Damals schrieb ich dazu in einem Buchartikel folgende Zeilen:
„Berufung ist wohl, wenn einem irgendwann als Christ ein Thema besonders wichtig und man es danach nicht wieder loswird. Bei mir heißt dieses Thema ‚Lobpreis und Anbetung‘. Ganz früh habe ich gemerkt, dass ich eine brennende Leidenschaft dafür empfinde, Gott mit guter Musik und tief gehenden Texten anzubeten. Mehr noch, dass ich andere Menschen dazu ermutigen möchte, das ebenfalls zu tun und nicht reserviert oder emotional unbeteiligt zu bleiben, wenn sie ihrem Gott begegnen. Dieser Wunsch hat mich seit meinen Teenagerjahren begleitet. Und später haben mir immer wieder Menschen von außen bestätigt, dass Gott diesen Antrieb in mein Herz gepflanzt hat, weil er zu seinem Plan gehört …
Zurückschauend sieht mein bisheriger Lebensweg für Außenstehende sicher recht zielstrebig und vorgezeichnet aus; für mich selbst hat sich das aber durchaus nicht immer so angefühlt. Musiker neigen dazu, ihren Selbstwert davon abhängig zu machen, wie das Publikum auf ihre künstlerischen Ergüsse reagiert. Bleiben Erfolg und Zuspruch eine Zeit lang aus, dann fühlt man sich leicht unterschätzt und unverstanden, und die Zweifel beginnen, unablässig an der Seele zu nagen. In solchen Zeiten habe ich auf die harte Tour lernen müssen, dass mein Selbstwert von Gott definiert wird und nicht vom Beifall meiner Zuhörer oder den Verkaufszahlen meiner CDs.
Enorm geholfen hat mir dabei, bewusst daran festzuhalten, von Gott berufen zu sein. Mir die konkreten Worte in regelmäßigen Abständen wieder und wieder in Erinnerung zu rufen, die Gott durch andere Christen in mein Leben hineingesprochen hat. Oft erschienen sie mir am Anfang zwei oder drei Nummern zu groß, aber im Laufe der Jahre habe ich viele nachprüfbare Details Wirklichkeit werden sehen.
Dass Gott meinen Weg vorgezeichnet hat, ist mir auch an der großen Schwelle besonders bewusst geworden, als die ich meinen vierzigsten Geburtstag sehe. Seit meiner Bekehrung … habe ich kein Jahr erlebt, in dem Gott so deutlich und unmissverständlich zu mir gesprochen hat wie in dem Jahr vor meinem Vierzigsten. Und das auf ganz vielfältige Art und Weise. Da war diese zunehmende innere Unruhe, dass größere Veränderungen anstehen. Dazu einige konkrete Umbruchssituationen in meinem privaten Umfeld. Und parallel kam innerhalb von acht Monaten eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Menschen auf mich zu, die mir prophetische Worte auf den Kopf zugesagt haben. Manche aus Deutschland, andere aus dem Ausland; einige, die mich kannten, und andere, die ich noch nie im Leben persönlich getroffen hatte.
Was sich wie ein roter Faden durch alle diese Worte hindurchzog, war die Aussage, zur Ruhe zu kommen und auch mein Arbeitsaufkommen zu reduzieren, um Raum für meine Berufung zu schaffen. Einige berufliche Aktivitäten zu unterlassen oder erheblich einzuschränken, die zwar gut und richtig erscheinen, aber den Fokus wegnehmen von dem, was Gott für mich vorgesehen hat …
Der neue Weg erfordert momentan einige ganz konkrete Glaubensschritte. Eine der Konsequenzen wird sein, meine Arbeit in der Plattenfirma erheblich zu reduzieren, um Zeitressourcen freizusetzen und damit auch die Sicherheit einer vollen Anstellung aufzugeben, obwohl wir gerade als Familie ein Haus gebaut haben. Auch kann ich als Musiker – menschlich gesprochen – nicht zwingend davon ausgehen, dass meine Kompositionen und Konzerte in einigen Jahren immer noch so gefragt sein werden wie heute.
Aber wenn ich ehrlich zu mir selber bin, dann gibt es im Leben sowieso keine Sicherheiten, die nicht erschüttert werden können. Und wenn Gott so deutlich einen Auftrag gibt, dann ist es grob fahrlässig, nicht auf ihn zu hören und stattdessen auf die scheinbare ,Nummer sicher‘ zu gehen. Ich bin Jesus sehr dankbar, dass er so massiv und wiederholt angeklopft und um meine Aufmerksamkeit geworben hat. Das macht es mir jetzt in der Zeit des Übergangs leichter, nicht den alten Sicherheiten nachzutrauern, sondern aus der Perspektive des Glaubens zu leben.
Jeder, der mich besser kennt, weiß, dass ich zu einer Mischung aus Perfektionismus und Workaholismus neige und meine Finger unermüdlich Monat für Monat in mehreren Projekten gleichzeitig habe. Auch, dass ich meine Arbeit liebe und in ihr aufgehe. Das mag eine gewisse Stärke von mir sein, aber es kann zuweilen auch den Blick auf das Wesentliche verbauen. Und umso deutlicher nehme ich in dieser Lebensphase den Anspruch Gottes an mich wahr, nicht selbst ‚Macher‘ zu sein, sondern ihn ‚machen zu lassen‘ und noch viel stärker als bisher aus der Abhängigkeit von ihm zu leben.
Xavier Naidoo hat uns während der Fußball-WM 2006 ins Herz gesungen: ‚Dieser Weg wird kein leichter sein; dieser Weg ist steinig und schwer.‘ Das ist aber nur die eine Seite. ‚Wenn Gott für uns ist, wer kann gegen uns sein … nichts Gegenwärtiges und auch nichts Zukünftiges!‘ (Römer 8,31 – 39). Und darum freue ich mich auf die neuen Herausforderungen des nächsten Lebensjahrzehntes. Denn das Leben aus der Abhängigkeit von Gott birgt erhebliches Wunderpotenzial in sich. Langweilig wird es da auch ab Vierzig nicht!“ 12
Ich ahnte nicht, dass mein Leben im nächsten Jahrzehnt auf den Kopf gestellt werden würde. Sieben Jahre nachdem ich geschrieben hatte, dass es keine Sicherheiten gäbe, die nicht erschüttert werden können, sah ich mich im September 2014 aus heiterem Himmel mit dem schmerzhaftesten Einschnitt unseres bisherigen Lebens konfrontiert. Bei einem Autounfall verloren wir unsere zehnjährige Tochter Sara. Nach der Kollision mit einem Taxi war unsere Kleine wahrscheinlich sofort tot, auch wenn wir mit ihr noch zehn Tage und Nächte zwischen Beten und Bangen, Festhalten und Loslassen auf der Intensivstation verbrachten.
Ich hatte geschrieben, dass das Leben aus der Abhängigkeit von Gott erhebliches Wunderpotenzial in sich berge. Und nun sah ich mich mit der niederschmetternden Situation konfrontiert, dass Tausende von Menschen mit uns um ein Wunder gebetet hatten, dieses Wunder aber ausgeblieben war.
Ich bin überzeugt: Es kann keine tragfähige Theologie geben ohne Einbezug der eigenen Lebensgeschichte! Innerhalb weniger Millisekunden wurde das Leben meiner gesamten Familie in seinen Grundfesten erschüttert. Ich war das Auto gefahren. Am helllichten Tag. Nur wenige Kilometer vom Ziel entfernt. Nicht alkoholisiert. Nicht übermüdet. Nicht mit überhöhter Geschwindigkeit, sondern beinahe im Schritttempo auf die Vorfahrtstraße abbiegend. Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit mit verheerenden Folgen. So abgrundtief sinnlos.
„Wenn auch tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen … Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird sich deinem Hause nahen. Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest“ (Luther).
Stand es nicht so in Psalm 91? Derselbe Gott, der uns verspricht, dass uns nichts Böses zustoßen wird, hatte dennoch nicht verhindert, dass wir mit dem Taxi zusammenstießen. Es gab also zumindest für uns keinen versprochenen Schutzautomatismus, der uns vor Schlimmerem bewahrte. Im Gegenteil: Uns war das Schlimmste zugestoßen, was sich Eltern überhaupt vorstellen können. Meine Familie war auf die Urgewalt des Schmerzes nicht vorbereitet, der von einem Tag auf den anderen über unser Leben hereinbrach und seitdem seinen festen Platz einfordert – wenn auch in sich verändernder Intensität. Es ist sicherlich nicht übertrieben zu behaupten, dass Saras Tod alles auf den Prüfstand stellte. Auch wenn Anja und ich von der ersten Sekunde an die innere Gewissheit in uns trugen, dass sie an dem Ort, an dem sie jetzt war, gut aufgehoben ist.
Aber unser Beruf, unsere Prioritäten, unser Zusammenleben, unser Gottesbild und die zugehörigen Leitsätze, die wir uns für unser Leben zu eigen gemacht hatten, mussten erst einmal unter Beweis stellen, dass sie im Angesicht der Trauer nicht zerbröseln wie Sand im Wind. Schnell wurde mir klar, dass es meiner Art entspricht, diesen Prozess in Liedern und Texten öffentlich zu machen.
Das Erlebte hat tiefe Spuren hinterlassen. Wir hatten 2017 Silberhochzeit, haben sie aber nicht gefeiert. Zu tief saß auch knapp drei Jahre danach noch immer der Schmerz des Verlustes. Zu spürbar war die Zerbrechlichkeit des Lebens, die auch vor unserer Ehe nicht