Traumprotokolle. Christof Wackernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christof Wackernagel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783866747821
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Arrangement, damit Gadhafi bei dem Wettbewerb doch noch mitmachen kann mit einem Objekt, das fünfundzwanzig Zentimeter abgemessen hat, also fünfundzwanzig mal fünfundzwanzig ist, und von dem auch die letzten zwanzig Prozent abgeschnitten sind, wobei das dann, wenn es fertig gemacht wird, sozusagen wieder drangehängt werden kann, aber so ist die Sache auch einheitlich für alle Beteiligten • Claudia will mich zum Flughafen bringen, macht aber noch an irgendeiner Arbeit herum und sagt: »hat noch Zeit, hat noch Zeit«, es ist aber schon ungefähr fünf nach halb zwölf und um viertel nach zwölf fliegt die Maschine, und dann findet sie selber plötzlich auch, dass es eigentlich schon knapp ist, und als wir am Flughafen ankommen, ist der Flughafen selbst verschoben worden, integriert in ein riesiges Einkaufszentrum, wodurch nur sehr schwer zu erkennen ist, wo der eigentliche Flughafen denn nun ist, also an einer Stelle, die man kaum sieht, so dass ich ziemlich hetzen muss durch dieses Einkaufszentrum, um zu finden, wo es endlich losgeht, und dann sehe ich eine Frau irgendwo rauskommen und erkenne, dass es tatsächlich der Ankunftsteil ist beziehungsweise dessen Ausgangstür, die direkt in das Einkaufszentrum mündet, und die Frau stöhnt, »boah, ist das heiß hier«, obwohl sie gerade vom Urlaub kommt, und durch die offene Tür kommen die Flugzeugabgase direkt in das Einkaufszentrum rein, ich gucke nach der Fluggesellschaft, mit der ich fliegen will, die kommen alle der Reihe nach und ich bin zum Glück bei allen angemeldet, so dass ich jede nehmen kann, und dann kommt wieder eine, offenbar eine ganz kleine, wo ich gleich reingehe und direkt durchgehen kann auf meinen Sitzplatz, der allerdings ganz seltsam, eher wie in Transportmaschinen seitlich sich gegenüberstehend aufgebaut ist, immer zwei zusammen und mir wird noch schnell ein zweiter danebengestellt und festgeschraubt, auf dem aber niemand sitzt, sondern nur mir schräg gegenüber sozusagen der Schaffner des Flugzeugs, das sofort losfährt, erstmal ganz lange über das Flugfeld, das nicht aufhören will, und in eine normale Straße übergeht, auf der die kleine Maschine – wie die, mit denen ich früher von Dortmund aus geflogen bin und die ich gern mag, fast lieber als die großen – gut fahren kann, aber die Maschine kommt und kommt nicht hoch, muss jetzt an einer Baustelle vorbei, fährt da durch, als ob sie keine Flügel hätte, und dann fragt mich der Schaffner, der mir gegenübersitzt, gemütlich gutgelaunt: »na, was haben wir denn so im letzten halben Jahr gemacht?« und ich sage: »naja, ich hab so ’n bisschen gedreht«, woraufhin er sagt: »das hab ich mir doch gedacht!« und so tut, als würde er mich kennen, und während wir dann um eine ganz enge Ecke kurven, ganz nah an einem alten, mehrstöckigen Bürgerhaus vorbei, erzählt er, dass da drin für die Produktion von »Der kleine Engel« gedreht worden sei, eine Produktion, bei welcher er auch mitgemacht habe – und von der ich schon gehört habe – und er zeigt auf den Hauseingang, aber dann geht’s wieder ganz scharf um die Kurve in die andere Richtung, denn das Flugzeug ist schon fast wie ein Auto inzwischen, und ich sage, dass ich von dieser Produktion gehört habe, dass sie doch nicht so ganz geworden sei, wie man sich das vorher vorgestellt hatte und wie es auch groß angekündigt worden sei, als Komödie gemeint, die auch ganz witzig hätte werden können, aber doch ziemlich blöd wurde, was wohl am Regisseur gelegen haben muss, was der Schaffner bestätigt, mit einem Einverständnis heischenden wissenden Blick sozusagen »ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen«, weil wir beide wissen, was gemeint ist –

      – ich decke mit einem anderen auf einem größeren Platz die Wahrheit ab, die ein größerer, Plastik- oder Gummi-artiger Klecks von etwa einen Meter Durchmesser ist, den man abziehen kann, und dann ist sie aufgedeckt, aber insgesamt wird es auch nicht viel klarer dadurch, und dann findet eine lange vorbereitete Veranstaltung vom Schriftstellerverband mit dem Thema »Widerstand und Bewegung« endlich statt, es ist eigentlich nur eine ganz kleine, spießige Bochumer Veranstaltung, aber es ist rappelvoll, man kommt kaum zwischen den Leuten durch; ich habe keinen Text von mir, noch irgendetwas anderes dabei, das ich vortragen könnte, Sabine fängt schon mal an und spielt etwas im Saal, während ich noch im Vorraum bin, nachdem ich nochmal rausgegangen war und gerade noch rechtzeitig zurückgekommen bin, als sie anfängt, schon zum Publikum spricht, während ich am Platz des Auftritts stehe und überlege, was ich denn sagen soll, und erwäge, ganz einfach frei zu sprechen, mal richtig zur Sache zu kommen und das dann »Über Klartext« zu nennen, ganz klar die Dinge beim Namen zu nennen und unumwunden zu sagen, was und wie verbrecherisch alles ist und zwar koste es, was es wolle, da kommt ein anderer Kollege rein, der da auch mitmacht und sofort beginnt, sich für seinen Auftritt umzuziehen, aber mir vorher noch seine CD auf den Tisch wirft, die ich offensichtlich kaufen soll und die ich nehme und mir anschaue, aber als Erstes sehe ich, dass unten steht: »Für Freunde 90 Cent pro Minute«, es sind aber insgesamt fünfzig Minuten, also fast fünfzig Euro, weswegen ich ihn frage, wie er das begründet, wozu er den Kopf schüttelt und sagt: »das geht nicht anders!«, er bekomme das auch, weil alles so teuer sei, und dann erzähle ich ihm, dass ich frei sprechen will, sozusagen neben mir stehen will und so deutlich wie möglich alles sagen, was man sonst immer nur umschreibt, aber er sagt: »das würde ich nicht machen«, zeigt, seine Umzieherei unterbrechend, mit dem Finger irgendwohin neben mich und fährt fort: »das steht ja da geschrieben«, woraufhin ich frage: »wo?«, aber er wegwerfend antwortet: »ja, bei mir irgendwo!«, was er so lässig ausruft, dass ich lache, woraufhin er sagt: »ja, stimmt, das gilt natürlich nicht für dich, weil es sich bei mir aufs Autofahren bezieht, ich würde mich sonst zu Tode rasen«, und dann stelle ich mir vor, dass Leute, die hören, was von mir gesagt wird, das nach unten verlängern und festmachen, mit Seilen oder Schnüren am Boden fixieren und dadurch seine Wirkung entschärfen, und obwohl die Vorstellung schon läuft, gehe ich nochmal raus und unten am Fluss entlang, unter den hohen Bäumen, die am Flussufer stehen • großes Treffen der gesamten ehemaligen Rote-Armee-Fraktion-Mitglieder beim Bundeskriminalamt mit den ehemaligen Fahndern mit Essen und Trinken und allgemeinem Quatschen und Machen und Tun, sowohl im Souterrain des BKA als auch auf der Wiese davor sitzt man in Grüppchen am Tisch oder auf dem Boden und quatscht, alles ist voller Mikrofone, mit denen jedes Wort dieses historischen Treffens aufgezeichnet wird, alle fühlen sich wichtig, finden es aber auch witzig, alles ist voll mit Maschinenpistolen und schwer bewaffneten zum Teil vermummten Sondereinsatzkommando-Leuten, die drumrum patrouillieren, man tauscht erstmal nur Eingangsfloskeln aus und unterhält sich angeregt über die Unmengen von zum Teil uralten Postkarten, die gesammelt wurden und werden, auch welche von Franz Josef Strauß, der auch zu dem Treffen gekommen ist, und man unterhält sich darüber, wer wie wo wann was geschrieben hat, und einer vom BKA, der aussieht wie Udo Fischer, hält die Begrüßungsansprache, man versteht aber nichts, es ist nicht klar, was er sagt; es ist schon das zweite Treffen dieser Art, das letzte Mal mit weniger Leuten, wobei ich aber auch schon Postkarten gesammelt hatte, die ich in dem Kunstprojekt mit Sigrid aus dem Norden eingebracht habe und die damit längst ins Museum gewandert sind; man kann nach dem Treffen Kisten und Unterlagen mitnehmen, so viel man will, und die Hauptfrage ist: »warum hat sich die RAF aufgelöst?«, was weder die RAFler noch die BKAler erklären können, es wird fast wie früher danach gefahndet, wobei kurz sowohl von den RAF-Leuten mit den BKA-Leuten als auch von den BKA-Leuten mit den RAF-Leuten echte verhörartige Situationen entstehen, bei denen aber nichts, nicht das geringste bisschen herausgefunden wird, es gibt auch mehrere andere Ansätze, etwas zu bequatschen, man kommt aber nicht dazu, und dann kommt eine Delegation von ganz jungen Typen rein und ich sage zu Stefan, dass der ganz lockere, ziemlich junge Typ von denen der oberste Chef der Bundeswehr ist, den ich beim letzten Treffen kennen gelernt und mit dem ich ziemlich viel gekifft habe, was Stefan mir nicht glaubt, und der Typ, der aussieht wie Udo Lindenberg, gibt erstmal keine Wiedererkennungszeichen von sich, kommt aber dann zu uns und setzt sich an unseren Tisch, wo wir gerade große Kuchenstücke essen; es ist nur das Waschbecken benutzbar, aber da sind irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen des BKA in Kraft, und am Rande des Gartens sehe ich Gert auf dem Fahrrad kommen, der ein riesiges Buch, mindestens doppelt so groß wie mein »es«, dabei hat, das erstmal von einer SEK-Patrouille kontrolliert wird, was Gert lächelnd über sich ergehen lässt, ich will ihm entgegenkommen und auch helfen, da ist er aber schon da und passiert gerade eine Durchleuchtungskontrolle, was ich von weiter hinten sehe und zuschaue, aber dann das dicke Buch von ihm in Empfang nehme, und ich sage den BKA-Leuten, sie sollten doch die Steine und Gesteinsbrockensammlungen aus dem Zusammenhang auch mitbringen, nicht nur die Postkarten, und die Behälter reichen alle gar nicht, um die ganzen Postkarten und anderen Sachen alle aufzubewahren und zusammenzustellen • ziehe vorübergehend in eine Wohnung am Hang in Stuttgart, wo eine Familie mit erwachsenen oder fast erwachsenen Kindern lebt, stelle meine Sachen in meinem Zimmer ab