Ethnobombe. Michael Exner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Exner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783748209102
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Infektionen gemeldet. Dann hat jeder hier seine Verpflichtungen und Zeitpläne. Und noch etwas: Wie wollen Sie – wie will Ihre verdammte Reederei der Öffentlichkeit erklären, dass da draußen die Leute zu Tausenden infiziert werden und jämmerlich sterben, während hier auf Ihrem Kahn zwanzig der besten Mikrobiologen in der Sonne liegen und sich am Hintern kratzen?“ Dann stellte Solejow diese Frage; „Infektion? Woher wollen Sie wissen, dass es eine Epidemie ist?“

      Da Sibo drehte sich einfach um und ging nach Achtern. Dort würden sie alle sitzen und zum hundertsten Mal alle Neuigkeiten durchkauen.

      Unterwegs fing ihn Sara ab: „Mann Alva, ziehst du ein Gesicht“ maulte sie. „Mach‘ mal ein bisschen Sonnenschein, wir haben gleich `ne Videokonferenz mit New York, die wollen uns im Krisenstab haben.“

      Er mochte Sara, sie ist klein, hübsch und quietschlebendig, leider aber auch anstrengend, weil mitunter aufdringlich und vorlaut. Aber sie ist auch die Assistentin von Prof. Elaine Mauters und damit gelegentlich ganz nützlich. Sie arbeiteten im selben Institut in Pittsburgh, kannten sich aber vor der Schiffsreise nur vom Sehen.

      Im Konferenzraum quatschten alle durcheinander. Es war laut, es stank nach Schweiß und Qualm. Da Sibo war wohl der Einzige, den das störte. Misstrauisch blickte er zum Klimaschacht. Die Anlage war an, aber offensichtlich hoffnungslos überlastet.

      Das Standbild auf dem Monitor wich einem freundlichen asiatischen Gesicht. Natürlich Caspian Shen, der Privatsekretär der UN-Chefin. Er begrüßte alle, stellte sich formvollendet vor und gab die bisher bekannten Fakten langatmig wieder. Da Sibos Aufmerksamkeitspegel sank rapide.

      `Warum macht er das? ` sinnierte er und gab sich der Vermutung hin, dass es noch neue und uninformierte Teilnehmer der Konferenz gab.

      „ …Da wir jetzt alle auf demselben Stand sind, können wir in die Diskussion eintreten. Vorher möchte ich Ihnen noch die angeschlossenen Standorte zeigen.“ Eine Weltkarte erschien mit einer Reihe von hervor gehobenen Punkten.

      „Mann“, staunte Sara „das sind mindestens 20, reife Leistung bei dem Chaos!“.

      Die Mikrofone waren wohl schon offen, so dass Shen sofort reagierte: „Tatsächlich sind es 22, und zwar weltweit. Wir hoffen, dass es in den nächsten Minuten noch mehr werden.“

      Ein müdes Gesicht erschien auf dem Schirm: „Anna Kampa“ stellte sie sich sinnloserweise vor. „Ich möchte Ihnen, bevor die Experten zu Worte kommen, das Ergebnis der heutigen Ratssitzung bekannt machen. Die Bildung dieses Krisenstabes ist das eine. Hier werden in einer möglichst großen, weltweiten Vereinigung von Instituten, Hilfsorganisationen usw. in erster Linie Daten gesammelt. Wir wollen überhaupt erst einmal begreifen, mit welcher Heimsuchung wir es zu tun haben und wie sie bekämpft werden kann. Es geht hier ausschließlich um den wissenschaftlichen Aspekt.

      Zum Zweiten: Die logistischen Probleme wie die Entsorgung der Toten, die Versorgung der übrig gebliebenen Bevölkerung, die Verhinderung bzw. Bekämpfung von Sekundärseuchen obliegt anderen Krisenstäben. Wir werden uns natürlich gegenseitig zuarbeiten.

      Die gesammelten wissenschaftlichen Daten werden zentral an das Kreuzfahrtschiff ‚Maaru‘ gesandt.

      Ich weiß nicht, ob ich es einen glücklichen Umstand nennen soll, aber zum Zeitpunkt des Seuchenausbruches fand auf dem Schiff eine internationale Konferenz zu einem aktuellen mikrobiologischen Thema statt. Das heißt, dort sind zurzeit ein großer Teil unserer besten Virologen und Epidemiologen an Bord.

      Das Schiff wird weiter in internationalen Gewässern kreuzen und nähert sich weder dem Festland noch irgendeiner Insel. Die „normalen“ Passagiere und ein großer Teil der Besatzung werden ausgeflogen. Es wird einiges an zusätzlicher Ausrüstung unter allen möglichen Vorsichtsmaßregeln an Bord geschafft werden, besonders um der Datenflut Herr zu werden. Vielleicht können wir später einige Techniker an Bord bringen, aber im Moment ist die Gefahr einer Infektion zu groß. Sie sind also erst einmal auf sich gestellt.“

      Da Sibo fühlte sich regelrecht betäubt. Irgendwie war alles, was in den letzten Tagen auf ihn eingeprasselt war, weit weg und sehr theoretisch. Jetzt betraf es ihn direkt. Er war Gefangener auf diesem Kahn. Zwar ein Luxusgefängnis, aber ein Gefängnis. Andere dachten ähnlich: „Können nicht wenigstens unsere Familien… Hier ist doch Platz genug!“ begehrte eine Frau auf.

      „Hast du nicht zugehört?“ kam sofort wütend zurück. Sekunden später brüllte der ganze Saal durcheinander. Prof. Mauters sprang auf einen Stuhl und breitete die Arme aus. Es dauerte noch mehrere Minuten, bis der Lärm verebbte. Mauters wollte etwas sagen, aber Kampa kam ihr zuvor.

      „Danke, Frau Professorin. Bevor Sie sich weiter echauffieren, meine Damen und Herren, sollten Sie sich in die Lage der Menschen versetzen, die nicht das Glück haben, auf einem Luxusdampfer in relativer Sicherheit das Ende der Krise abzuwarten.

      Und was die Frage nach Ihren Familien angeht – jeder von Ihnen hat natürlich die Möglichkeit, sich ausfliegen zu lassen, Ich würde Sie nur bitten, diese Entscheidung innerhalb der nächsten 24 Stunden zu treffen. Für die anderen wird es wohl eine sehr lange ‚Kreuzfahrt‘ werden.“ Kampa blickte scheinbar ruhig auf die Gruppe der etwa fünfzig Leute im Konferenzraum. Wer genau hinschaute, sah ihre Unterlippe zittern.

      „Heute werden wir nur noch einige zusammenfassende Gedanken von Dr. Graber und Dr. Li zu den neuesten Fakten und Daten hören, die uns gestern und heute erreichten. Ich bin gebeten worden, noch einmal eindringlich darauf hinzuweisen, dass die meisten der Erkenntnisse eher den Charakter der Spekulation haben. Man kann in diesem Stadium keinesfalls von fundierter wissenschaftlicher Arbeit sprechen. Aber Sie wissen ja: Außergewöhnliche Situationen erfordern… “ Es war Kampa sichtlich peinlich, zu einem solchen Gemeinplatz gegriffen zu haben.

      „Lassen Sie uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher von einem Brainstorming reden als von wissenschaftlicher Analyse. Bitte, Dr. Li“

      Eine keineswegs zierliche Chinesin erschien auf dem Bildschirm. Ohne jede Einleitung begann sie in ruhigem Ton: „Wie Sie bereits vorhin gehört haben, wissen wir noch so gut wie nichts über diese Pandemie, außer dass sie eine Letalität von nahezu oder gleich 100 Prozent zu haben scheint, was für sich schon praktisch unerklärlich ist.“

      „Entschuldigung, dass ich mich noch einmal einmische“, meldete sich Kampa „ich möchte Sie bitten, das Ganze in eher populärwissenschaftlichen Begriffen darzustellen, da zur Zeit auch Regierungsvertreter und andere Nicht-Experten anwesend sind.“

      „Natürlich, das heißt also, dass wahrscheinlich jeder, der infiziert wird, auch stirbt. Wenn das so wäre, sprechen wir von einem Novum. Dann wäre diese Epidemie, Pandemie -nennen Sie es, wie Sie wollen - die erste Krankheit, die nicht wenigstens zehn Prozent der Erkrankten die Chance gibt, zu überleben. Es ist sinnlos für einen Krankheitserreger, alle seine befallenen Wirte zu töten – das würde bedeuten, dass er seine eigene Überlebenschance auf ‚Null‘ setzt, wenn er alle Infizierten tötet.

      Wir wissen noch nicht, ob es Personen gibt, die immun sind. Die Inkubationszeit konnten wir auch noch nicht bestimmen, sie scheint aber so extrem kurz zu sein, wie es noch nie beobachtet wurde. Wir schließen das aus der Tatsache, dass die Seuche praktisch an mehreren Orten der Welt gleichzeitig ausgebrochen zu sein scheint. Verstehen Sie, wenn die Pandemie, also die Krankheit an einer Stelle ausbricht, dann muss sie an die anderen Stellen übertragen…“ Li verhaspelte sich. In die Stille platzte ein Bass: „Was war denn das? An mehreren Stellen gleichzeitig? Warum hat davon noch niemand gesprochen?“

      Li fand ihre Sicherheit wieder. „Weil wir erst vor Kurzem darauf gestoßen sind. Fakt ist, dass der gegenwärtige Ausbruch an drei Stellen innerhalb weniger Stunden stattfand. Das lässt sich nicht mit herkömmlichem schulmedizinischen Wissen allein erklären. Es gibt allerdings doch zwei Erklärungsansätze. Der eine wäre dieser: Es gab schon vor Wochen oder Monaten einen Ausbruch der Seuche, der sich dann wieder 'tot lief'. Das ist schon öfter beobachtet worden, zum Beispiel bei Ebola. Es gab Ausbrüche, die einige Dörfer entvölkert haben. Dann breitete sich die Seuche nicht weiter aus. Das lag aber wahrscheinlich daran, dass es keine Überträger mehr gab, die die Krankheit in die nächsten Dörfer tragen konnten.