„Keine Ahnung. Ich kenne mich mit Bildern nicht aus“, antwortete Damp.
In der Mitte der Zimmers stand eine alte Ledercouch, davor ein kleines Rauchtischchen. Das einzig Moderne war ein Plasmafernseher.
Küche und Bad mussten erst vor kurzem stilecht saniert worden sein. Eine knarrende Holztreppe führte in den ersten Stock. Die kleine Gaube zur Deichseite ließ nur wenig Licht in den Flur. Die Wände waren bis auf das alte Balkenwerk entfernt worden. Links stand unter dem Fenster mit Blick in Richtung Bodden ein Doppelbett. Daneben ein alter Kleiderschrank. Auf den Stühlen lagen ein paar Sachen. Rieder blickte nach links. „Sehen Sie sich das an. Diese Aussicht!“ Von einem großen Fenster blickte man auf die offene See. „Genial!“, rief Rieder aus.
Damp war nicht so begeistert. „Na und. Auf die Ostsee kann man hier an jeder Ecke schauen. Sogar aus meinem Dachfenster in Neuendorf. Was ist da Besonderes dran?“ Es war das erste Mal, seit die beiden Polizisten das Revier auf Hiddensee teilten, dass Damp etwas über sein Zuhause erzählte. Sonst machte er ein großes Geheimnis daraus, wo und wie er in Neuendorf wohnte. Unter der Dachschräge waren die Regale mit Ordnern gefüllt. Rieder versuchte die Beschriftungen zu entziffern. Er las laut vor: „Laufende Projekte. Häuser Hiddensee. Ablage Inselbau. Bauausschuss. Sparkasse. Prora.“ Auf dem Schreibtisch stapelten sich Mappen. Meist standen Hiddenseer Adressen drauf. Wiesenweg 10. Norderende 23. Schabernack 4 und so weiter. Wahrscheinlich die laufenden Bauprojekte. Rieder klappte die Hefter auf. Drin fanden sich Bauzeichnungen, Bestellungen für Baumaterial, Notizen zum Bauverlauf und viele Rechnungen. Aber nirgendwo konnte er einen Hefter mit der Aufschrift „Zeltkino“ finden. Damp ließ sich in einen Sessel fallen. „Wo wollen wir anfangen?“
„Vielleicht finden wir hier Steins Handy.“ Rieder wählte noch einmal die Handynummer des Bauunternehmers. Es klingelte zwar im Hörer, aber nicht im Haus. „Fehlanzeige.“
Damp hatte mit trägem Blick Rieder zugeschaut. „Und nun? Wonach suchen wir jetzt?“
„Erstmal nach einer Verbindung zwischen Peter Stein und Dora Ekkehard. Mehr haben wir momentan nicht in der Hand.“
„Wir haben noch die Aussagen der beiden alten Schachteln“, entgegnete Damp.
„Glauben Sie wirklich, Dora Ekkehard hat den Stein erschlagen?“, fragte Rieder ungläubig seinen Kollegen.
„Warum nicht?“
„Ich für meinen Teil hoffe es nicht. Aber irgendetwas muss da sein. Vielleicht schauen Sie sich unten um. Wie gesagt, nicht schlecht wäre ein Adressbuch, ein Kalender oder so etwas. Ich schau mich mal weiter hier oben um und gehe die Unterlagen durch.“
Damp stieg die Treppen hinunter. Die Stufen ächzten unter seinem Gewicht. Dann hörte Rieder seinen Kollegen Schubladen aufziehen und wieder zuschieben.
Er selbst widmete sich Steins Schreibtisch und seinen Akten. Den Laptop würde er mit ins Revier nehmen und dort untersuchen. Linkerhand stand auf dem Schreibtisch eine Briefablage. Das Fach „Postausgang“ war leer. Aber im Posteingang hatten sich einige Briefe angesammelt. Rieder zog sie heraus. Lieferscheine für Baumaterial. Ein Vertrag über die Sanierung eines Reetdaches. Angebote von Baumärkten der Umgebung. Alles unverdächtig. Dann nahm er Hefter für Hefter aus dem Regal und blätterte sie durch. Meist ging es um abgeschlossene oder laufende Bauprojekte. Stein musste sehr ordentlich gewesen sein, denn er hatte von der Planung bis zur Übergabe immer alles genau dokumentiert. Rieder entdeckte auch, dass Stein offensichtlich mindestens ein Dutzend Häuser auf der Insel besessen hatte. Außerdem gehörten ihm zwei Läden und vier Restaurants, zum Teil mit Pensionsbetrieb. Bis auf die Pension „Luv & Lee“, die er Charlotte angeboten hatte, waren alle verpachtet. Bei einem Namen blieb Rieder hängen. Otto Bock. Überrascht entdeckte er, dass auch die Pension „Störtebeker“ seines Nachbarn Stein gehörte. Bock hatte sie ihm vor drei Jahren verkauft und dann wieder von Stein gepachtet. Dafür hatte Stein Bocks Schulden bei den Banken übernommen und eine Zwangsversteigerung abgewendet. Das musste doch bitter sein, dachte sich Rieder, sein Hab und Gut aus Not verkaufen zu müssen und dann für den neuen Besitzer dort weiter zu arbeiten. Das erklärte vielleicht auch, warum Otto Bock so wenig Rücksicht auf seine Mitmenschen nahm.
In einer Schublade des Schreibtischs fand er noch ein paar Ordner. Rieder zog sie heraus. Da sie nicht verstaubt waren und die Blätter nicht vergilbt, mussten sie auch von Stein in ständigem Gebrauch gewesen sein. Rieder las auf dem einen Aktenrücken: „Inselbau Rügen“. Rieder klappte den Aktendeckel auf. Obenauf war ein Kaufvertrag abgelegt. Ein gewisser Juri Nemzov hatte von Peter Stein am 1. September 1994 das Unternehmen gekauft, allerdings nicht sofort alles. Nach und nach hatte Stein seinen Anteil verringert. Zuletzt hielt er immerhin noch 25 Prozent an der „Inselbau Rügen“. Rieder hielt inne. Aber hatte Ulrike Stein nicht erzählt, ihr Mann habe alle Aktivitäten auf Rügen eingestellt? Die Unterlagen zeigten das Gegenteil. Es handelte sich um einen regen Schriftwechsel zwischen Nemzov und Stein über verschiedene Bauprojekte auf Rügen. Offenbar war die Firma „Inselbau Rügen“ unter anderem am Bau der neuen Strelasund-Querung beteiligt gewesen, der riesigen Brücke, die den alten Rügendamm ersetzt hatte und nun Stralsund mit Rügen verband. Damit musste Stein viel Geld verdient haben, dachte sich Rieder. Wie hätte er sonst die vielen Hauskäufe auf Hiddensee finanzieren können. Auf alle Fälle musste er mit diesem Nemzov reden und auch noch einmal mit Ulrike Stein. Hatte sie von den Aktivitäten ihres Ex-Mannes auf Rügen wirklich nichts gewusst?
Er nahm den zweiten Hefter. „Ostseetherme Norderende“ stand auf dem Aktenrücken. Was sollte das sein? Er klappte den Ordner auf. Das erste Blatt war ein Brief. Mit Schreibmaschine geschrieben. Datum vorgestern. Rieder las den Absender auf dem Briefkopf und riss die Augen auf. „Widerspruch“ stand in der Mitte des Blattes. Zweimal unterstrichen. „Hiermit lege ich Widerspruch gegen die Kündigung des Pachtvertrages für das Zeltkino auf dem Grundstück Norderende 150 ein. Ich werde rechtliche Schritte einleiten, um Ihre Kündigung unwirksam werden zu lassen. Außerdem werde ich den Gemeinderat und den Bürgermeister über Ihre Entscheidung informieren. Ich bin mir sicher, dass Sie dem öffentlichen Druck nicht standhalten werden.“ Unterschrift: „Dora Ekkehard“.
Rieder fiel vor Schreck fast der Hefter aus der Hand. In diesem Moment kam Damp die Treppe heraufgestürmt. In der Hand hielt er Fotos. Triumphierend reichte er sie Rieder.
„Was sagen wir dazu. Kennen wir nicht diese Dame?“
X
Damp und Rieder gingen auf dem Deich nur ein paar Meter zurück und bogen dann rechts in den Fahrweg ein, der zu den Ferienhäusern in die Dünenheide führte. Sie gehörten zumeist Berlinern. Viele hatten schon die Saison beendet und ihre Datschen winterfest gemacht. Die Fensterläden waren zugezogen, die Gartenmöbel verschwunden und die Briefkästen abgehängt.
Nur das erste Haus war noch bewohnt. Die Fenster im Erdgeschoss standen auf. Musik war zu hören. Ein Mann Mitte dreißig saß drinnen an einem Tisch und las Zeitung. Als Rieder und Damp das Grundstück betraten, sprang er sofort auf, kam nach draußen und ging den Polizisten entgegen.
„Die Polizei?“, fragte er überrascht. „Kommen Sie wegen des Toten am Strand?“
„Sie sind Herr Ehlers?“, fragte Rieder. Der Mann nickte. „Sebastian Ehlers.“
„Wir müssten noch mal mit Frau Seige und Herrn Kasan reden. Sind die beiden da?“, fragte Rieder.
„Sie schlafen noch. War spät gestern Nacht. Und dann die Aufregung. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht. Als sie uns dann erzählt haben, was passiert ist ... da konnten wir natürlich nicht gleich schlafen gehen. Auf den Schreck.“
„Würden Sie Frau Seige und Herrn Kasan bitte wecken?“, forderte Rieder den Mann auf. Die Polizisten folgten Sebastian Ehlers ins Haus. Er drehte sich noch einmal um und wirkte nun leicht verunsichert. „Birte und Markus schlafen oben.“
Dann stieg er die schmale Treppe hinauf. Rieder und Damp hörten das Knarren einer Tür, dann Stimmen.
„Also,