„Muss ja nicht Stein gewesen sein“, meinte Damp. „Mit der Ekkehard ist nicht gerade gut Kirschen essen. Wenn ich mal bei der war wegen der Lautstärke der Kinolautsprecher, dann ging das nie ohne Streit ab.“
Das konnte Rieder nur bestätigen. Auch bei den Auseinandersetzungen mit Malte um das Holz des umgestürzten Baumes hatte Dora kein Blatt vor den Mund genommen.
„Bei den Frauen hörte es sich so an, dass Dora mit dem Besitzer des Grundstücks gestritten haben könnte, auf dem das Kino steht. Oder gehört das Land der Gemeinde?“
„Keine Ahnung.“
„Das könnte doch der Bürgermeister wissen?“
Damp nickte. „Sicher. Die ganzen Grundstückssachen gehen über seinen Tisch.“
„Bei Ihren neuen guten Beziehungen zu Durk könnten Sie doch mal nachfragen.“
Damp kratzte sich am Hinterkopf: „Wann?“
„Jetzt!“
„Muss das sein?“
„Dann haben wir vielleicht wenigstens eine erste Spur.“
Damp stöhnte. Schwerfällig erhob er sich und ging mit steifen Beinen zur Tür. Dort blieb er nochmal stehen. „Ich weiß nicht ...“
„Sie kriegen das schon hin. Durk will doch auch immer eingebunden sein.“
Aber Damp wollte nicht anecken, schon gar nicht beim Bürgermeister. Andererseits würde ein schneller Erfolg durch den Zeugenaufruf sie beide, Bürgermeister Durk und Revierleiter Damp, gut dastehen lassen.
Damp atmete kräftig aus, öffnete die Tür und marschierte zu Durks Büro.
Das Vorzimmer war leer. Wahrscheinlich war die Sekretärin, Lotti Stoll, beim Mittagessen. Damp klopfte kurz am Amtszimmer des Bürgermeisters.
Ein ärgerliches „Herein!“ kam von drinnen. Damp verließ beinahe der Mut. Doch eine innere Stimme trieb ihn vorwärts. Dynamisch drückte er die Klinke nach unten und trat ein. Durk hatte die Beine auf den Tisch gelegt. Damp war sich sicher, Durk gerade bei einem kleinen Nickerchen gestört zu haben.
„Wir haben mal eine Frage, Rieder und ich.“ Damp wollte nicht allein die Verantwortung für diesen Vorstoß tragen. „Wissen Sie, wem das Grundstück am Zeltkino gehört?“
Durks Augen nahmen Damp schärfer ins Visier. Er nahm die Beine vom Tisch und setzte sich gerade hinter seinen Schreibtisch. „Warum wollen Sie das wissen?“, fragte er mit einem leicht drohenden Unterton. Einschüchterung war das Arbeitsprinzip des Bürgermeisters.
„Wir haben vielleicht eine erste Spur.“
Der Bürgermeister drehte leicht den Kopf, ohne den Polizisten aus den Augen zu lassen. „Hat die Ekkehard etwas damit zu tun?“, fragte er listig.
„Na ja“, druckste Damp. „Es gibt Zeugen, die eine Auseinandersetzung von Frau Ekkehard mit einem Mann gehört haben wollen. Da ging es irgendwie um das Zeltkino und vielleicht auch um das Grundstück ...“
Durk rieb sich das Kinn. „Das sind ja eigentlich schon Interna aus der Inselverwaltung. Ich weiß nicht, ob ich die preisgeben kann. Es muss nicht jeder alles wissen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Damp verstand nicht wirklich. „Ich dachte, die Grundstückssachen gehen alle über Ihren Tisch.“
„Schon. Aber das sind heikle Angelegenheiten. Und nicht jeder Fremde“, Durk betonte das letzte Wort ganz besonders, „muss erfahren, was wer hier auf der Insel kauft. Oder?“
Jetzt verstand Damp. „Ja, aber ...“
„Also von Rechts wegen müssten Sie sich an das Grundbuchamt in Stralsund wenden.“ Durk lehnte sich zurück. „Aber wenn es um die Ekkehard geht, könnte ich eine Ausnahme machen.“ Er beugte sich vor und winkte Damp, näher heranzukommen. „Die nervt mich nämlich gewaltig“, erklärte er dem Polizisten mit verschwörerischer Stimme. „Um es kurz zu machen: Das Grundstück gehört eigentlich Peter Stein.“
Rieder fühlte sich wie gelähmt, nachdem ihm Damp Durks Information weitergegeben hatte. Sollte Dora Ekkehard mit dem Mord an Stein zu tun haben? Sollte sie seine Mörderin sein? Seine Nachbarin! Er ahnte, was auf ihn zukommen würde und wie ihn das belasten könnte. Das war der Nachteil an seinem Job auf der Insel. Hier kannte sich jeder, und man konnte sich auch nicht aus dem Weg gehen.
Damp spielte, scheinbar ungerührt, mit einem Bleistift. Rieder hatte sein Gesicht in die Handflächen gestützt. Er überlegte. Sollten sie Dora Ekkehard gleich mit den Aussagen der beiden Frauen konfrontieren? Damp schien dafür zu sein. Rieder war sich sicher, dass sein Kollege so schnell wie möglich den Fall vom Tisch haben wollte. Rieder dagegen wollte eher vorsichtig vorgehen und noch weitere Fakten sammeln.
„Dora Ekkehard läuft uns nicht weg. Vielleicht schauen wir erstmal in Steins Haus nach, ob es noch andere Spuren und Fakten gibt, die wir verfolgen können.“
Damp legte den Bleistift weg. „Sind Sie sich da sicher?“ Selbst wenn es nicht so aussah, auch Damp war hin- und hergerissen. Ein schneller Erfolg wäre nicht schlecht, aber sollten sie Dora Ekkehard zu Unrecht verdächtigen und das bekannt werden, würde er weiter im Ansehen der Hiddenseer sinken. Dora Ekkehard war eine Autorität für die Insulaner, auch wenn sie nicht ins Kino gingen. „Vielleicht haben Sie recht“, stimmte er seinem Kollegen zu. „Fahren wir erst mal zu Steins Haus.“
Damp parkte den Streifenwagen im Süderende am alten Stromhäuschen. Als er ausstieg, fiel sein Blick auf die merkwürdigen Wesen, die Jugendliche auf die Wände des Häuschens in grellen Farben gesprüht hatten. Bisher hatte er die Übeltäter noch nicht ermitteln können. Das ärgerte ihn gewaltig.
„Sehen Sie sich diese Schmiereien an. Wenn ich die erwische ...“
Rieder sah es gelassener. Er kannte Graffitis zur Genüge aus Berlin. Er fand diese Subkultur zwar nicht besonders gut, gerade wenn sie auch vor frisch sanierten Gebäuden nicht haltmachte. Bei leerstehenden Häusern und Ruinen in der Hauptstadt war es ihm aber immer egal gewesen. Hier auf Hiddensee erinnerten ihn die aufgesprühten Wandgemälde an sein früheres Leben und lösten manchmal sogar so etwas wie Heimweh in ihm aus.
„Damp, Sie können den Fortschritt nicht aufhalten. Nicht mal auf Hiddensee.“
„Ph, wo ist das Fortschritt? Das ist nichts anderes als pure Zerstörungswut. Wissen Sie, was das kostet, die Schweinerei wieder wegzumachen?“
Rieder winkte ab und ging zum Deichweg. Das Gras am Schutzdamm war am Vormittag gemäht worden. Aus der Wiese stieg ein intensiver Geruch nach frischem Heu auf. In den Heubergen leuchteten noch die Blüten der abgeschnittenen Wiesenblumen, bevor sie der sanfte Ostseewind vertrocknen ließ. Sie wirkten auf Rieder wie ein Abschiedsgruß des Sommers.
Steins Grundstück, genau an der Ecke, wo die Strandpromenade und der Deichweg am südlichen Ende Vittes aufeinandertrafen, wirkte eigentlich unbewohnt. Der alte Staketenzaun war ausgeblichen, einige Latten zerbrochen. Das Tor ließ sich nur schwer öffnen, weil dahinter das Gras hoch stand und sich kaum wegschieben ließ. Zur Eingangstür führte durch die Wiese ein schmaler Trampelpfad. Das Mauerwerk des Backsteingebäudes brauchte dringend eine Sanierung. An vielen Stellen zerbröselte der Mörtel in den Fugen oder war schon herabgefallen. Die weiße Farbe an den Fensterrahmen war nur noch zu erahnen. Schon bei seinem Besuch mit Behm auf dem Grundstück hatte sich Rieder über den Zustand des Gebäudes gewundert. „Nicht gerade Werbung für einen Bauunternehmer“, bemerkte er jetzt zu seinem Kollegen.
Er holte den Schlüssel hervor und steckte ihn ins Schloss der alten Holztür. Es klemmte. Nur mit Mühe bekamen Rieder und Damp die Tür auf. Welchen Gegensatz offenbarte dagegen das Innenleben des alten Strandhäuschens. Die Wände waren frisch weiß gespachtelt. Auf den dunkelrot gestrichenen Dielen lagen helle Läufer. Licht spendeten antike Lampen. Wie Rieder schnell feststellte, handelte es sich dabei um Originale aus den zwanziger oder dreißiger Jahren und nicht um billige Imitate aus dem Baumarkt. Rechterhand ging es in ein Wohnzimmer. An den Wänden