlucke, als ich mir vorstelle, dass in diesen Gemäuern der Imperator auf uns wartet. Sein Antlitz ist mir bisher einzig von Gemälden und Bildern bekannt. Nur einmal habe ich ihn gesehen, als er auf einem hohen Podest stand und zu seinem Volk sprach. Sein wahres Gesicht kennt allerdings nur der engste Kreis, da er immer seine schwarze Rüstung trägt, wenn er sich der Öffentlichkeit zeigt. Doch wenn man Nuras Worten Glauben schenkt, scheint sein Körper sowieso keine menschenähnlichen Züge mehr zu besitzen, da die portes tenebra ihn bereits zerfressen hat.

      Mein Atem geht hektisch, als mich die Soldaten nach vorne stoßen, sodass ich gezwungen bin, die Planke hinunterzulaufen. Wir werden von einer Schar Soldaten begleitet, die dafür sorgt, dass sich uns keine Möglichkeit zur Flucht bietet.

      Als wir auf der großen, breiten Straße landen, die nicht weit vom Hafen entfernt liegt, werden meine Beine schwerer. Eine Zuschauermenge hat sich am Straßenrand angesammelt, die uns mit misstrauischen und feindseligen Mienen begegnet. Einige beschimpfen uns als »Verräter« oder »Gesetzesächter«. Als sie anfangen, Dinge nach uns zu schleudern, ist Ravass der Erste, der einen Stein an den Kopf geworfen bekommt. Er gibt keinen Laut von sich, verzieht nur schmerzerfüllt das Gesicht und sieht den tobenden Mann wütend an. An seiner Schläfe läuft ein Blutrinnsal hinab und tropft auf seine Lederrüstung. Dieselben graublauen Augen, die auch Ravanea besitzt, funkeln vor Zorn, und seine schwarzen, schulterlangen Haare kleben in seinem schweißnassen Nacken.

      Rave scheint wegen der aufständischen Bürger beunruhigt zu sein und beginnt sich erneut in den Armen der Soldaten zu winden. »Ihr habt keine Ahnung, was ihr da tut!«

      Ihre Verzweiflung lässt mein totes Herz verkrampfen. Wie können diese Menschen dem Imperium nur so blind vertrauen? Merken sie denn nicht, wie sehr es sie in Unterdrückung und Angst leben lässt? Obwohl wir genau wissen, dass wir für das Gute kämpfen, werden wir dennoch als Verbrecher betrachtet. So ungebührlich ich es auch finden mag, es wird keine Gerechtigkeit geben. Die Leute sehen, was sie sehen sollen. Das Imperium verbreitet Lügen über uns, damit wir für die gehalten werden, als die wir auch hingerichtet werden sollen.

      Abschaum. Abtrünnige. Verurteilte.

      »Ihr solltet diese Schlampe erhängen!«, brüllt eine üppige Frau, die wegen des Korsetts und des einfach genähten Kleides zum Mittelstand gehören muss.

      »Kopf ab!«, schreit jemand von anderswo.

      »Die Bestie soll sie fressen!«

      Die Bestie? Was meinen sie damit? Ein Ungeheuer? So etwas gibt es in Amatea gar nicht. Vielleicht meint er damit lediglich einen übergroßen, starken Mann, der nur einmal zuschlägt, um jemandem den Tod zu bringen.

      Ich bemühe mich, die Worte zu ignorieren und den Blick zu senken, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ravass tut genau das Gegenteil, indem er auch noch auf die Beleidigungen antwortet. Rave hingegen sieht die Zuschauer nur böse an.

      Der Weg bis zu den Palaststufen kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Mir wird klar, dass das Imperium unsere Anwesenheit angekündigt haben muss, um uns zu demütigen. Doch dieses Gefühl will ich erst gar nicht an mich heranlassen.

      Nachdem wir endlich die obersten Stufen erreicht haben, werden wir durch weißgoldene Flügeltüren in einen großen, hohen Raum gebracht. Dort empfängt uns ein schmächtiger Mann, der eine vornehme, einfarbige rote Robe trägt. Er besitzt kaum noch Haare auf dem Kopf, eher einen grauen Flaum. Seine Brauen liegen so tief, dass man meinen könnte, seine Lider wären zugeschlagen.

      Er sieht uns alle nacheinander an. »Finnigan Bassett, Ravanea und Ravass Cahem, ihr seid wegen Hochverrats angeklagt. Der Imperator wird über euer Schicksal richten.« Er kehrt uns den Rücken zu und läuft in die große Halle hinein. »Hier entlang.«

      Die Soldaten schieben uns weiter in den Palast, und mein Blick schweift durch den Saal. Die Decke ist so hoch, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen muss, um das obere Ende zu begutachten. Die Wände wurden mit einer wunderschönen Malerei versehen, auf denen die Eisberge von Amatea und die bedeutsamen Schlachten des Landes zu erkennen sind.

      Doch obwohl der Saal sehr imposant ist, verstehe ich nicht, was er symbolisieren soll. Hier ist nichts bis auf die Kerzenleuchter und die beeindruckenden Bilder an den Wänden. Der Raum steht leer und dient wohl nur dazu, Gäste zu empfangen oder um jemanden willkommen zu heißen.

      Als wir die Mitte erreichen, bleibt der kleine Mann mit der Robe stehen und berührt ein Runensymbol auf dem Boden, das ich zuvor gar nicht wahrgenommen habe. Es leuchtet weiß auf, und das Fundament beginnt unter unseren Füßen zu beben.

      Angespannt warte ich, was als Nächstes passiert, merke jedoch gleichzeitig, dass unsere Körper in die Höhe steigen. Mit einem Blick nach unten entdecke ich eine Plattform, die uns nach oben schweben lässt.

      »Der Thronsaal des Imperators liegt im höchsten Turm«, sagt der alte Mann.

      Rave zieht die Augenbrauen zusammen. »Warum hat er ihn verlegt?«

      »Das geht dich nichts an«, keift Kora, die sich noch immer hinter uns befindet.

      Diese Plattform war versteckt im Boden, und auch das Runenzeichen habe ich beim Eintreten nicht wahrgenommen. Womöglich ist es beabsichtigt, dass der Thronsaal nicht aufgesucht werden kann, wenn man den Zugang nicht kennt.

      Soll das also bedeuten, dass der Imperator, der mächtigste Mann auf dieser Welt, sich schützt? Aber vor wem? Allein seine Kräfte, die er durch portes tenebra erlangt hat, sind fast unbezwingbar. Zumindest denke ich das, nachdem mir Nura und die anderen Teilschöpfungen mehr über den Herrscher erzählt haben.

      Die Decke öffnet sich und dahinter verbirgt sich eine Art Aufzugsschacht.

      Wir steigen immer höher und höher, sodass ich das Gefühl habe, bei den Wolken anzukommen. Als die Plattform unter unseren Füßen endlich stehen bleibt, schieben sich schwere Steintore zur Seite und eröffnen den Weg in eine weitere Halle.

      Silberblaue Säulen bilden einen Gang, an dessen Ende uns ein hoher Thron aus Eis erwartet. Über diesem ragt in Schneeweiß eine Lotusblüte bis zum oberen Ende und nimmt beinahe die gesamte hintere Wand ein. Sie ist aus einem seltsamen Material angefertigt, als wäre sie eine echte Blume.

      Trotz der frostigen Farben in der Halle, die an die Kälte des Nordens erinnern, ist mir unglaublich warm.

      Auf dem Thron sitzt eine Gestalt, die ich bisher nur von Reden kannte. Ich habe noch nie sein wahres Gesicht gesehen, da er sich in eine dunkle Rüstung hüllt – an seiner Seite prangt ein tödliches Schwert. Von Weitem kann ich rote Augen ausmachen, die durch den kleinen Schlitz in seinem Helm leuchten.

      Nachdem wir die Säulen hinter uns gelassen haben, bleiben wir nur wenige Schritte vor den Stufen des Thrones stehen. Die Soldaten drängen uns noch näher an den Imperator, doch da rammt Rave ihre Fersen in den Boden. Angst und Panik treiben sie dazu, sich gegen die Griffe der Soldaten zu wehren.

      Die Aura des Imperators ist stark und unglaublich angsteinflößend. Sie legt sich wie eine kalte Hand auf meine Haut und übt einen unangenehmen Druck auf ihr aus. Ich fröstle, obwohl ich das als totes Wesen gar nicht mehr so intensiv fühlen dürfte. Diese Macht, die ihn umgibt, kann nur von portes tenebra stammen.

      »Wie schön, dass du den Weg wieder zu uns zurückgefunden hast, Ravanea«, hallt seine dunkle, beinahe schon unmenschliche Stimme durch den Saal. Ihr Klang verpasst mir eine Gänsehaut.

      Rave zittert am ganzen Körper und blickt zu dem Imperator hinauf, dessen schwarze Rüstung ihm noch mehr Bösartigkeit verleiht. Doch statt zu antworten, schweigt sie und versucht weiterhin, sich aus den Griffen der Soldaten zu befreien.

      Plötzlich sieht der Imperator in meine Richtung und ich zucke zusammen. »Finnigan, der Sohn von Ganora und Finnicars Bassett. Ich war ein wenig enttäuscht, als ich hörte, dass du von den Toten auferstanden bist.«

      Kora tritt plötzlich vor. »Mein Imperator, ich