Es stimmte vielleicht nicht ganz – aber schließlich hatte Ria Stubler sie ja für das Abendessen eingeplant.
»Schad«, klang es enttäuscht aus dem Hörer. »Aber bei morgen früh bleibt es doch, oder?«
»Natürlich, Claus, hol’ mich gegen Zehn ab.«
»Das mach’ ich. Bleib mir treu, bis dahin!«
Immer noch mißgestimmt, legte sie auf, ohne etwas darauf zu erwidern. Die Hartnäckigkeit, die Claus Rendel an den Tag legte, ging ihr allmählich auf die Nerven.
Danielas Stimmung entging Ria Stubler natürlich nicht, als die beiden Frauen beim Abendessen saßen.
»Was soll ich bloß tun?« fragte die Lehrerin beinahe verzweifelt.
Die Pensionswirtin wußte auch keinen Rat. Vielleicht, überlegte Daniela, konnte tatsächlich Pfarrer Trenkers Vorschlag, ihn, zusammen mit Claus, in der Kirche zu besuchen, sie weiterbringen. Wenn der Geistliche mit ihm sprach, mußte er doch endlich ein Einsehen haben!
*
Es waren noch fünfzehn Minuten, bis zur vollen Stunde, als der Lehrer vor dem Haus hielt. Daniela erkannte seinen Wagen und schaute auf die Uhr.
Das hätte sie sich ja denken können, daß Claus die Zeit nicht mehr würde abwarten können!
Sie seufzte schwer und zog eine leichte Jacke über das ärmellose Top. Dann schlüpfte sie in die leichten Schuhe und winkte Ria zu, die eben den Kopf aus der Gästeküche streckte.
»Ich drück’ dir die Daumen«, rief die Zimmerwirtin ihr noch zu.
»Danke«, lächelte die Lehrerin und ging hinaus.
Claus Rendel war eben im Begriff die Stufen zur Haustür hinaufzuspringen.
»Da bin ich«, rief er übermütig.
Sie ließ seine Umarmung über sich ergehen, selbst den Begrüßungskuß auf die Wange.
»Also, ich bin bereit«, strahlte er. »Wohin soll’s geh’n?«
Sie wehrte seinen Arm ab, als er sie unterhakten wollte und gab sich dabei Mühe, nicht so mürrisch zu gucken, wie sie eigentlich war.
»Ich denk’, wir machen erst einmal einen Bummel durch das Dorf«, meinte sie. »Nachher können wir uns auch noch die Kirche anschau’n. Die ist wirklich sehenswert.«
»Prima«, freute er sich. »Und zum Mittag geh’n wir ins Wirtshaus da drüben. Ich hab’ schon dort gegessen. Es schmeckt hervorragend.«
Daniela hatte bereits damit gerechnet, daß diese Einladung kommen würde und Ria gesagt, daß sie zum Mittagessen nicht da wäre.
Sie schlenderten die Straße hinunter.
»Vielleicht hast’ dich ja auch schon ein bisserl umgeseh’n«, sagte sie. »Sankt Johann ist ein schönes, altes Dorf, in dem man die Tradition bewahrt. Auf alles Moderne wird hier net so viel Wert gelegt.«
Das stimmte. Zwar gab es auch Neubauten, besonders im Ortskern, wie den Supermarkt, die Bankfiliale und ein paar weitere Geschäfte, doch im Großen und Ganzen hatten die Bewohner darauf geachtet, daß alte Häuser saniert und nicht abgerissen wurden.
Das war das Verdienst Pfarrer Trenkers, der unermüdlich war in seinen Bemühungen, das Schöne für sein Dorf zu bewahren. St. Johann war zwar ein Fremdenverkehrsort, der jedes Jahr von unzähligen Touristen besucht wurde, aber eine ausgebaute Skipiste, einen Sessellift, oder gar eine Diskothek suchte man vergebens. Die Menschen, die hierher kamen, suchten in erster Linie Ruhe und Erholung.
Natürlich war die Meinung darüber gespalten. Besonders die Geschäftsleute hätten es gerne gesehen, daß der Ort weiter ausgebaut würde, um noch mehr Menschen anzulocken, und vor allem Markus Bruckner, der Bürgermeister von St. Johann, versuchte immer wieder Projekte dahingehend anzukurbeln. Bisher war er jedoch stets am Widerstand des Bergpfarrers, der eine breite Mehrheit für seine Ansichten über eine ökologisch gesunde Umwelt hinter sich wußte, gescheitert. Sebastian war es gelungen, seine Schäfchen davon zu überzeugen, welche gewaltige Umwälzungen eine Modernisierung St. Johanns mit sich gebracht hätte. Eine neue Infrastruktur hätte geschaffen werden müssen, die die ganze Landschaft verändert und auch den Lebensraum seltener und bedrohter Tierarten in Mitleidenschaft gezogen haben würde.
Ganz zu schweigen von den immensen Kosten!
Daniela und Claus hatten ihren Rundgang beendet. Die Lehrerin kannte sich hier aus, als wäre das Dorf ihre Heirat, und der Kollege meinte nun zu wissen, warum es sie immer wieder hierher zog.
»Sag’ mal, wer ist eigentlich dieser Mann, mit dem du gestern die Bergtour gemacht hast?« fragte ihr Begleiter.
Unverkennbar lag Eifersucht in dieser Frage.
Sie schmunzelte.
»Wart’s ab. Wir treffen ihn gleich in der Kirche.«
»In der Kirche?« meinte er ungläubig. »Wieso in der Kirche?«
»Er arbeitet dort«, gab Daniela zurück und blieb am Straßenrand stehen.
Claus Rendel runzelte die Stirn.
»Na ja, der Pfarrer wird’s ja net sein«, überlegte er laut. »Ist’s etwa der Mesner?«
Die junge Frau schüttelte innerlich den Kopf.
Warum nur mußten Männer immer so kompliziert denken? Aus welchem Grund konnte es nicht der Pfarrer sein, mit dem sie aufgestiegen war?
Weil ein Geistlicher keine Bergtouren unternahm? Oder weil Claus in seiner Eifersucht mehr dahinter vermutete, als einen harmlosen Ausflug.
Dann hatte er natürlich recht, mit seiner albernen Ansicht.
»Schaut das net schön aus?« fragte sie, ohne weiter darauf einzugehen, was er laut überlegt hatte.
Sie standen auf der Straße. Vor ihnen führte der Kiesweg zur Kirche hinauf.
»Wirklich sehr schön«, antwortete Claus Rendel. »Allerdings – was soll so besonders daran sein? Kirchen schau’n doch überall gleich aus.«
»Diese aber net!« erwiderte sie ärgerlich.
Er folgte ihr den Weg hinauf. Als er dann im Vorraum stand, mußte er ganz unwillkürlich schlucken.
»Also, das hab’ ich wirklich net erwartet«, gab er zu, als er die Pracht in Rot, Gold und Blau sah.
»Ich hab’s ja gesagt«, antwortete sie triumphierend und zog ihn mit sich.
Bewundernd folgte er ihr. Daniela zeigte und erklärte ihm, was für sie Sebastian schon vor ein paar Jahren getan hatte, als sie zum ersten Mal hier war. Sie freute sich, als sie bemerkte, daß Claus wirklich beeindruckt war.
»Hier, das sind Themen aus dem Alten Testament«, sagte sie und deutete auf eines der Fensterbilder, das zeigte, wie der kleine David gegen den Riesen Goliath kämpfte.
Auf einem anderen war zu sehen, wie das Auserwählte Volk vor den Mauern Jerichos stand, bis diese durch den Klang der himmlischen Posaunen einstürzten.
Andere Fenster zeigten Abbildungen Heiliger. Das Kreuz über dem Altar war eine besonders kostbare Arbeit. Dann gab es das berühmte Gemälde ›Gethsemane‹, und die wertvolle Madonnenstatue, die einmal Opfer eines Kirchenraubes war. Gottlob waren die Diebe gefangen und das Werk eines unbekannten Holzschnitters unversehrt zurückgegeben worden.
Schließlich zeigte Daniela ihm die Grabplatte des Landesfürsten, der vor langer Zeit hinter dem Altar seine letzte Ruhestätte gefunden hatte.
»Also, ich nehm’ alles zurück«, sagte Claus. »Diese Kirche ist wirklich was Besond’res!«
Die Lehrerin lächelte zufrieden. Ihr Kollege ging wieder nach vorne und blieb unter dem Kreuz stehen. Sein Blick hatte etwas Träumerisches an sich.
»Weißt’,