»So? Was ist’s denn?«
Erika Anstetter erzählte von ihren Beobachtungen, die sie gemacht hatte, seit Markus zu Besuch da war. Zuerst waren es scheinbar unwichtige Details, auf die sie aufmerksam wurde, die sich aber schließlich zu einem Bild verdichteten und Gewißheit wurden. Daß Vroni ihr am Abend dann ihre Liebe zu Markus gestand, war eigentlich nur noch das I-Tüpfelchen.
»Donnerwetter!«
Wolfgang Anstetter hatte sein Besteck aus der Hand gelegt. Das war wirklich eine Überraschung, mit der er nicht gerechnet hatte.
»Ich hätt’ nix dagegen, wenn die beiden sich gefunden hätten«, sagte er schließlich. »Die Vroni ist ein tüchtiges Madel, wie ich’s mir für den Tobias wünschen würd’. Aber ist’s wirklich was Ernstes, was es für den Markus empfindet oder nur eine vorübergehende Laune?«
»Das weiß ich eben net, und diese Ungewißheit ist’s, was mir Angst macht«, antwortete seine Frau. »Ich hab’ das Madel gebeten, dem Markus erst einmal nix von seinen Gefühlen zu sagen, in der Hoffnung, daß die Vroni sich noch besinnt.«
Sie führte all die Argumente an, die nach ihrer Meinung dagegensprachen, daß der Sohn und das Madel ein Paar wurden.
»Verhindern kann man’s natürlich net, aber vielleicht ein bissel beeinflussen.«
Wolfgang strich sich über das Kinn. Er gab seiner Frau in allem, was sie sagte, uneingeschränkt recht.
Schon früh hatten sie die Söhne und Vroni zur Selbständigkeit erzogen, sie selbst entscheiden lassen, und ihnen kaum in etwas hineingeredet – wenn es sich nicht um so etwas eminent Wichtiges, wie die Frage des Hoferben handelte – doch jetzt, so meinte der Bauer, war ein Gespräch zwischen Vater und Sohn angebracht.
»Ich red’ morgen mit dem Bub«, versprach er. »Vielleicht ist’s ja auch nur eine Schwärmerei von der Vroni. Du weißt ja, irgendwie hat sie den Markus schon immer ein bissel dem Tobias vorgezogen.«
Nachdenklich schnitt er sein belegtes Brot klein. Während er aß, ging ihm ein Gedanke durch den Kopf.
Wenn der Tobias und die Vroni – das wär’s doch! Etwas Besseres konnte doch überhaupt nicht passieren. Das Madel war die ideale Frau für den Erstgeborenen und würde eine prächtige Bäuerin abgeben.
Warum bloß war er nicht eher darauf gekommen?
*
Der junge Anstetter und Vroni Behringer gehörten zu den letzten, die den Saal verließen. Markus hatte in den letzten Stunden nur noch Mineralwasser getrunken und fühlte sich absolut in der Lage, mit dem Auto nach Hause zu fahren.
Sie hatten St. Johann bereits einige Kilometer hinter sich gelassen, als das Madel ihn bat, anzuhalten. Markus stutzte einen Moment, kam dann aber dem Wunsch nach. Er fuhr ein kleines Stück weiter, bis sie zu einer Stelle kamen, an der ein Seitenweg lag.
Vroni hatte den Sicherheitsgurt gelöst und stieg aus. Der Bauingenieur folgte stirnrunzelnd.
»Was ist denn?« fragte er schmunzelnd, als er sah, wie Vroni, mit ausgebreiteten Armen, über die Straße tänzelte.
»Nix«, antwortete sie. »Ich bin einfach nur glücklich und möcht’ noch net nach Haus’.«
Es war nicht richtig kalt geworden in der Nacht, obgleich es Vollmond war. Sie richtete ihren Blick zu dem sternenübersäten Himmel.
»Ich könnt’ die ganze Welt umarmen«, rief sie übermütig und ließ sich in seine Arme fallen.
Markus hielt sie fest, und sie schauten sich tief in die Augen. Vroni hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen, und ihr Mund erwartete seinen Kuß.
»Ich hab’ noch nie jemanden so geliebt wie dich«, gestand sie.
Dabei blickte sie ihn erwartungsvoll an. Markus war klar, was sie wollte. Bisher hatte er es vermieden, ihr zu sagen, daß er sie gleichfalls liebe. Er war auch nicht sicher, ob er es überhaupt tun dürfe. Jetzt, wo er wieder klar denken konnte, kamen ihm schon Zweifel, ob es richtig gewesen war, in dem Madel diese Sehnsüchte zu wecken. Mit einem Liebesgeständnis würde er sie nur noch mehr an sich binden, und das wollte er auf gar keinen Fall.
Für die Zeit seines Hierseins, war es gewiß eine willkommene Abwechslung. Aber daraus durfte nichts Ernsthaftes erwachsen!
»Du hast noch gar net gesagt, daß du mich auch liebst«, kam auch prompt der leise Vorwurf.
»Aber natürlich mag ich dich«, wich er aus. »Allerdings glaub’ ich, daß wir jetzt weiterfahren sollten. Es ist schon spät – beziehungsweise früh. In net einmal zwei Stunden klingelt der Wecker und die Viecher müssen gefüttert werden.«
Vroni ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. Im Grunde wußte sie ja, daß es richtig war, was er sagte. Zwar war es Sonntag, aber das war den Kühen egal. Sie verlangten ihr Futter und gemolken zu werden.
Sie stiegen wieder ein und fuhren weiter. Als sie auf dem Hof ankamen, sahen sie Licht im Kuhstall.
»Nanu«, wunderte sich Markus. »Ist der Tobias schon auf den Beinen?«
Sie betraten den Stall und sahen den älteren Bauernsohn in dem Verschlag, in den sie die trächtige Kuh gesperrt hatten. Noch vor der Tür hatten sie die Laute gehört, die das Tier ausstieß.
»Ist’s schon soweit?« fragte Markus.
Tobias nickte stumm. Er rieb die schweißnasse Kuh mit Stroh trocken. Das Tier zitterte am ganzen Körper, die Geburt schien jeden Moment beginnen zu wollen.
»Hast du die Frau Doktor angerufen?« wollte Vroni wissen.
Der junge Bauer sah nur kurz auf. Deutlich konnte sie denVorwurf in seinem Blick lesen.
»Natürlich«, antwortete er und wandte sich wieder der Kuh zu.
»Ich…, ich geh mich schnell umzieh’n«, rief Vroni und lief hinaus.
Die beiden Brüder waren alleine.
»Kann ich irgend’was machen?« fragte Markus.
Was machen? Am besten verschwindest’ wieder nach Brasilien, dachte Tobias. Aber er sagte es nicht. Statt dessen schüttelte er nur stumm den Kopf.
Draußen fuhr ein Auto auf den Hof.
»Das ist die Tierärztin«, sagte Tobias.
Wenig später betrat Dr. Elena Wiesinger den Stall.
»Grüßt euch, zusammen«, nickte sie ihnen zu. »Es hat ja auch ausgerechnet heut’ nacht passieren müssen, was?«
Sie stellte die Frage nicht ohne Humor. Bei ihrem Beruf war es nicht das erste Mal, daß sie aus dem Schlaf gerissen wurde, kaum daß sie sich hingelegt hatte. Natürlich war es hart, nach einem Abend, wie sie ihn im Löwen erlebt hatte, das gemütliche Bett zu verlassen, aber das hatte sie gewußt, als sie sich dafür entschied, einen gut bezahlten Posten in der Forschungsabteilung einer Münchner Tierklinik an den Nagel zu hängen und sich nach St. Jo-
hann zurückzuziehen, wo sie
die Praxis des alten Tierdok-
tors, Clemens Hardlinger, übernahm.
Hier fand sie nicht nur Befriedigung und Erfüllung im Beruf, sondern auch ihr privates Glück, an der Seite des sympathischen Landarztes Dr. Toni Wiesinger.
»So, ich übernehme«, sagte sie zu Tobias, nachdem sie Stiefel und Gummischürze angezogen hatte.
Sie kontrollierte die Temperatur der Kuh, horchte sie ab und tastete nach dem Kalb.
»Alles in Ordnung, meine Gute«, sprach sie beruhigend auf die werdende Mutter ein. »Das machst’ ganz prima.«
Sie wandte sich anTobias.
»Soweit ist alles klar. Ich denk’, in einer Stunde haben wir’s geschafft.«
Tobias