Er ließ ihre Hand los und begann zu laufen. Vroni setzte ihm nach. Kurz vor dem Ziel hatte sie ihn eingeholt. Markus griff nach ihr, wollte verhindern, daß sie an ihm vorbeilief, und zog sie an sich. Lachend sanken sie zu Boden und rollten ein gutes Stück wieder hinunter.
»Das gilt net«, schimpfte das Madel in gespielter Empörung. »Ich hab’ gewonnen!«
»Ich geb’s zu, das war net fair«, sagte Markus und zog sie sanft an sich. »Net bös’ sein.«
Das konnte Vroni auch nicht, selbst wenn sie es gewesen wäre, nach dem zärtlichen Kuß, mit dem er sich entschuldigte, vergab sie ihm.
Glücklich lehnte sie sich an ihn. Sie blickte auf den Anstetterhof, der unter ihnen lag, und schloß die Augen.
»Woran denkst du?« fragte Markus.
»Ach, an vieles«, antwortete sie und wandte ihm den Kopf zu. »Vor allem aber an uns beide.«
Der Bauingenieur lächelte.
»Allerdings wird mir auch ein bissel weh um’s Herz«, fuhr sie fort.
»Ich kann mir denken warum«, sagte Markus. »Mein Urlaub ist schon fast wieder zu Ende…«
Vroni strich sich eine Locke aus der Stirn. In ihrem Blick stand eine unausgesprochene Frage.
Was wird dann aus uns?
Markus Anstetter glaubte zu wissen, was sie beschäftigte. Und er fühlte sich nicht wohl, wenn er an das dachte, was sie von ihm hören wollte.
Vroni überlegte lange, bevor sie die entscheidende Frage stellte. Ihr Innerstes war aufgewühlt. Seit Tagen hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, und eine der möglichen Antworten fürchtete sie ganz besonders.
»Markus, wie wird’s mit uns weitergeh’n, wenn du wieder fort mußt?«
Er antwortete nicht gleich.
Was soll ich ihr sagen? Daß ich sie net mitnehmen kann?
Er strich ihr über das Haar. Eine zärtliche Geste, die sie gern hatte.
»Ehrlich gesagt, ich weiß es net, Vroni«, erwiderte er schließlich. »Noch net. Laß mir noch ein bissel Zeit. Es gibt so viele Dinge, die überlegt werden müssen.«
Auch wenn die Antwort sie enttäuschte, so zeigte sie es nicht. Indes hatte sie eine klare Entscheidung erwartet. Warum konnte er sich nicht erklären? Ein Wort nur von ihm und sie würde ihm bis an das Ende der Welt folgen!
»Schau’, es ist net so einfach, da drüben, in Brasilien«, fuhr er fort. »Ich hab’ dort eine verantwortungsvolle Aufgabe, und meine freie Zeit ist sehr beschnitten. Von früh bis spät bin ich auf der Baustelle. Ich weiß, du wünschst dir nichts mehr, als daß ich dich mitnehm’, aber ich weiß net, ob du solch einer plötzlichen Veränderung gewachsen bist. Dein Leben wär’ von heut’ auf morgen ein and’res. Und ich wär’ net da, um dir dabei zur Seite zu steh’n.«
Vroni schluckte schwer. Markus sah, wie es in ihr kämpfte, und in Gedanken schämte er sich.
Warum sag’ ich ihr net, daß in meinem anderen Leben kein Platz für eine Frau ist? Him-
mel, ich bin doch noch viel zu jung, um mich jetzt schon zu binden. Nach Brasilien geht’s nach Asien. Wer weiß, was dann kommt?
»Dann werd’ ich mich wohl damit abfinden müssen«, sagte Vroni leise.
Die Enttäuschung in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Der Zauber des Augenblicks war verschwunden, hatte plötzlicher Ernüchterung Platz gemacht. Das Madel schaute auf die Uhr.
»Wir müssen«, sagte Vroni Behringer nur und stand auf.
Markus folgte ihr in einigem Abstand. Er wußte, daß er einen Fehler gemacht hatte, aber er konnte nicht anders.
Gut, das Madel liebte ihn offensichtlich mehr, als er geahnt hatte. Aber für ihn war es doch nur eine schöne Abwechslung gewesen.
Wer hätte denn ahnen können, daß es sich soweit entwickelt?
Vroni war schon ein gutes Stück vor ihm. Er holte auf und nahm sie in seine Arme.
»Net traurig sein«, bat er. »Laß uns abwarten, was die Zukunft bringt. Ich werd’ net ewig im Ausland bleiben. Eines Tag’s komm’ ich zurück, und dann werden wir weitersehen.«
Die junge Frau nickte tapfer, auch wenn ihr zum Weinen zumute war. Sie erwiderte seinen Kuß und wollte nicht mehr an die Zukunft denken.
*
Tobias hatte die Kannen mit der Abendmilch an die Straße geschafft. Langsam ging er über den Hof. Vor einer Stunde waren Vroni und Markus von ihrem Spaziergang zurückgekehrt. Das Madel war in der Küche mit dem Abendessen beschäftigt, sein Bruder trat gerade aus dem Haus, als Tobias von der Straße zurückkam.
Ihre Blicke begegneten sich. Der Ältere holte tief Luft, das konnte endlich die Gelegenheit sein, auf die er seit Tagen wartete.
»Hast’ einen Moment Zeit?« fragte er.
Der Ingenieur nickte.
»Was gibt’s denn?«
»Ich muß dich sprechen. Es ist wichtig.«
Tobias sah sich um. Vroni war im Haus, seine Mutter ebenfalls. Der Vater hatte noch auf dem Feld zu tun.
»Aber net hier. Laß uns in die Scheune geh’n. Ich hab’ ohnehin noch zu tun.«
Markus folgte ihm. Natürlich fragte er sich, was der Bruder von ihm wollte.Viel hatten sie in der letzten Zeit nicht miteinander gesprochen, und jetzt verriet Tobias’ Miene, daß es sich nicht um ein freundschaftliches Gespräch zwischen zwei Brüdern handelte.
Tobias sah den Jüngeren schweigend an.
»Also«, fragte Markus, »was hast’ auf dem Herzen?«
»Ich will von dir wissen, wie ernst es dir mit der Vroni ist?« antwortete der Bruder.
Markus stutzte. Seine Beziehung zu dem Madel war bisher nie Thema zwischen ihm und Tobias gewesen. Warum fragte ausgerechnet er jetzt danach?
»Warum willst’ das wissen?« entgegnete er eher unwillig.
Tobias sagte nichts darauf, sah ihn nur an. Langsam dämmerte es Markus. Sein Bruder selbst hatte ein Interesse an dem Madel! Er schmunzelte.
»Brauchst net zu antworten«, sagte er. »Ich kann’s mir denken…«
Wenn er net aufhört zu grinsen, schlag’ ich’s ihm aus dem Gesicht, dachte Tobias zornig und ballte die Fäuste.
»Ja«, gab er zu, »ich liebe die Vroni. Lang’ schon, und bevor du zurückgekommen bist, hab’ ich ihr einen Antrag gemacht. Aber du… du hast alles kaputt gemacht!«
Markus Anstetter stemmte die Hände in die Hüfte. Jetzt war es wieder ganz so wie früher. Er hatte immer alles bekommen, was er wollte, und der Bruder hatte das Nachsehen.
Das Grinsen auf dem Gesicht des Bauingenieurs wurde breiter.
»Aber die Vroni liebt nun mal mich«, erwiderte er. »Und daran kannst’ nix ändern.«
Tobias mußte an sich halten, damit er sich nicht auf den anderen stürzte.
»Aber du liebst sie net!« sagte er scharf. »Geb’ doch zu, daß du nur mit ihr spielst, daß das Madel nix and’res für dich ist, als ein Zeitvertreib. Eine hübsche Abwechslung im Urlaub.«
Markus nickte.
»Das hast’ sehr gut erkannt, Bruderherz. Und weißt’ auch, was die Sache noch schöner macht? Daß ich jetzt weiß, daß du wieder einmal den kürzeren gezogen hast.«
»Ja, das hab’ ich«, entgegnete Tobias. »Wie so oft, gegen dich. Du hast