»Es gibt so vieles, was ich dir sagen muß«, raunte Robert an ihrem Ohr.
Franzi schüttelte den Kopf.
»Nix mußt’ mir sagen«, antwortete sie, »wenn’ mich nur festhältst!«
»Komm, laß uns ein wenig nach draußen geh’n«, bat er. »Es ist mir wichtig, daß du alles erfährst.«
Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, als sie vor die Tür traten. Robert hatte sie untergehakt und führte sie ein paar Schritte zur Seite.
»Was ich dir zu sagen hab’, ist meine Geschichte«, begann er und erzählte ihr alles, was ihm auf der Seele brannte.
Angefangen von seiner großen Liebe zu Melanie Wehmann, bis hin zu der Nacht, in der das Schicksal so grausam zuschlug.
Das Madel war erschüttert, aber auch erleichtert. Seine ablehnende Haltung hatte also nichts mit ihr zu tun gehabt, sondern mit dem Erlebnis in der Vergangenheit.
Darum auch die vage Antwort, auf ihre Fragen ob er gebunden sei. Ja und nein, hatte sie gelautet, und Franzi hatte sich darauf keinen Reim machen können. Jetzt verstand sie, was er gemeint
hatte.
Sie drückte sich eng an ihn, und ihre Lippen suchten seinen Mund.
»Ich hab’ dich sehr lieb, Franzi«, sagte Robert mit rauher Stimme. »Schon bei uns’rem ersten Zusammentreffen, als du mich da oben gefunden hast, da wurd’ mir klar, daß es keine zufällige Begegnung sein kann. Das Schicksal hat’s gewollt, und daß ich aus meiner Isolierung herauskomm’. Aber ich hab’ lang’ gebraucht, bis ich’s wirklich glauben wollt’.«
»Mir erging’s ja net anders«, antwortete sie. »Auch ich hab’ gleich gewußt, daß du der Mann bist, von dem ich immer geträumt hab’. Nur deshalb hab’ ich’s gewagt, dir meine Liebe zu gesteh’n.«
»Aber eigentlich verdanken wir’s Pfarrer Trenker, daß ich doch noch zur Besinnung gekommen bin.«
»Dann woll’n wir uns bei ihm ganz herzlich bedanken«, sagte Franzi und küßte ihn wieder.
Sie fröstelte leicht, und Robert meinte, sie sollten wieder hineingehen. Franzi folgte ihm, obwohl sie viel lieber hier draußen mit ihm geblieben wäre. Doch drinnen war es warm, und als sie wieder auf der Tanzfläche standen, da wurde es der schönste Abend ihres Lebens.
Bis weit nach Mitternacht tanzten und feierten sie. Als Robert sie dann zu ihrem Wagen brachte, setzte wieder starker Regen ein.
»Willst net im Dorf bleiben?« fragte er besorgt. »Es ist doch viel zu gefährlich, bei diesem Wetter über den Wirtschaftsweg zu fahren.«
»Keine Angst«, beruhigte sie ihn, »ich fahr’ zu meinen Eltern, in die Stadt zurück. Es reicht, wenn ich morgen früh zur Alm hinauffahr. Onkel Franz weiß Bescheid.«
Sie lächelte ihm zu. Robert beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuß.
»Fahr’ trotzdem vorsichtig«, bat er.
»Mach’ ich«, versprach Franzi und fuhr los.
Robert Feldmann sah ihr nach, bis die Rücklichter des Wagens nicht mehr zu sehen waren. Und in seinem Blick lag große Sorge.
Es regnete immer noch, jetzt viel stärker, als vorher.
*
Max fiel auf, daß Robert nachdenklich wirkte. Kaum noch beteiligte er sich am Gespräch. Der junge Dorfpolizist nutzte eine Pause der Musiker, um seinen Tischnachbarn darauf anzusprechen.
»Ich weiß net…, ich mach’ mir ein bissel Sorge um Franzi«, antwortete Robert. »Bei dem Wetter ist sie nach Haus’ gefahren. Ich hab’ so’n merkwürdiges Gefühl…«
Der Bruder des Bergpfarrers kannte die Geschichte um Melanie Wehmann. Er konnte den jungen Mann gut verstehen.
»Glaubst’, daß was passiert sein könnt’?«
Robert machte ein betretenes Gesicht.
»Wie weit ist’s von hier in die Kreisstadt?« wollte er wissen.
»Eine halbe Stund’ vielleicht, mit dem Auto.«
Er sah den Nachbarn forschend an.
»Du machst dir große Sorgen, was?«
Robert nickte. Max überlegte kurz.
»Komm«, sagte er, »wir fahren die Strecke ab. Wenn wir nix finden, dann liegt die Franzi inzwischen wohlbehalten in ihrem Bett.«
»Würdest’ das wirklich machen?«
»Klar doch«, nickte der Polizist und schlug ihm auf die Schulter. »Los geht’s.«
Max sagte Claudia, was er vorhatte. Dann liefen sie durch den Regen zum Revier hinüber. Dort stiegen sie in den Streifenwagen und fuhren los. Inzwischen hatte das Unwetter wieder eingesetzt. Der Regen war stärker geworden, und immer wieder erhellten Blitze die Berghänge, worauf rollender Donner erscholl.
Max fuhr, so schnell es die Wetterverhältnisse erlaubten. Kaum ein Wagen begegnete ihnen, erst als er auf die Kreisstraße einbog, wurde der Verkehr stärker.
Robert war froh über jeden Meter, den sie zurücklegten und sie nichts sahen, was auf ein Unglück deutete, das der Werbefachmann in seiner Vorstellung so deutlich gesehen hatte.
Zwischen Waldeck und Engelsbach, kurz vor dem Abzweig auf die Bundesstraße wurde die Ahnung dann doch schreckliche Gewißheit. Schon von weitem sahen sie Lichter, die quer zur Fahrbahn standen, eine Gestalt lief auf sie zu.
»Gott sei Dank«, rief der Mann, als der Polizeiwagen gehalten hatte. »Ein schwerer Unfall. Eine junge Frau ist von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Es muß dringend ein Arzt her.«
Robert Feldmann riß die Tür auf und stürmte zu dem Autowrack. Entsetzt schlug er die Hände zusammen. Franzi lag immer noch hinter dem Lenkrad. Sie hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht.
Max hatte bereits den Notarzt verständigt. Jetzt rief er im Pfarrhaus an. So, wie Robert aussah, konnte er seelischen Beistand gebrauchen. Der Polizeibeamte zog ihn zur Seite und beugte sich in das Wageninnere. Er untersuchte die reglose Gestalt auf dem Fahrersitz und stellte erleichtert fest, daß Franzi immer noch atmete.
Wie schwer ihre Verletzungen waren, konnte allerdings nur ein Arzt feststellen.
Fast gleichzeitig mit dem Notarzt, traf Sebastian am Unfallort ein. Ulrich Bernhard war mit ihm gekommen. Das Ärzteehepaar und der Geistliche hatten im Pfarrhaus gesessen und den Abend in gemütlicher Runde ausklingen lassen.
Der Internist und der Notarzt kümmerten sich gemeinsam um die Verletzte, während Sebastian sich Roberts annahm.
»Ich hab’s gewußt«, rief der junge Mann immer wieder verzweifelt aus. »Ich hatte so eine Ahnung. Warum hab’ ich sie bloß net zurückgehalten?«
»Unsinn, Robert«, sagte Sebastian. »Sie trifft auch hier keine Schuld. Niemand hat diesen Unfall vorausahnen können.«
»Doch, Hochwürden, ich«, beharrte Robert. »Ich hätt’ sie zwingen müssen, im Dorf zu bleiben. Wissen S’, das wär’ meine Chance gewesen, meinen Fehler von damals wiedergutzumachen. Aber wieder hab’ ich falsch gehandelt, und nun verlier’ ich einen Menschen ein zweites Mal.«
»Noch steht gar net fest, wie schwer Franzi verletzt ist«, erwiderte der Geistliche. »Natürlich fahren wir alle mit ins Krankenhaus.«
Die Rettungssanitäter hatten das Madel inzwischen auf eine Trage gelegt und rollten sie in den Krankenwagen. Ulrich Bernhard hatte mit dem Kollegen gesprochen und kam jetzt herüber.
»Man kann noch nix sagen«, erklärte er. »Aber das muß kein schlechtes Zeichen sein. Auf jeden Fall begleite ich den Transport und kümmere mich um die junge Frau.«