Traumprotokolle. Christof Wackernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christof Wackernagel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783866747821
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ohne dass Frau Jost das merkt, wobei mir vor allem diese schwarzvioletten Wurzelknollen auffallen, und oben in der Wohnung sind noch sehr viele andere Leute, mit denen wir alle zusammen um einen großen viereckigen Tisch am Fenster sitzen, auch Valentin ist dabei, wobei man halb im Bett sitzt mit den Füßen oben, halb auf Stühlen, aber der Tisch reicht bis an den Hals beziehungsweise unter die Achselhöhlen, so dass man in die Tüten greifen kann, in denen sich das Gebäck befindet, das alle knabbern und sich dabei bemühen, die Krümel in den Tüten zu lassen, damit Frau Jost nicht zu viel den Tisch putzen und abspülen muss, weil sie so alt ist, und aus dem Fenster sieht man unten eine Art Volksfest oder Budenmarkt, wo Leute Sachen verkaufen, und Sabine sagt: »da unten sitzt ein Sammler!« und deutet auf ein Kind an einem Tisch, auf dem ein Ständer mit kleinen bunten Bildchen steht, ich vermute, dass es Briefmarken sammelt oder so etwas, man kann es nicht genau erkennen, weil es von so weit oben gesehen ist, jedenfalls ist es kein Bettler, sondern sitzt vor einem Ballon, einer Weltkugel, einem Globus aus Plastik, der aber auch kaum größer als es selbst ist, und verkauft wohl diese kleinen bunten Bildchen, und Sabine will erstmal eine Dusche nehmen, weil sie von der Reise noch völlig verschmuddelt ist, und geht durch einen Gang nach hinten, wo rechts dann die Dusche ist, aus der sie nochmal den Kopf rausstreckt und lachend etwas sagt, und dann unterhalten wir uns am Tisch über den neuesten Roman von einem Franzosen, der auch was Philosophisches sein soll, aber nichts Vernünftiges ist, worüber sich alle einig sind, und dann fragt mich einer von den Gästen, ein dicker, bärtiger, muffiger, streng, ob ich denn immer noch so denke, wie vor ein paar Jahren, als wir schon mal an dieser Stelle zusammengesessen seien und ich große Reden geschwungen habe über bestimmte Philosophen, die nur Scheißdreck redeten, und er damals schon gesagt habe, dass wir uns eines Tages wiedersehen würden und er mich dann fragen werde, ob ich das denn immer noch so sehe, ein Zeitpunkt, welcher jetzt gekommen sei, ich kann mich aber nur schwach erinnern, weswegen er zitiert, was ich gesagt habe, woraufhin ich mich erinnere und den Kopf schüttele und sage: »ich nehme kein Wort zurück, es ist alles haargenau so, wie ich damals schon gesagt habe« und meine Worte haben etwas Dunkelviolettes, knubbelunterbrochen Gestängiges, wie ein vergrößertes Genmodell, in etwas soßenartigem schwimmend, wie Blaubeerenmatsch, der leicht gefroren ist, aber daran hat sich heutzutage gar nichts geändert –

      – ich fahre mit einer Fahrerin zum Drehen und es wird immer später, weswegen sie immer wilder fährt, hektischer und auch gefährlicher, und an einer Ampel, hinter der es nur rechts oder links geht, ruf ich bei der Produktion an, um zu sagen, dass wir gleich da sind, finde aber die Nummer nicht und wir kommen sowieso dann dort an, wo es erstmal gerade was zu essen gibt, die Ausgabe geht gerade los und ich werde nett aufgefordert, doch gleich mitzuessen; ich habe dort schon gedreht, war aber schon lange nicht mehr da und alle freuen sich, mich wiederzusehen, ich mich umgekehrt auch, aber dann kommt gleich die Assistentin und sagt, dass sie schon gegessen haben und dass der Regisseur völlig frustriert ist, weil der Film nicht aufgeht, die Konzeption einfach nicht stimmt, der Grundgedanke nicht funktioniert, was aber erst jetzt zu merken ist, das wird nichts auf diese Weise und er weiß noch nicht, wie es weitergehen soll, und dann sitzen wir in einer großen, kirchenartigen Halle herum, ich stehe neben einer Frau, die halb auf dem Boden liegt und ganz fromm ist, einer Sekte verfallen, und ich ziehe sie auf wegen ihrer Gottgläubigkeit, was sie aber gar nicht merkt, und dann gehe ich mit Fips und Ebby raus aus dieser kirchenartigen Halle und komme im bastüberdachten Vorhof an der Stelle vorbei, an der Barbara Rath-Korte immer ihr Ritual macht, das darin besteht, dass jemand auf einem in einem Kreis stehenden Stuhl beziehungsweise Sessel sitzt und sie um ihn herum tanzt, und wo jetzt endlich der schon mehrfach gewechselte – auch einmal mit einem Korbsessel, den ich ihr besorgt hatte–-, jetzt aber wirklich adäquate, geradezu thronartige Sessel steht, mit vielen auswüchsigen Verzierungen, barock vergoldet mit vielen kleinen Spitzen nach oben, auf denen kleine Lämpchen befestigt sind; ich gehe zu dem Sessel und betatsche ihn und sage: »na, jetzt ist das ja endlich der richtige!« und denke, dass sie damit sehr zufrieden sein wird, friere aber leicht und gehe raus und stelle mich in die Sonne, Ebby und Fips kommen nach und lachen über mich, aber ich frage: »ja, wann machen wir denn jetzt endlich die große Nummer und die Karawane?« • Leute strömen aus einem Vorortzug auf die Straße, morgens, sie gehen zur Arbeit, für mich sieht es so aus als wären sie ganz normal, ich sehe nur die Köpfe und eine Frau fixiert mich komisch, als hätte ich irgendwas oder als sei irgendwas mit mir, geht aber dann weiter, aber dann kommt ein knurriger Mann mit Bart, radikaler Muselman oder was, und fixiert mich auch bis kurz davor, dass eine Aggression ausbricht, aber dann geht er auch weiter, und die Leute, die zur Arbeit gehen, sehen ganz normal aus, überdeutlich • schreibe Traumnotizen auf beziehungsweise: ich schreibe auf, dass ich Traumnotizen aufschreibe und ich sehe mir die Notizen an, die ich über die Träume gemacht habe, lese diese Notizen, erinnere mich aber nur schwach an den Traum und schreibe auf, dass ich von Traumnotizen geträumt habe, die ich krampfhaft versuche, zu rekonstruieren, aber sie lassen sich nicht fassen, stehen ganz klar vor meinen Augen, aber lassen sich nicht beschreiben, obwohl es einfache, klare Vorgänge sind, und dann schreibe ich Traumnotizen auf von Träumen, in denen ich Traumnotizen aufgeschrieben habe, also dass ich geträumt habe, wie ich Träume aufschreibe, also Traumnotizen von Traumnotizen, oder nochmal anders: ich schreibe auf, dass ich geträumt habe, Traumnotizen gemacht zu haben, also ganz genau geträumt zu haben, wie ich Träume aufgeschrieben habe, wobei es neben mir leicht abschüssig runtergeht und ich ständig lächle, aber gleichzeitig verzweifelt bin, weil es sich alles nicht fassen lässt, ich habe von Traumnotizen geträumt und erzähle das anderen und dann schreibe ich auf, dass ich Traumnotizen aufgeschrieben habe, also Träume von Traumnotizen, die ich aber nicht rekonstruieren kann, schreibe auf, dass ich von Traumnotizen geträumt habe und suche ein Verschachtelungsverfahren, und ich weiß, dass das, was ich aufgeschrieben habe, nicht genau das ist, was ich geträumt habe, niemals identisch ist mit dem, was ich geträumt habe, bin verzweifelt deswegen und schreibe auf, dass ich geträumt habe, Traumnotizen aufzuschreiben – ich schreibe auf, dass ich geträumt habe, dass das Haus notariell festgelegt ist, also dass ich geträumt habe, ich hätte geträumt, dass eine Notiz gemacht wird, wie das Haus auf meinen Namen festgelegt ist, und ich denke im Traum vom Traum, dass es doch längst festgelegt ist! –

      – nach langen Verwicklungen und sehr schönen Zusammenhängen, die optimistisch in die Zukunft sehen lassen, schiebe ich im Dunkeln einen vorne spitz zulaufenden Kinderwagen einen schmalen, teilweise mit flachen langen Stufen versetzten Weg hoch, vor mir eine Japanerin in Schuhen mit hohen, breiten Absätzen, die auch ein Kind trägt; es herrscht ziemliches Gedränge auf diesem Weg, neben dem anfänglich noch Bauzäune zu sehen sind, so sehr, dass ich einen Mann, der in einem rollstuhlartigen Dreirad sitzt, mit einer Saftpressmaschine auf den Knien, mit der er Saft presst, den er gleich trinkt, anrempele, so dass er ein paar Meter vorrollt, was ihn aber überhaupt nicht interessiert, und ich muss den Kinderwagen, in dem eventuell mein Kind liegt, hochheben, um eine der flachen Stufen überwinden zu können, hebe vorne hoch, wo an der Spitze des Dreiecks ein Bügel angeschweißt ist, und hinten hilft mir eine Passantin, weswegen wir auch weiter den Kinderwagen tragen und es gleich wesentlich weniger gedrängt ist, vor uns nur noch die Japanerin, die ich nur von hinten sehe und die, je freier der Weg ist, immer schneller geht – die Abstände der Gitter im alten Zimmer unten an der Ecke des Hauses sind unten so breit und hoch, dass ein Kind durchsteigen kann • ein riesiger Hund hat einen kleinen blauen Gebetskranz im Mund und zwei in blauen Gewändern völlig verschleierte Tussis wollen ihm den Gebetskranz wegnehmen, aber er gibt ihn nicht her und die beiden haben Angst, Druck zu machen, weil er sofort böse knurrt, wenn sich diese blöden Kühe ihm nähern • und nach dem ganzen Hin und Her stellt sich raus, dass auf dem Stick nur zweihundertsechs- undfünfzig Gigabyte sind: da kann man ja gar nichts mit anfangen! • obwohl eigentlich klar ist, dass der Zug bald fährt, trödeln und trödeln wir, selbst auf den Stufen zum Bahnhof noch, und die Frau, mit der ich zusammen bin, die an Renate und Sabine erinnert, aber meine neue Freundin ist, quatscht noch auf den Stufen zum Bahnhof mit jemandem, obwohl man da schon sehen kann, dass der Zug bereits Anstalten macht, loszufahren, die Türen schließen und so weiter, weswegen wir dann erst endlich losrennen, obwohl er schon losruckelt und nichts mehr zu machen ist, weswegen wir resigniert eine Tafel suchen, wann der nächste fährt, was frühestens in einer Stunde sein wird, aber wir sind dann in der Villa von Johannes Schütz, ein riesen Wahnsinnsapparat, in dem wir rumhängen und warten, wobei sich rausstellt, dass das auch das Schauspielhaus Düsseldorf ist beziehungsweise die Villa