Sie sah Claus an. Sein Blick wurde etwas unsicher, die Augen wanderten fort, hinüber zur Kirche.
»Ist… ist er es…?« fragte er und deutete mit dem Kopf zum Gottesthaus.
»Um Himmels willen!« rief sie empört. »Was denkst du denn von mir? Und erst recht von Pfarrer Trenker? Hochwürden ist der redlichste Mann, den man sich nur denken kann. Niemals würde er sich auf so etwas einlassen, was du dir in deiner Phantasie ausmalst!«
Daniela ärgerte sich maßlos über diesen Verdacht und brachte es auch deutlich zum Ausdruck. Claus Rendel merkte, daß er übers Ziel hinausgeschossen war. Er beeilte sich, eine Entschuldigung zu murmeln.
»Es ist doch nur…, weil ich dich so lieb hab«, sagte er mit belegter Stimme. »Und weil du… und er…, weil ihr doch immer soviel zusammen seid… Außerdem – ich kenn’ ja nur den Nachnamen von ihm. Ich weiß ja net, ob der Pfarrer Andreas heißt…«
»Um so mehr solltest’ auf deine Worte achten!«
Ihre Augen blitzten immer noch zornig.
»Ja«, antwortete sie, »Pfarrer Trenker und ich haben schon viele gemeinsame, schöne Stunden verbracht. Aber da gibt’s nix, wofür ich mich schämen müßt’. Er hat mir die Schönheiten dieser Gegend nah gebracht, und ich hab’ die Einladungen ins Parrhaus immer genossen. Aber ich weiß gar net, warum ich dir darüber Rechenschaft ablegen soll. Es geht dich nix an!
Was ich dir eigentlich sagen wollte, war, daß ich vielleicht morgen abend den Mann, von dem ich vorhin sprach, wiedersehen werd’. Ich wollt’ dich net unvorbereitet mit dieser Situation konfrontieren, nur deshalb hab’ ich überhaupt davon angefangen.«
Claus machte ein bedrücktes Gesicht. Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest.
»Aber…, aber warum denn? Ich hab’ gedacht, daß wir zwei…, wir gehören doch zusammen. Hast’ denn den schönen Abend vergessen, an dem wir uns nahegekommen sind? Ich net. Immer wieder muß ich daran denken. Und als wir dann später auch oft ausgegangen sind, da stand für mich eigentlich fest, daß wir ein Paar sind.«
Danielas Miene drückte Bedauern aus.
»Claus«, sagte sie mit sanfter Stimme, »hast denn gar net bemerkt, daß ich net so denk? Wenn man einen Menschen liebt, dann ist’s doch ganz natürlich, daß man sich küßt und zärtlich miteinander ist. Seit jenem Abend – hab’ ich dir da einmal erlaubt, mich zu küssen? Du mußt doch gespürt haben, daß ich deine Gefühle net erwid’re. Man kann doch auch miteinander befreundet sein und zusammen ausgeh’n, ohne daß es eine Bedeutung haben muß.«
»Schon«, gab er zu. »Aber ich hab’s halt net wahrhaben woll’n. Ich hab’ gedacht, mit der Zeit
wird’s schon werden.«
Er sah sie forschend an.
»Und du bist ganz sicher, daß dieser Andreas dich immer noch liebt?«
»Ich glaub’, es zu wissen«, gab sie offen zu. »Der morgige Abend wird’s zeigen.«
Claus Rendel atmete erleichtert auf.
»Dann geb’ ich die Hoffnung noch net auf«, sagte er.
»Vielleicht wendet sich ja doch noch alles zum Guten.«
Daniela sah ihn schweigend an. In seinem Eifer konnte er ihr nur leid tun.
*
Am Wochenende mußte man zwar auch früh aufstehen, doch wurden nur die dringendsten Arbeiten erledigt. Auch wenn Andreas Waldner der Meinung war, auf einem Bauernhof gäbe es immer etwas zu tun. Trotzdem ging es gemütlicher zu. Nachdem die Tiere versorgt und die Ställe gesäubert waren, ließ man sich zum Frühstück nieder. Es dauerte länger und war in der Regel üppiger, als an den anderen Tagen. Man saß zusammen, aß und plauderte, und oft kamen Dinge zur Sprache, für die sonst keine Zeit war.
Resl Jakobs hatte mit Genugtuung festgestellt, daß der junge Bauer wieder mit gutem Appetit an den Mahlzeiten teilnahm. Sie hatte es vermieden, ihn noch einmal auf Daniela anzusprechen, und auch Andreas erwähnte die junge Frau mit keinem Wort. Es schien, als habe er seit jenem Nachmittag, an dem er Daniela mit dem anderen Mann gesehen hatte, für sich beschlossen, daß es keinen Zweck hatte, weiter darüber nachzugrübeln, warum es für sie keine gemeinsame Zukunft geben konnte. Die Tatsache, daß die Lehrerin ganz offensichtlich gebunden war, hatte jede Hoffnung darauf im Keim erstickt. Andreas Waldner war sich darüber klargeworden, daß er sein Leben anders einrichten mußte, ohne die Frau, der seine Liebe immer noch galt.
Auch wenn es für ihn schmerzhaft war – das Leben mußte weitergehen. Diese Erkenntnis hatte er gewonnen. Deshalb reagierte er auch ganz anders, als Resl ihn fragte, ob er nicht wieder einmal auf den Tanzabend gehen wollte.
»Warum eigentlich net?« nickte er. »Ich war schon lang’ net mehr dabei.«
Jetzt wagte die Magd es doch, Daniela zu erwähnen.
»Und…, was ist, wenn ›sie‹ auch da ist…?«
Der Bauer zuckte die Schulter.
»Ich werd’s überleben«, meinte er. »Wenn’s wirklich so kommt, kann ich ja immer noch geh’n. Ewig wird sie ja net in Sankt Johann bleiben. Und Samstage
wird’s noch oft geben.«
Insgeheim bewunderte Resl diese Einstellung, aber sie fragte sich auch, ob Andreas sich vielleicht inzwischen damit abgefunden hatte, daß Daniela für ihn für immer verloren war.
Hatte er eingesehen, daß es keinen Sinn hatte, jemanden zu lieben, der nicht mehr frei war? War seine Liebe über diese Erkenntnis verloschen?
Die Magd wagte nicht, weiter auf dieses Thema einzugehen. Möglicherweise, argwöhnte sie, könnte Andreas seine Meinung doch noch ändern und nicht zum Tanzen gehen, wenn sie zu sehr bohrte, und das wollte sie auf keinen Fall.
Schließlich wußte sie ja mehr als er…
Der junge Bauer trank seinen Kaffee aus und stand auf.
»Ich schau’ noch mal nach den Kühen«, sagte er. »Die beiden Neuen gefallen mir net. Ich muß mal feststellen, ob’s mir da net ein paar Kranke untergeschoben haben.«
Vor einer guten Woche hatte Andreas auf einer Viehauktion zwei neue Milchkühe ersteigert. Der angebliche Ertrag war bisher ausgeblieben. Er ging hinaus auf die Weide, hinter dem Hof. Der Großteil der Herde stand weiter oben, auf einem Almabschnitt, der zum Waldnerhof gehörte. Bis zum Spätherbst blieben sie in der Obhut eines Senners. Erst wenn die Zeit des Almabtriebs begann, wurden sie wieder heruntergebracht.
Die neuen Tiere hielten sich abseits der anderen. Andreas kletterte über den Zaun und stapfte zu ihnen hinüber. Es war noch früher Morgen – für seine Verhältnisse allerdings schon recht spät –, die Sonne war vor drei Stunden aufgegangen, und es versprach wieder ein heißer Sommertag zu werden.
Der junge Bauer konnte nichts Auffälliges an den Kühen feststellen. Er beschloß, die Tierärztin zu Rate zu ziehen, wenn sich an dem Milchertrag in absehbarer Zeit nichts ändern sollte.
Anschließend hockte er sich auf einen alten, umgedrehten Kübel, der am Rand der Weide lag, und schaute vor sich hin.
In den letzten Tagen hatte er ununterbrochen an Daniela gedacht, und tatsächlich war in ihm die Erkenntnis gereift, daß er sich damit abfinden mußte, sie für immer verloren zu haben. Eine schmerzliche Erkenntnis, aber leider nicht zu ändern, und immer noch besser, als weiter in Ungewißheit zu leben.
Vielleicht hätt’ ich doch über meinen Schatten springen, und zu ihr fahren sollen, dachte er, während seine Finger mit einem Grashalm spielten. Gewiß – als damals die Beziehung auseinander zu brechen drohte, da hatte er wegen des Hofes keine Zeit, sich darum zu kümmern, aber im Winter – da wär’s schon gegangen.
Andreas stand auf und ging langsam zum Haus zurück.