Ethnobombe. Michael Exner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Exner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783748209102
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gegangen. Sie sind lieber zu Hause bei ihren Familien und Freunden als hier. Komisch, nicht?“

      „Hm, weiß nicht, aber was mich mehr interessiert: du hast heute Morgen was vom radikalen Flügel der ‚Liga‘ erwähnt. Jeder schien zu wissen, was gemeint ist. Ich habe zwar schon von der ‚Liga‘ gehört, aber dass die inzwischen auch radikale Tendenzen zeigen, ist mir neu.“

      „Vielleicht solltest du ab und zu mal die Nase aus dem Labor stecken. Dann bekommst du auch was von den wichtigen Sachen mit. Hast du nicht mal von der Anschlagsserie auf die Samenbanken in Frankreich, Japan und Deutschland gehört?“

      Er schaute überrascht auf: “Klar, aber ich wusste nicht, dass die das waren. Bisher habe ich diese Leute einfach nur für verschrobene Spinner gehalten. Schon dieser theatralische Name: ‚Liga der Vernunft‘ Wahrscheinlich denkt man, das sei medienwirksam. Los, erkläre mal einer alten Laborratte, wie die ticken.“

      Sara saß wieder im Schneidersitz auf seinem Bett. Jetzt legte sie die Zeitschrift beiseite:

      „Da muss ich ein wenig ausholen: Die 'Liga der Vernunft', wie ihre Mitglieder sich nennen, ist die bekannteste Gruppe von einigen Dutzend, die sich einen gemeinsamen Feind auserkoren haben: die rapide wachsende Zahl der auf der Erde lebenden Menschen. Die meisten Probleme, die die Menschheit seit vielen Jahren haben, werden der Überbevölkerung zugeschrieben. Kennst du die Fakten??“

      „Ich weiß natürlich davon, aber nur flüchtig. Aber du scheinst dich ja da richtig auszukennen!“

      Jetzt war Sara in ihrem Element.

      „Viele Jahrtausende lang hat sich die Zahl der Menschen nur sehr langsam erhöht. Seit etwa 300 Jahren nimmt die Größe der Menschheit immer schneller zu, seit Anfang des 20 Jahrhunderts in atemberaubendem Tempo.

      Ein Phänomen machte jedoch Hoffnung: In Ländern, in denen die Bevölkerung vermehrt zu Wohlstand und Bildung kam, brach die Fertilisationsrate regelrecht zusammen. Das geschah als erstes in den Ländern der industriellen Revolution, besonders England und Deutschland, dann in ganz Westeuropa und den USA. Hier standen sich zwei Entwicklungen gegenüber. Zum einen die Verdopplung der Lebenserwartung durch die Neuerungen der modernen Medizin, praktische Ausrottung der großen Seuchen wie Pest, Typhus, Cholera und Pocken. Dazu kam die Senkung der Säuglingssterblichkeit.

      Zum anderen entfiel durch den aufkommenden Wohlstand die Notwendigkeit, durch viele Kinder die eigene Altersversorgung zu sichern. Die Einrichtung sozialer Netze verstärkte diese Entwicklung. Als Mitte des 20 Jahrhunderts noch die medizinischen Möglichkeiten der Schwangerschaftsverhütung bzw. der relativ risikolosen Abtreibung dazu kamen, sank die Geburtenrate unter das Erhaltungsniveau und liegt seit vielen Jahren bei 1,2 -1,4 Kindern pro Frau. Die Bevölkerung in den Industriestaaten begann zu schrumpfen, aber kein Problem, das ließ sich über gesteuerte Einwanderung alles ausgleichen.

      In den Ländern der Dritten Welt dagegen explodierten die Bevölkerungszahlen regelrecht. China, Indien, Pakistan, Südamerika, Afrika hatten Zuwachsraten, die jeden Rahmen zu sprengen drohten. Hier begannen aber bestimmte Maßnahmen zu greifen. China führte um 1980 die Ein-Kind-Politik ein, in Indien waren es massenweise Sterilisationen. In manchen Ländern waren es Selbstläufer nach dem Motto: Gebt ihnen einen bescheidenen Wohlstand, Zugang zu Medizin und Bildung, erklärt ihnen das mit den Blumen und den Bienen und die Geburtenrate sinkt von allein. Das funktionierte Anfang des 3. Jahrtausends so gut, dass Forscher das Ende des Bevölkerungszuwachses für 2050 bei etwa 9,5-10 Milliarden Menschen errechneten. Das Problem schien sich weitestgehend von allein zu lösen.

      Dann trat Anfang des 3. Jahrtausends mit der wachsenden Bevölkerung noch ein anderes Phänomen auf, die Wasserkriege. Zunächst ging es tatsächlich um den Zugang zu Wasser. In Gegenden, in denen Wasser knapp war, bauten die Länder am Oberlauf von Flüssen einfach Staudämme und schnitten die Staaten am Unterlauf damit vom lebensnotwendigen Nass ab. Das gab Geschrei, die UN griff ein und nach zähen Verhandlungen gab es irgendeinen Kompromiss.

      Nach und nach setzte sich der Gedanke durch, dass es schneller geht, wenn man die Sache selbst in die Hand nimmt. Söldnertruppen gab es seit Ende des kalten Krieges wie Sand am Meer, Waffen konnte man überall kaufen und um das Problem zu lösen, war es einfacher, eine Bombe am Staudamm zu platzieren als die UN anzurufen. Daraus entwickelten sich zunächst in Afrika, später auch in Südamerika und Asien regelrechte Flächenbrände kleinerer und größerer Konflikte. Längst ging es nicht mehr nur um Wasser, sondern um Ressourcen aller Art – Bodenschätze, Regenwald, Acker- und Weideland.

      Die politischen und militärischen Entwicklungen waren so unübersichtlich, dass es praktisch keine Möglichkeit gab, einzugreifen. Wann immer man meinte, einen Konflikt gelöst zu haben, flammte irgendwo ein neuer auf. Die Lage in den Entwicklungsländern nahm so dramatische Züge an, dass sich die internationale Staatengemeinschaft komplett aus den Krisengebieten zurückzog. Die großen und kleinen Hilfsorganisationen mussten flächendeckend abziehen. Die Bevölkerung verarmte in rasantem Tempo. Die bescheidenen Fortschritte, die man bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Ländern der 3. Welt verzeichnet hatte, wurden wieder zunichte gemacht. Man verfiel wieder in alte Muster.“

      „Und das hast du alles im Kopf?“

      „Darüber habe ich beim Politologie-Studium referiert, leider nutzt mir das hier nicht viel.“

      „Gut, weiter!“ Da Sibo war ganz Ohr.

      „Schon um die Jahrtausendwende gab es immer wieder Berichte von großen Gruppen von Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen, besonders aus Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten sowie den armen Ländern Südeuropas. Verallgemeinernd nannte man sie Boatpeople, weil sie meist mit abenteuerlichen, überladenen Booten übers Meer nach Europa kamen. Nordamerika hatte sowieso schon ein jahrzehntelanges Problem mit illegalen Einwanderern aus Lateinamerika.

      Was dann aber ab etwa 2014 einsetzte, wurde die moderne Völkerwanderung genannt. Millionen von völlig verzweifelten Menschen drängten auf allen nur erdenkbaren Wegen, vor allem über den Landweg in die Industriestaaten. Dazu kamen weitere Millionen, die sich die Situation zunutze machten, um in den reichen Ländern kriminelle Strukturen aufzubauen oder einfach die Asylgesetze für ihre persönliche Bereicherung auszunutzen. Die meisten Länder versuchten sich natürlich mit Händen und Füßen zu wehren, besonders in Europa konnten sich viele Staaten lange und ziemlich erfolgreich abschotten. Durch die schiere Zahl der Flüchtlinge wurden die nicht oder ungenügend gesicherten Grenzen jetzt einfach überrannt.

      Es kam, was kommen musste. Jetzt schossen Unmengen von Parteien und Organisationen aus dem Boden, die die Ängste der Bürger der reichen Länder nutzten, um ihr eigenen Ideologien zu verbreiten. Von der Verteidigung des Vaterlandes bis hin zum Kampf gegen Überfremdung und rassische Vermischung war alles zu hören - von biblischer Heimsuchung und Strafe Gottes bis hin zu Forderungen nach dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen.

      Bis hierher war das Ganze nur skurril und makaber, aber 2019 gab es dann eine neue Qualität. Innerhalb von 2 Tagen wurden in Europa und Asien 5 Samenbanken gesprengt.“

      „Das waren Menschen-Samenbanken, nicht wahr?“

      „Ja, man hatte bewusst Banken ausgesucht, in denen nur menschliches Sperma, Ei- und Stammzellen gelagert wurden. Institute, in denen tierisches und pflanzliches Erbmaterial lag, wollte man nicht antasten. Die Intention sei es, die göttliche Schöpfung zu erhalten und dazu gehören nun einmal auch Flora und Fauna.

      „Diese Banken zu sprengen war doch aber komplett sinnlos!“

      „Sei nicht albern, Alva, praktisch jede terroristische Aktion ist für sich gesehen sinnlos, außer der Tatsache, aufhorchen zu lassen und Angst zu verbreiten. Und das war der ‚Liga‘ gelungen, denn die hat sich in einem Bekennerschreiben verantwortlich erklärt. Die 'Liga der Vernunft' war vorher schon weltweit bekannt, aber bis dato gewaltfrei. Und hier hat sich der gewaltbereite Flügel der ‚Liga‘ gemeldet, von dem heute Morgen die Rede war.“

      „Welche Ziele verfolgen die?“

      „Die ‚Liga‘ hat wie viele andere Gruppierungen als Hauptgrund für die Probleme der Menschheit die Überbevölkerung postuliert. Das ist