Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl. Florian Aigner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Florian Aigner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783710604874
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die sich niemals beweisen lässt, egal, wie sehr man sich auch bemüht. Den Beweis kann es aus Gründen der Logik gar nicht geben.

      Damit lautet Gödels berühmter erster Unvollständigkeitssatz (in einer etwas unmathematisch-umgangssprachlichen Formulierung): „Jedes logische System (das zumindest mächtig genug ist, eine Theorie der natürlichen Zahlen zu enthalten) ist entweder widersprüchlich oder unvollständig.“ Gödel konnte daraus auch noch seinen zweiten Unvollständigkeitssatz ableiten: „Ein konsistentes System kann die eigene Konsistenz nicht beweisen.“

      Kurt Gödel war noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, als er mit seinen Ergebnissen die Welt der Mathematik erschütterte. Seine Unvollständigkeitssätze sorgten für Aufsehen, unter anderem in den USA, beim großen Mathematiker und Informatik-Pionier John von Neumann. Gödel reiste wiederholt ans Institute for Advanced Study in Princeton, er hielt Vorlesungen in Wien und in Göttingen.

      Schon als Student hatte er seine große Liebe Adele Porkert kennengelernt, eine Wiener Nachtclubtänzerin, sechs Jahre älter als er – und bereits verheiratet. Sie ließ sich scheiden und heiratete Kurt Gödel schließlich im Jahr 1938. Trotz alledem hatte Gödel auch in dieser Zeit immer wieder mit schweren psychischen Problemen zu kämpfen.

      Zusätzlich wurde die politische Lage in seiner Heimat immer schlimmer: Die Nationalsozialisten hatten die Macht ergriffen. Dumpfgeistige Politiker, die menschenverachtende Gesetze des Unrechts verabschiedeten, durften regieren, während geniale Wissenschaftler, die wunderbare Gesetze des Universums untersuchten, emigrieren mussten.

      Gödel war gewiss kein besonders politischer Mensch, aber nachdem ihn herumpöbelnde Nazis auf der Straße attackiert hatten, wurde es ihm schließlich auch zu viel. Im Jahr 1940, als der Zweite Weltkrieg bereits durch Europa tobte, gelang Kurt Gödel und seiner Frau Adele noch die Flucht – mithilfe amerikanischer Freunde konnten sie über Sibirien in die USA einreisen, in Princeton fanden sie eine neue Heimat. Gödels Freund Oskar Morgenstern befragte ihn zu der Lage in Wien. „Der Kaffee ist erbärmlich“, antwortete Gödel – über Politik verlor er kein Wort. „Er ist sehr spassig, in seiner Mischung von Tiefe & Weltfremdheit“, vermerkte Morgenstern in seinem Tagebuch.

      In Princeton lernte Kurt Gödel dann auch Albert Einstein kennen. Die beiden hatten einiges gemeinsam. Beide galten als Genies: Einstein hatte im Alter von fünfundzwanzig Jahren die Fundamente der Physik erschüttert, als er seine spezielle Relativitätstheorie veröffentlichte. Gödel war fast genauso alt, als er die Fundamente der Mathematik erschütterte. Einstein hatte dann zeitgleich mit David Hilbert an den Grundgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie geforscht und sich am Ende gegen den großen Mathematiker durchgesetzt. Gödel hatte zeitgleich mit David Hilbert an der Frage nach der Vollständigkeit formaler Systeme geforscht und am Ende den Traum des großen Mathematikers zerplatzen lassen. Zwischen Einstein und Gödel entwickelte sich eine enge Freundschaft. Einstein soll, so berichtete Oskar Morgenstern später, gesagt haben, dass er überhaupt nur ans Institut komme, um das Privileg zu haben, mit Gödel zu Fuß nach Hause gehen zu dürfen.

      Doch in vielerlei Hinsicht hätten die beiden Freunde kaum unterschiedlicher sein können. Albert Einstein war ein politischer Intellektueller, ein internationaler Star, ein rationaler Denker, fest verankert im naturwissenschaftlichen Weltbild der Aufklärung. Kurt Gödel hingegen war ein zurückgezogener Grübler, der an Übernatürliches glaubte, gequält von irrationalen Ängsten. Im Lauf der Jahre entwickelte er immer stärkere Anzeichen von Paranoia, er fürchtete sich davor, vergiftet zu werden. Schließlich aß er kaum noch, nur die liebevolle Unterstützung durch seine Frau Adele hielt ihn am Leben. Als sie 1977 selbst für einige Monate ins Krankenhaus musste, verweigerte Gödel – ohne seine Vorkosterin – überhaupt jede Nahrung. Mit einem Körpergewicht von etwa 30 Kilogramm wurde er ins Krankenhaus eingeliefert. Der wohl größte Logiker in der Geschichte der Mathematik starb am 14. Jänner 1978, weil er sich weigerte, zu essen.

       Die Logik hat noch immer recht

      Die Welt der Mathematik ist nicht mehr dieselbe, seit Gödel seinen Unvollständigkeitssatz veröffentlichte. Die Methoden der Logik, an denen er arbeitete, spielen für die Mathematik bis heute eine wichtige Rolle. Man darf das mathematische Forschungsgebiet der Logik allerdings nicht mit dem verwechseln, was man im Alltag normalerweise unter „Logik“ versteht. „Das ist doch logisch“, sagen wir, wenn wir etwas völlig offensichtlich, klar und einfach finden. Dabei geht es normalerweise nicht um mathematische Formeln, sondern um leicht verständliche Nachvollziehbarkeit.

      Ursprünglich hatte die Logik mit Mathematik nicht besonders viel zu tun. Im antiken Griechenland war die Logik eher ein Teilgebiet der Rhetorik. Es ging darum, korrektes Argumentieren von Trugschlüssen zu unterscheiden. „Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich.“ – Das ist ein Beispiel für ein logisch korrekt geführtes Argument. „Geniale Ideen stoßen immer auf Widerspruch. Meine Ideen stoßen auf Widerspruch. Also sind meine Ideen genial.“ – Diese Argumentation klingt zwar auch so ähnlich, sie ist aber falsch.

      Aristoteles beschäftigte sich mit solchen Mustern logischer Schlüsse – sogenannten „Syllogismen“. Um solche Gedankenspielereien zu durchschauen, muss man keine Gleichungen und Formeln aufschreiben, unsere einfache Alltagssprache genügt.

      Die mathematische Logik hingegen ist keine Wissenschaft, die sich auf banale Alltagsaussagen beschränkt. Sie ist ein diffiziler, abstrakter Teilbereich der Mathematik. Man hat eine ganz eigene Formelsprache entwickelt, in der man mit speziellen Zeichen und Schriftregeln logische Aussagen aufschreiben kann. Ähnlich wie man in der Schule mathematische Gleichungen umformt, bis man am Ende den Wert einer Variable ausgerechnet hat, kann man logische Aussagen umformen, um neue Wahrheiten aus ihnen abzuleiten. Jeder einzelne Schritt ist leicht nachzuvollziehen und gehorcht ganz einfachen Grundregeln. Aber am Ende gelangt man zu einer neuen Erkenntnis, die alles andere als offensichtlich ist.

      Ganz besonders bedeutsam wurde die Logik für eine Wissenschaft, an die zu Kurt Gödels Zeiten noch gar nicht zu denken war – für die moderne Informatik. Heute gibt es Computerprogramme, die ganz automatisch, nach vorgegebenen logischen Regeln Beweise für bestimmte mathematische Aussagen liefern können. Es gibt Computerprogramme, die andere Computerprogramme nach Fehlern durchsuchen, oder auch Computerprogramme, die beweisen können, dass ein bestimmter Computercode unter allen logisch möglichen Bedingungen das richtige Ergebnis liefert.

      All das sind wunderbare, nützliche Fortschritte, die wir der formalen Logik zu verdanken haben. Gödels logischer Beweis der Unvollständigkeit mathematischer Systeme wird allerdings immer wieder völlig falsch interpretiert. Manche Leute deuten Gödels Unvollständigkeitssätze als Hinweis darauf, dass auch die Mathematik etwas Unscharfes, Unklares, Mystisches birgt. Das ist natürlich völlig falsch. Die Logik lässt sich nicht in ein esoterischmystisches Weltbild einbauen.

      Hat Gödel mit seinen Unvollständigkeitssätzen bewiesen, dass die Mathematik ein löchriges Gebilde von zweifelhafter Stabilität ist, das jederzeit einstürzen könnte? Nein, das hat er nicht. Hat Gödel behauptet, dass die Logik nicht immer richtig liegt oder dass exaktes Beweisen gar nicht möglich ist? Niemals wäre er auf so unsinnige Ideen gekommen. Hat Gödel angezweifelt, dass es so etwas wie wahre oder falsche Aussagen überhaupt gibt? Nein, sonst wäre er kein historisch bedeutsamer Wissenschaftler, sondern ein längst vergessener Wirrkopf.

      Selbstverständlich gibt es nach wie vor wahre und falsche Aussagen. Ein gleichseitiges Dreieck in der Ebene schließt in jeder Ecke einen Winkel von sechzig Grad ein – das ist wahr. Achtundvierzig ist eine Primzahl – das ist falsch. Beides lässt sich beweisen. Die Tatsache, dass man durch Gödels Aussagen-Nummerierung auch Sätze konstruieren kann, bei denen die Sache komplizierter ist, hat damit nichts zu tun. Eine logisch bewiesene Aussage ist nach Gödel noch genauso unverrückbar wahr wie vorher. Und wenn aus wahren Aussagen eine neue Aussage logisch folgt, dann muss diese neue Aussage auch wieder wahr sein. Daran besteht kein Zweifel.

      Wir müssen uns nur damit abfinden, dass es wahre Aussagen gibt, für die wir niemals einen Beweis finden können. Vieles in der Mathematik lässt sich wunderbar beweisen – etwa die Tatsache, dass es unendlich viele